Weinen erlaubt

2. September 2016 in Kommentar


BeneDicta: Ab sofort jeden Freitag auf kath.net ein Kommentar der Woche von katholischen Frauen, zum Start ein Kommentar von Inka Hammond


Linz (kath.net)
Wann hast du das letzte Mal bei einem Kinofilm geweint? Oder beim Lesen eines Buches? Oder kannst du dich erinnern, als dir beim ersten Schultag deines Kindes die Tränen kamen oder als du Abschied nehmen musstest von einer lieben Freundin, die weit weg wohnt? Ich bin mir ziemlich sicher, dass dir eine Situation in den Kopf kommt, wo du sehr emotional reagiert hast und dass das noch gar nicht so lange her ist. Wo du so ‚typisch Frau‘ warst. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass du zur Sicherheit immer die Tempos in der Handtasche hast. Und in weiser Voraussicht lieber die wasserfeste Mascara benutzt.

Wenn mir die Tränen kommen, und das tun sie oft, dann hat mein Mann diesen Blick. So ein bisschen von oben und gleichzeitig von der Seite, mit diesem schäkernden Schmunzeln, das sagt: ‚Ach, du.‘ Nicht böse gemeint, eigentlich ganz liebevoll – er kennt mich halt nach fast 15 Ehejahren ziemlich gut. (Nachdem ich meinem Mann den Inhalt des Artikels verraten hatte, meinte er: ‚Da bist du ja Expertin.‘ Soviel dazu!) So richtig verstehen tut er sie aber nicht, meine Gefühlsausbrüche - die leider die Angewohnheit haben ungelegen zu kommen. Was soll ich aber machen? Mein Herz ist wie ein weicher Waldboden, nachdem es ganz viel geregnet hat. Bei jedem Schritt quillt Wasser hervor. Oder wie ein Glas das schon längst randvoll ist, aber es wird immer wieder nachgegossen. Es läuft über. Und das kommt dann als Tränen bei meinen Augen heraus, dieses Vollsein meines Herzens. Dieses Überfließen meiner Gefühle.

Tränen gehören zu den meisten Frauen dazu, wie die Bohrmaschine zum Mann. Und ich finde es wunderbar! Und ich meine hier nicht die Tränen die aus tiefster Verzweiflung und Schmerz geweint werden. Ich meine die mitfühlenden Tränen, die Tränen, die kommen, wenn jemand davon erzählt, wie er Jesus erlebt hat. Freudentränen. Ich-leide-mit-dir-mit-Tränen. Ich-kann-nicht-glauben-wie-schnell-die-Zeit-vergeht-Tränen.
Tränen sind der Spiegel unsere Seele, sie zeigen, dass wir (mit)fühlen können, dass wir empfindsam sind, dass unser Herz erzittert, wenn wir Unrecht sehen, dass wir bewusst und tief wahrnehmen, was sich um uns herum abspielt.

Aber Tränen machen auch verwundbar. Sie zeigen meine Seele dort, wo jeder hinsieht: auf meinem Gesicht. Und das ist mir auch unangenehm. Unsere Gesellschaft hat keinen Platz für heulende Weibsbilder. Denn Weinen wird allzu oft mit Schwäche und Unvermögen assoziiert. Da ist man dann ganz schnell die Drama Queen. Die, die immer übertreiben muss.

Weinen ist für das Gegenüber fast immer eine Überforderung. Mit Zerbrochenheit, mit Zartheit können wir nur sehr schwer umgehen, es ist fast ein Ärgernis in unseren hoch durchstrukturierten Abläufen, in unserem Drang alles zu planen, unter Kontrolle zu haben. Frauen die weinen, haben da keinen Platz. Wir haben uns mit unserem Weinen auf die Wohnzimmercouch zurückgezogen.

Und das muss sich ändern. Schluss mit dem versteckten, beschämten Abtupfen. Nie wieder den Raum verlassen, weil die Augen schon wieder feucht werden. Bewässere mit deinen Tränen den harten Boden des Realismus. Wasche mit deinem Weinen die Härte des Feminismus weg. Weiche die Mauern des egozentrischen Lebensstils auf.

Sanfte, weiche Herzen braucht das Land.

Denn ich glaube, Gott hat uns Frauen mit den Tränen beschenkt. Es sind auch prophetische Tränen, die wir weinen sollen und dürfen. Schäme dich nicht für dein wundes, offenes Herz. Weine die Tränen Jesu, die er über Jerusalem vergossen hat. Weine mit Maria über den qualvollen Tod des Gottessohnes. Sieh, wie deine Tränen die Füße Jesu benetzen, wie einst die von Maria aus Magdala.

Dein sanftes Herz ist Gottes Megafon in unsere abgeklärte, kalte, berechenbare Welt. Lass dich berühren von Gottes Geist und fange an zu weinen über all das Verlorene, das Vergessene, das Verwundete. Lass die Tränen fließen, wenn Gott zu dir redet und lass die Tränen reden von einem Gott, dessen Herz brennend für diese Welt schlägt.

Ab sofort kommentieren in der neuen kath.net-Reihe BeneDicta jeden Freitag Gudrun Trausmuth, Inka Hammond, Isabella von Kageneck, Petra Knapp und Linda Noé wichtige Themen über Gott, die Welt und alles, was die Herzen noch so bewegt.


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