'Wir sind einer neuen Diktatur verfallen'

29. September 2016 in Weltkirche


Leseprobe 2 aus der Neuerscheinung: Kardinal Müller, „Die Botschaft der Hoffnung“


Vatikan (kath.net) Wäre es vor diesem Hintergrund nicht angebracht, unsere Erwartungen zurückzuschrauben, nicht zu viel von der Zukunft zu erwarten, uns mit einer mittelmäßigeren, ausbalancierten Hoffnung zu begnügen?

Wir dürfen nicht resignieren, wir dürfen nicht sagen „Die Zeiten sind halt so, wie sie sind“, „das ist halt unser Los“, „das ist das Merkmal unserer Epoche“, „wir können nichts tun“, „der Säkularismus ist unser Schicksal“. Die Haupteigenschaft der Hoffnung liegt nämlich gerade darin, dass sie sich nicht auf die eigenen Kräfte verlässt, um ihr Ziel zu erreichen. Der Glaube versichert uns, dass die Kraft Gottes stets stärker ist als die Schwäche des Menschen und die Angriffe des Bösen. Die Hoffnung lässt uns nicht zugrunde gehen (vgl. Röm 5,3–5), und sie lässt sich nicht von den Machthabern zähmen; deshalb wird sie zuweilen von der Welt als subversives Element wahrgenommen.

Wir, die wir uns dieser relativistischen Diktatur widersetzen wollen, müssen uns eher folgende großen Fragen stellen: Welche Verantwortung trage ich als Vater oder als Mutter meiner Kinder? Welche ethischen und moralischen Grundsätze möchte ich ihnen beibringen? Welche politischen Ansätze sollte ich durch meine Stimme unterstützen, um für das Gemeinwohl zu wirken? Es geht darum, jedem konkret Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die uns erfüllt (vgl. 1 Petr 3,15). Dieses fest gegründete Vertrauen bedeutet letzten Endes, dass die ganze Heilsgeschichte auf das endgültige Gut zugeht und dass nichts von dem, was in unserem Leben schön, gut und wahr ist, vergeblich oder umsonst sein wird.

Als die großen totalitären Ideologien zusammenbrachen, sind wir einer neuen Diktatur verfallen, nämlich der beherrschenden Leitkultur des Techno-Szientismus und des konsumorientierten Individualismus. Ich wiederhole: Unsere säkularisierten Gesellschaften werden von innen her durch Trivialität und Vulgarität ausgehöhlt. Als ein in Gott und seine Schöpfung verliebter Mensch, der sich stets um eine umfassende Bildung (paideia) bemüht hat, und durch eine vertiefte Auseinandersetzung mit den wesentlichen Elementen, die der Herr dem Sein und Tun des Menschen eingegeben hat (humanitas), stelle ich im Herbst meines Lebens nicht ohne Betrübnis fest, dass viele unserer Studierenden dem Studium nur wenig Zeit widmen und dass die theologische Ausbildung vieler Kleriker zu wünschen übrig lässt – um nur zwei Beispiele zu nennen. Warum das? Ich meine: Wenn die Gesellschaft erst einmal in tausende Individuen aufgesplittert ist, die nur als homo oeconomicus, als eine weitere Zahl in der Konsumstatistik betrachtet werden, dann haben wir uns damit abgefunden, nur für den Wohlstand zu leben.

Wir rechtfertigen sogar die Bosheit mit dem Vorwand des Realismus und vergessen dabei, dass der wahre Realismus gütig ist, weil er aus der Begegnung zwischen Leben und Wahrheit hervorgeht: Realistisch sein bedeutet, in die Wirklichkeit einzutauchen. Wir dürfen auch nicht aus den Augen verlieren, dass die größte Wirklichkeit, die alles trägt, Gott ist. Sein Liebes- und Heilsplan für die ganze Schöpfung übersetzt sich in eine persönliche Gabe für jeden Einzelnen von uns; sie ist uns geschenkt im Leben Jesu, der uns begleitet, unterstützt und zu einem Leben in Liebe fähig macht. Christus ist die Wahrheit und das Licht der Welt, und daher ist Er der wahre Ausdruck der Hoffnung.

kath.net-Buchtipp
Die Botschaft der Hoffnung
Gedanken über den Kern der christlichen Botschaft
Von Gerhard L. Müller
Sonstiger Urheber Carlos Granados; Übersetzt von Franziska Dörr
Hardcover, 288 Seiten
2016 Herder, Freiburg
ISBN 978-3-451-38888-0
Preis 25.70 EUR

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