Päpstliche Differenzierungen

3. November 2016 in Aktuelles


Franziskus’ neuer Ton zur Migrantenkrise. Europa ist durch Migration entstanden, aber: die Notwendigkeit zwischen Migranten und Flüchtlingen zu differenzieren. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Neue Töne aus päpstlichem Mund zur Migrantenkrise. Wurden in der Vergangenheit die verschiedenen Aufrufe von Papst Franziskus gern für eine Behauptung einer undifferenzierten und bisweilen blinden „Willkommenskultur“ missbraucht, so wird dies künftig nicht mehr möglich sein. Schlagwörter wie „Brücken statt Mauern“ dienten dazu, das katastrophale Scheitern einer Flüchtlings- und Migrantenpolitik zu kaschieren. Der positive und Wirklichkeit erst gestaltende Wert von Grenzen – er wurde blind verleugnet und auf dem Altar eines zunächst sich einstellenden Wohlgefühls geopfert, das einen so „menschlich“ erscheinen ließ.

Auch Papst-Worte von der christlichen Pflicht, Fremde aufzunehmen und zu beherbergen, zusammen mit dem Verweis auf christliche Nächstenliebe, wie sie im Gleichnis vom guten Samariter in ihrer kristallisierten Weise vorgestellt wird, dienten anderen Zwecken. Der „Papst der Barmherzigkeit“, der Papst der „Randgebiete“, der Papst der Letzten und Ausgeschlossenen, der ständig unterwegs ist, um das eine Schaf zu suchen, während die anderen neunundneunzig in einem Stall vor sich hin leben – er wurde auch dazu missbraucht, gedankenlos und nur dem Augenblick verpflichtet einer Krise entgegenzutreten, die zu den schwersten und gefährlichsten des Jahrhunderts gehört. Dies geht nun nicht mehr.

Auf der traditionellen „fliegenden Pressekonferenz“ während des Rückflugs von Schweden nach Rom am 1. November war Franziskus deutlich: die Krise ist differenziert anzugehen, Flüchtlinge und Migranten, deren Ströme geregelt werden müssen, sind zu unterscheiden, die Krise ist komplex und es müssen die verschiedensten Aspekte beachtet werden. Die katholische Zeitung „Die Tagespost“ bringt in ihrer heutigen Ausgabe die Übersetzung des ganzen Interviews, in dem es nicht nur um „Frauenweihe“ oder andere Reizthemen gegangen war.

Eine schwedische Journalistin stellte die Frage: „Heiliger Vater, Sie haben von der Revolution der Zärtlichkeit gesprochen. Gleichzeitig sehen wir, dass immer mehr Menschen aus Ländern wie Syrien oder dem Irak in europäischen Ländern Zuflucht suchen. Doch einige reagieren mit Angst, und es gibt sogar Menschen, die denken, dass die Ankunft dieser Flüchtlinge die christliche Kultur in Europa bedrohen kann.

Wie lautet Ihre Botschaft an die Leute, die eine solche Entwicklung der Situation befürchten, und wie lautet Ihre Botschaft an Schweden, das nach einer langen Tradition der Aufnahme von Flüchtlingen jetzt anfängt, seine Grenzen zu schließen?“.

Die Antwort des Papstes war ausführlich und lang. Zunächst dankte er als Argentinier und Südamerikaner Schweden für seine Aufnahmebereitschaft, „denn viele Argentinier, Chilenen und Uruguayer sind in der Zeit der Militärdiktaturen in Schweden aufgenommen worden“. Schweden habe eine lange Tradition der Aufnahmebereitschaft, doch das Land nehme nicht nur auf, sondern integriere die Menschen in das Volk, Dann müsse zwischen einem Migranten und einem Flüchtling unterschieden werden.

„Der Migrant muss nach gewissen Regeln behandelt werden“, so der Papst, „denn Migration ist ein Recht, aber es ist ein genau geregeltes Recht. Doch die Flüchtlinge kommen aus einem Gebiet, in dem Krieg, Angst und Hunger herrschen, einer schrecklichen Situation, und der Flüchtlingsstatus erfordert mehr Sorge und Arbeit. Auch hier war Schweden immer ein Vorbild darin, die Dinge zu regeln, die Sprache, die Kultur erlernen zu lassen und auch in die Kultur zu integrieren“-

Was die Integration der Kulturen anbelange, „brauchen wir keine Angst zu haben, denn Europa ist durch eine ständige Integration der Kulturen, vieler Kulturen entstanden… Ich glaube – das soll jetzt nicht verletzend sein, nein, nein, sondern eine Besonderheit –, die Tatsache, dass heute auf Island der Isländer seine Klassiker von vor tausend Jahren problemlos im heutigen Isländisch lesen kann, bedeutet, dass es ein Land mit wenigen Migrationen oder wenigen ‚Wellen’ ist, wie sie Europa etwa erlebt hat. Europa ist durch Migrationen entstanden“.

Dann ging Franziskus auf jene Länder ein, die ihre Grenzen schließen: „Ich glaube, dass man theoretisch sein Herz gegenüber einem Flüchtling nicht verschließen kann, aber es bedarf auch der Umsicht der Regierenden. Sie müssen offen sein, sie aufzunehmen, doch sie müssen auch rechnerische Überlegungen anstellen, wie sie sie unterbringen können, denn ein Flüchtling muss nicht nur aufgenommen, er muss auch integriert werden. Und wenn ein Land eine Kapazität von sagen wir einmal zwanzig hat, die es integrieren kann, dann soll es so viele aufnehmen. Ein anderes Land hat eine größere Kapazität, dann soll es mehr aufnehmen“.

Doch das Herz müsse immer offen sein: „Es ist unmenschlich, die Türen zu verschließen, es ist unmenschlich, das Herz zu verschließen und auf Dauer muss dafür bezahlt werden. Hier wird politisch dafür bezahlt, so wie auch eine Unvorsichtigkeit in der rechnerischen Überlegung politisch bezahlt werden kann, wenn mehr aufgenommen werden als integriert werden können.

Denn welche Gefahr besteht, wenn ein Flüchtling oder ein Migrant – das gilt für beide – nicht integriert wird, nicht integriert ist? Er wird – ich erlaube mir, dieses Wort zu benutzen, es ist vielleicht ein Neologismus – ‚ghettoisiert’, das heißt, er kommt in ein Ghetto. Und wenn eine Kultur sich nicht in der Beziehung mit der anderen Kultur entwickelt, ist das gefährlich. Ich glaube, der schlechteste Ratgeber für die Länder, die dazu neigen, ihre Grenzen zu schließen, ist die Angst, und der beste Ratgeber ist die Umsicht“.

„Ich habe in diesen Tagen mit einem Beamten der schwedischen Regierung gesprochen“, so der Papst abschließend“, „und er hat mir von einigen Schwierigkeiten in diesem Moment berichtet, weil so viele kommen und man keine Zeit hat, sie unterzubringen, eine Schule, eine Wohnung, eine Arbeit für sie zu finden und sie die Sprache lernen zu lassen. Die Umsicht gebietet solche rechnerischen Überlegungen“.

Franziskus glaube nicht, „dass Schweden, wenn es seine Aufnahmekapazität herabsetzt, dies aus Egoismus tut oder weil es diese Kapazität verloren hat; wenn es so etwas gibt, dann aufgrund dessen, was ich gerade gesagt habe: Heute schauen viele auf Schweden, weil sie seine Aufnahmebereitschaft kennen, doch die Zeit reicht nicht, um sofort alle unterzubringen“.


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