Reformationsjubiläum und Ökumene - Zeit für eine Standortbestimmung

28. Oktober 2016 in Kommentar


Teil 2: Die katholische Kirche muss sich fragen, mit wem man Gemeinschaft leben soll? Bsp. mit evangelischen Lebensschützern oder mit den Landeskirchlern, die jene als Fundamentalisten/Rechte diffamieren? kath.net-Kommentar von Anna Diouf


Bonn (kath.net/ad) Zu der mangelnden Aufarbeitung antikatholischer Mythen tritt ein weiteres Hemmnis der Ökumene, die niemand für die evangelischen Denominationen lösen kann: Bevor ich mit einer anderen Gemeinschaft Einheit suchen kann, muss ich wissen, was meine eigene Gemeinschaft ausmacht. In konsequenter Umsetzung der Grundgedanken Luthers ist aber mittlerweile in den Gemeinschaften der Reformation kein einheitlicher Glaube mehr auszumachen. Exemplarisch sei das Kanzelverbot genannt, das im Frühsommer dieses Jahres durch einen einfachen Pfarrer gegenüber einem Landesbischof ausgesprochen wurde, da letzterer die Auferstehung Jesu geleugnet hatte. Wenn Glaube in erster Linie individuell ist, und die einzige Autorität diesbezüglich letztlich ich selbst, dann gibt es keinen "einen" Glauben mehr. Dann gibt es nur noch eine irgendwie geartete Glaubenserfahrung. Diese kann man durchaus noch feiern, aber man kann seinen Glauben nicht mehr teilen.

In der evangelischen Kirche wird viel über Ökumene gesprochen, und meist wird als Hindernis eine uneinsichtige, starre, verbohrte katholische Hierarchie angesehen. Tatsächlich aber haben wir auf der einen Seite eine klare Lehre, und auf der anderen einen Wust an Überzeugungen und Individualglauben, die einander jeweils widersprechen, aber mit der gleichen Autorität verkündet werden. Die katholische Kirche muss also erst einmal fragen, mit wem man denn nun hier Gemeinschaft leben soll? Mit dem Pfarrer, der gegen die Homo-"Ehe" anpredigt oder mit dem, der soeben mit seinem "angetrauten" Partner ins Pfarrhaus eingezogen ist? Mit den Initiativen, die sich für den Schutz des Lebens einsetzen oder mit den Landeskirchlern, die jene als Fundamentalisten und "Rechte" diffamieren?

Glaube ist nicht nur ein diffuses Gefühl, er ist untrennbar mit entsprechendem Handeln verbunden, eine gut katholische Einsicht, die sich in ihrer Einsichtigkeit wie kaum eine andere gegenüber reformatorischem Wunschdenken behauptet hat. Dementsprechend hängt, abgesehen von allen theologischen Differenzen, auch die praktische, pragmatische Ökumene letztlich am Glauben, und damit an der Lehre. Die gemeinsame Position in ethischen Fragen kann nicht mehr vorausgesetzt werden, da sich die evangelischen Konfessionen in atemberaubendem Tempo von selbstverständlichen Werten und Einsichten distanziert haben und dem säkularen Mainstream beinahe vollständig zum Opfer gefallen sind.

So besteht für die katholische Kirche durchaus die Frage, ob sie für eine schrumpfende, an Schlagkraft und Sinnhaftigkeit verlierende EKD ihre Prinzipien opfern sollte, oder nicht lieber mit denen im Gespräch bleibt, die ihr näher stehen: Weder die Orthodoxie, mit der man theologisch viele Positionen teilt, noch die Freikirchen, denen man ethisch – und oft, durch eine uneinheitliche und nicht durchdachte Diktion und Lehre schwer erkennbar, auch theologisch – nahesteht, machen Zugeständnisse an eine in ihrer Verwurzelung verunsicherte und durch den Säkularismus korrumpierte evangelische "Kirche". Das sollte besonders den deutschen Katholiken zu denken geben, die gerne evangelische Thesen übernehmen, und im Unwissen über die eigene Glaubenslehre den Protestanten oft in nichts nachstehen.

Wenn wir nächstes Jahr einen Dienst an unseren evangelischen Brüdern und Schwestern tun wollen, dann den, dass wir ohne Abstriche und gut informiert unseren Glauben leben und Zerrbilder der katholischen Kirche früher und heute freundlich aber kompromisslos als Falschdarstellungen offenlegen – damit, und nur damit, kann man den evangelischen Christen die Möglichkeit geben, sich dem katholischen Glauben und nicht einem angeblichen katholischen Glauben zu stellen, und nach 500 Jahren Spaltung das eigene Selbstverständnis neu zu justieren.

Foto Anna Bineta Diouf


Foto Heike Mischewsky


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