Franziskaner in Aleppo: ‘Wir helfen auch den Muslimen’

18. September 2016 in Aktuelles


Franziskanerpater Ibrahim al-Sabbagh berichtet im Radio-Vatikan-Interview über den Alltag in der nordsyrischen Metropole.


Damaskus (kath.net/ KAP)
Die Lage der Menschen in der belagerten nordsyrischen Metropole Aleppo bleibt auch während des aktuellen brüchigen Waffenstillstands dramatisch. "Was wir jetzt machen, ist: Lebensmittel und Medikamente kaufen, um das an die Menschen zu verteilen", schildert der Franziskanerpater Ibrahim al-Sabbagh in einem Telefoninterview mit Radio Vatikan. Der Ordensgeistliche ist Pfarrer im Westteil der Stadt, der von den Regierungstruppen kontrolliert wird. "Wir kaufen mit der Hilfe von Spendern, was wir bekommen können", berichtet er. "Wir warten nicht auf humanitäre Hilfen, von denen man ja nicht weiß, ob sie durchkommen oder nicht, und auf deren Basis man keine stabile monatliche Hilfe organisieren kann. Die Menschen brauchen aber eine solche kontinuierliche Hilfe; darum hängen wir von Spendern ab, mit deren Geld wir unsere Einkäufe tätigen."

Eines der vielen Probleme in Aleppo ist der Trinkwassermangel, so der Franziskaner. Die Lage habe sich zuletzt etwas verbessert, immer noch sei das Wasser aber verschmutzt. "Es enthält Bakterien, und viele werden dadurch krank", so Pater Ibrahim.

Größte Plage für die Menschen seien aber die Raketen, die den Leuten auf den Kopf fallen. "Das können die Menschen nicht mehr ertragen. Viele - auch in unseren Familien - entscheiden sich deswegen, die Stadt oder gar das Land zu verlassen. Die zweite Plage ist die allgemeine Lage der Stadt: Keine Arbeit zu haben bedeutet, dass die Familien keine monatlichen festen Einkünfte haben. Und dadurch wächst immer mehr die Zahl der völlig bedürftigen Familien. Damit einher gehen Depressionen, psychologische Probleme, Verzweiflung."

Der Pfarrer versucht, sich dem Elend entgegenzustemmen: Er arbeitet, sagt er, in der Regel von acht Uhr morgens bis elf Uhr nachts. Um den Leuten zuzuhören, dringende Probleme zu lösen. "Aber dann ist da noch eine andere Arbeit, die ebenfalls schwierig ist und die ich nachts mache: auf Nachrichten, auf Briefe der Freunde und der Spender zu antworten. Das ist ein sehr langer, sehr ermüdender Tag. Seit Monaten habe ich nie auch nur einen halben Tag frei. Und dann der geistliche, pastorale Dienst, der ja auch für sich schon viel Einsatz fordert. Dazu die humanitäre Hilfe für die Menschen. Aber wir können nicht aufgeben."

Insgesamt fünf Franziskaner arbeiten in seiner Pfarrgemeinde in Aleppo, berichtet der Franziskaner im Radio-Vatikan-Gespräch. "Aber wir haben immer andere Ordensleute in der Nähe, Jesuiten, Salesianer und verschiedene Schwesterngemeinschaften, die ebenfalls zu helfen versuchen, auch wenn der Hauptort immer die Pfarre bleibt." Es gebe vor Ort Hunderte Familien des lateinischen Ritus; insgesamt lebten im Westteil von Aleppo noch etwa 40.000 Christen. Viele von ihnen seien alte und verwitwete Menschen, so der Pater. "Es gibt auch viele kleine Kinder ohne Eltern. Und jeden Moment kann eine Rakete vom Himmel fallen, dann muss man immer sofort handeln: hingehen, die Menschen besuchen, mit ihnen beten, an der Seite derer stehen, die leiden".

Sein Stadtviertel sei kein rein christliches, betont der Pater, hier hätten wie in Syrien üblich immer schon auch viele Muslime gewohnt - vor dem Krieg, und auch jetzt sei das immer noch so. "Hier gibt es Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit", schilderte der Priester. "Unter den Christen gibt es auch viele Unterschiede: sie gehören verschiedenen Kirchen an - und unter den Katholiken gibt es Angehörige von Gemeinden unterschiedlicher Riten, lateinischer, syrischer, melkitischer, armenischer, chaldäischer Ritus." Es gebe großen gegenseitigen Respekt und Zusammenarbeit, so der Franziskaner. "Wir bemühen uns auch immer, gerade bei den humanitären Hilfen die Hand auch zu den anderen hinauszustrecken, weil unser Herr Jesus uns mit seinem Gebot der Liebe dazu anleitet. Wir helfen auch den Muslimen."

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