Misericordiae Vultus

3. September 2016 in Weltkirche


Die Rückkehr des heiligen Schweißtuchs in die Geschichte unter Benedikt XVI. - Von Paul Badde.


Rom (kath.net)
Das Pontifikat Benedikt XVI. ist voll von Sätzen, in denen er immer neu an das „menschliche Gesicht Gottes“ im Antlitz Jesu erinnert hat. Es ist das innerste Kennzeichen der Christenheit. Denn nur wir Christen behaupten ja, das wahre Gesicht Gottes zu kennen. Das gibt es in keiner anderen Religion. Im Gegenteil, dieser Glaube ist bis heute für einen Großteil der Menschheit eine unerträgliche Provokation. Gleichwohl hielt Benedikt XVI. auf rätselhaft kühne Weise daran fest.

Der Moment freilich, der mich in seinem Pontifikat am meisten berührte, waren jene Minuten, wo der wortgewaltige Kirchenlehrer nicht sprach, sondern schwieg. Das war, als er am 1. September 2006 nur staunend im Gebet vor dem „Heiligen Gesicht“ in Manoppello verharrte. Das hatte vor ihm seit über 400 Jahren kein Papst mehr getan.

Es war ein leiser Quantensprung der Kirchengeschichte, den ich als Korrespondent der WELT begleiten durfte. Die konkrete Begegnung beschrieb ich vor zehn Jahren in meinem Bericht nach Berlin so: „Vor dem Bildwunder des heiligen Gesichts faltet der Papst die Hände und schaut nur. Die Finger ineinander verwoben. Reglos, ernst, versunken, mit weit offenen Augen, schweigend, schauend, eine Minute, zwei, drei, vier - eine Ewigkeit. Ein Chor von Seminaristen singt unter ihm ein Lied der kleinen Therèse von Lisieux, der Heiligen »vom heiligen Angesicht«, das die Schönheit von Jesu Antlitz immer neu besingt, die ‚ihr Herz entführt habe’, immer und immer wieder: ‚O Volto Santo di Gesù ...’ Der Papst schaut. Bewegen sich seine Lippen?

Als ihn ein Begleiter wieder die Stufen hinab führen will, winkt er mit der rechten Hand unwillig ab und bleibt weiter stehen, und schaut, noch einmal eine kleine Ewigkeit. Schließlich bekreuzigt er sich, geht vorsichtig die Stufen hinab, dann zum Altar zurück und ergreift das Wort. ‚Während meines Verweilens im Gebet dachte ich an die zwei Apostel, die Jesus in der Nähe des Jordans folgten und fragten: ,Rabbi, wo wohnst du?‘ Und er: ,Kommt und seht.‘ An diesem Tage folgten sie Jesus und machten eine unvergessliche Erfahrung, die sie dazu brachte zu sagen: ,Wir haben den Messias gefunden.‘ Plötzlich hätten sie die wahre Identität dessen erkannt, den sie vorher nur einfach als Meister und Rabbi wahrgenommen hatten.“

Es war die erste selbst gewählte Reise Benedikt XVI. innerhalb Italiens. Seinen „privaten Besuch“ hatte er gegen viele Widerstände im Vatikan unternommen, die auch in Manoppello streng darauf achteten, dass er dem Bild bei dieser Begegnung wegen der vielen Kameras nur ja nicht zu nahekam. Es half nicht. Er kam dem „Volto Santo “ dennoch nah genug für unvergessliche Aufnahmen. Mehr als dreihundert Medienvertreter und siebzig Fernsehsender aus aller Welt hatten bis zum Abend die Kenntnis der Existenz des Heiligen Gesichts von Manoppello mit tausenden Bildern erstmals auf ein planetarisches Niveau katapultiert, von Helsinki bis Feuerland.

Es war ein „point of no return.“ Von allen fünf Kontinenten bis zu den fernsten Inseln machen sich seitdem Ströme von Pilgern auf in die Abruzzen, zu einem bis dahin höchst einsamen Hügel hinter Manoppello.

Denn der geheimnisvolle Schleier, der sich hier bestaunen lässt, ist in Wahrheit das Sudarium (oder Schweißtuch), das der Evangelist Johannes in seinem Bericht der Auferstehung Christi prominent und erstmals erwähnt, und er wurde seit dem 16. Jahrhundert hier in einem Konvent in der Wildnis am Fuß des Majella-Massivs versteckt. Von den Stufen der Basilika lässt sich das Meer quasi riechen, auch im Hochsommer weht hier immer ein frischer Wind. In der Öffentlichkeit Europas und im Raum der römisch-katholischen Kirche tauchte dasselbe Bild aber erstmals in Rom auf, am 20. Januar 1208 , als Papst Innozenz III. dort das „Sudarium Vaticanum quod Veronica vocatur“ (das Vatikanische Schweißtuch, das Veronika genannt wird) feierlich vom alten Petersdom in das Hospital Santo Spirito in Sassia trug.

Der überaus zarte Schleier aus Muschelseide hat keine Farbspuren und lässt sich wegen der Beschaffenheit des kostbaren Materials auch gar nicht bemalen. In den 70er Jahren hat erstmals der Kapuzinerpater Domenico da Cese entdeckt, dass es sich bei dem Gewebe um nichts anderes als um das gefaltete Sudarium (oder Schweißtuch) Christi handeln kann, „das auf dem Kopf“ Jesu gelegen habe, von dem Johannes im 20. Kapitel seines Evangeliums berichtet, wo Petrus und Johannes es in dem leeren Grab erblickten, „abseits“ der Felsbank, auf der sich das große leere Leichentuch aus Leinen befand.

Was Johannes mit Sudarium aber genau meint, hat er – wie um spätere Missverständnisse vor rund 2000 Jahren schon auszuräumen –kurz zuvor bei seinem Bericht der Auferweckung des Lazarus – mit folgenden Worten klar definiert, im 11. Kapitel seines Evangeliums. “Da nahmen sie den Stein weg,“ lesen wir da und weiter: „Jesus erhob seine Augen und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. Ich wusste, dass du mich immer erhörst; aber wegen der Menge, die um mich herumsteht, habe ich es gesagt; denn sie sollen glauben, dass du mich gesandt hast. Danach rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! Da kam der Verstorbene heraus; seine Füße und Hände waren mit Binden umwickelt, und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch verhüllt. Jesus sagte zu ihnen: Löst ihm die Binden und lasst ihn weggehen!“

Das heißt, das Schweißtuch hatte in dem Sinn, in dem Johannes den Begriff benutzt, mit Schweiß nichts zu tun. Er war nichts anderes als ein Schleier, der nach jüdischer Begräbnissitte auf das Gesicht des Toten gelegt wurde. War es aber so, dann hat das Sudarium auch im Grab Jesu ganau so auf dem Gesicht des Herrn gelegen, also über Augen, Nase und Mund. Und wenn der Schleier in Manoppello tatsächlich mit diesem Sudarium identisch ist – wofür eine große Zahl vernünftiger Argumente sprechen - dann hat dieser Schleier den ersten Atemzug des Auferstandenen bei seiner Erweckung von den Toten aufgenommen – ähnlich wie es mit dem groben Umhang des heiligen Juan Diego geschah, den die Madonna am 12. Dezember 1531 am Stadtrand von Mexiko anhauchte – auf dem wir seitdem das unverwesliche Bild der Jungfrau von Guadalupe erblicken.

Wie das „Heilige Gesicht“ in das spinnwebenfeine Gewebe von Manoppello gekommen und entstanden ist, kann jedenfalls kein Mensch erklären. Dennoch bezeugt es das Ereignis jenes heiligen Erwachens aus dem Todesschlaf zum Leben auf so eindrückliche und deutliche Weise, wie die vielen Blutspuren auf dem Turiner Grabtuch von der Passion und Kreuzigung Christi erzählen. - Gewiss ist nur, dass der Bildschleier des „Heiligen Gesichts“ bis zum so genannten „Sacco di Roma“ im Mai 1527 in Sankt Peter in Rom verwahrt und verehrt wurde, wie zahllose Kopien aus den Jahrhunderten davor belegen, wobei die größte Schwierigkeit aller Kopisten jener Zeit darin bestand, gleichzeitig das Antlitz Christi und die Transparenz des Schleierbilds darzustellen.

Dieses durchsichtige Leuchten, das Pilger in Manoppello so überwältigend fasziniert, war fast unmöglich darzustellen und dennoch das Kriterium Nummer 1, um eine heutige Identifizierung des „Volto Santo“ mit dem damals so genannten Schleier der Veronika verlässlich vorzunehmen. Kein Werk aus Menschenhand kam zwar jemals auch nur ansatzweise an das stets als singuläres Objekt definierbare Original heran. Dennoch sind eine genügend große Anzahl von Gemälden aus dem 13. bis zum 16. Jahrhundert auf uns zugekommen, in denen die Darstellung der Transparenz erstaunlich gut gelungen ist, von Meistern wie Johan Wolgemut, dem Lehrer Dürers, aus Nürnberg, bis zu dem Katalanen Joan Mates aus Barcelona oder Robert Campin aus Flémalle im belgischen Wallonien.

In dieser Welt des Westens tauchte der Bildschleier, wie gesagt, zum ersten Mal im Januar 1208 in der Öffentlichkeit auf, und zwar in Rom, in der Hand eines Papstes, als Innozenz III. (1198 – 1216) das Heilige Sudarium in einer Prozession persönlich und barfuß von Sankt Peter in ein nahes Pilgerhospital trug, also 149 Jahre, bevor das Grabtuch Christi aus Turin erstmals im Jahr 1357 in Lirey in der Champagne öffentlich ausgestellt wurde. Im Raum der Ostkirchen, wo beide Tücher das erste Jahrtausend verbrachten, lassen sich ähnliche Jahreszahlen schwieriger dokumentieren. Manche Theologen sprechen deshalb von einem „garstigen Graben“ in der Überlieferung zurück zu einer eher ungesicherten Herkunft der Grabtücher.

Dieser Graben ist aber bei genauer Betrachtung weder unüberwindlich groß noch garstig. Ein erst in jüngster Zeit wiederentdecktes Mosaik aus dem 3. Jahrhundert aus dem alten Edessa zeigt schon das aus Manoppello bekannte Christusantlitz unterwegs auf dem Weg von Jerusalem zu uns. Anfang des 8. Jahrhunderts gelangte es vermutlich nach Rom. Und schon damals erwähnte Amalarius von Metz, (775 – 850) der führende Liturgiker der Karolinger, den Gebrauch einer „Sindone“ (d.h. eines Grabtuchs) als notwendige Tischdecke für den Altar in der römischen Liturgie, die nach dem Willen Karl des Großen im ganzen neuen Römischen Reich verbindlich werden sollte, dazu ein mehrfach gefaltetes „Sudarium“ als Corporale, d. h. als jenes Tüchlein, das von den Priestern nur noch mit Daumen und Zeigefinger angefasst werden durfte, sobald es einmal mit dem verwandelten Brot in Berührung gekommen war.

Christliche Liturgie aber war nie einfach gemacht, sondern immer geworden von ihrem Ursprung in Jerusalem her. Deshalb können und dürfen wir uns Liturgie auch als so etwas wie die Festplatte aus der Mitte aller kirchlichen Erinnerung vorstellen. Sie weist immer auf den Anfang hin. Sehr lange waren die Altäre der römisch-katholischen Kirchen darum auch gar keine Tische, sondern Grabbänke, die jener Grabbank des Heiligen Grabes in Jerusalem nachgestaltet waren, auf der sich Jesu toter Leichnam am Ostermorgen in den lebendigen Leib Christi verwandelte – so wie sich im Messopfer unter den Händen der geweihten Priester leblose Hostien immer neu in den Leib des Herrn verwandeln.

Das Grab in Jerusalem ist jedenfalls der vornehmste Brunnen aller christlichen Liturgie. Das verklärte Gesicht Gottes aus diesem Grab aber ist das unglaubliche Urmeter unseres Glaubens - für unsere und jede noch kommende Zeit. „Deus Caritas est“, Gott ist die Liebe, hat Benedikt XVI. seine erste Enzyklika genannt, zu der er sich – wie er selber bei der Vorstellung des Schreibens sagte - auch durch Dantes „Göttliche Komödie“ inspirieren ließ, deren „kosmische Reise“ am Ziel vor das menschliche Angesicht Gottes führt. - „Liebe ist die Blüte Gottes,“ sagt hingegen die heilige Faustyna Kowalska, „Barmherzigkeit ist seine Frucht“. - All dies findet sich eingeschlossen wie in einem Bernstein in jenem Blick, der uns aus dem Heiligen Schweißtuch so ruhig anschaut. Von der Sehnsucht nach diesem Gesicht sind die Psalmen und ist die ganze Bibel wie mit einem goldenen Faden durchzogen.

Sollte die Welt noch 500 Jahre bestehen, werden unsere Bücher nach der Medienrevolution, deren Anfänge wir gerade erleben, wohl nur noch von Spezialisten gelesen werden können – so wie heute nur noch hochgelehrte Spezialisten die Handschriften des Mittelalters entziffern können. Aber auch dann noch wird das Erbe Benedikt XVI. jenes Gesicht Gottes sein, das er am 1. September 2006 in schweigendem Gebet wieder in die Kirche zurückgeholt hat, als unverwesliches Urmeter unseres Glaubens an die Menschwerdung, den Tod und die Auferstehung Gottes in Jesus Christus, unserem Herrn.


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Paul Badde
Die Grabtücher Jesu in Turin und Manoppello


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