Mein Herr und mein Gott

26. August 2016 in Kommentar


In der Gestalt eines weißen, sauberen Brotes kommt zu mir der Gegeißelte, Dornengekrönte, Gekreuzigte – und zugleich der Auferstandene, Verherrlichte. Ein Beitrag von Claudia Sperlich im Rahmen des Sommer-Schreibwettbewerbs von kath.net


Berlin (kath.net) Ich empfange den Herrn in der Kommunion, und ich bete Ihn an. Er will, dass ich Seine Hingabe mit meiner Hingabe beantworte, dass ich Ihn empfange und Ihn anbete, weil genau das meinem Seelenheil dient – weil Er mich liebt.

Was bete ich da eigentlich an? Brot? Ein Symbol für Gott?

Die konsekrierte Hostie ist physisch immer noch ein Stück Brot – zwar gibt es Hostienwunder auch in jüngerer Zeit, aber ich spreche jetzt eben nicht von Wundern der physischen Verwandlung, sondern von dem einen alltäglichen Wunder jeder Messe, dass es materiell Brot bleibt und zugleich Leib Christi ist, wirklich ist, nicht nur für den Gläubigen symbolisiert, durch die Wandlung zum Leib Christi geworden ist, und zwar vollständig. Der Herr ist nicht „in“ der Hostie, sondern die Hostie ist Er. Jeder Krümel der konsekrierten Hostie ist der ganze Herr – und bleibt doch nur bis zur vollständigen Auflösung des Brotes. Der Herr ist ewig, die Hostie ist kurzlebig, und doch ist das kleine Stück Brot Gott.

Ich knie vor dem Tabernakel, weil ich weiß, dass Gott selbst in der Gestalt von Brot in diesem kleinen Kasten wohnt. Er ist zwar überall, ist in allem. Es gibt einfach keinen Ort, wo Er nicht ist. Aber leiblich ist Er nur in Jesus Christus, und damit in der Hostie, denn Er hat ja gesagt: „Das ist Mein Leib.“

Der Herr gibt sich mir zur Nahrung, zum Heilmittel für die Seele, aus reiner Liebe. Er ist überzeitlich, deshalb konnte Er, lange bevor ich entstand, meine Sünden am Kreuz sühnen – sich zu Tode quälen lassen um meinetwillen. Die Hostie ist das unblutige Opfer, dem die äußerst blutige freiwillige Selbstopferung Christi voranging. In der Gestalt eines weißen, sauberen Brotes kommt zu mir der Gegeißelte, Dornengekrönte, Gekreuzigte – und zugleich der Auferstandene, Verherrlichte. Die Hostie ist das lebendige, schauende, wissende Herz Jesu. Mein Herr und mein Gott.

Er hat gewählt, sich selbst klein und hilflos zu machen – als Kind, als unschuldig Verurteilter am Kreuz, als Hostie. In der Gestalt des Brotes, auch im Tabernakel eingeschlossen, macht Er sich besonders verletzlich – wir schützen die Hostie, so gut wir können, aber auch ein Tabernakel kann aufgebrochen werden. Hostienschändungen sind in jüngster Zeit mehrfach vorgekommen. Er könnte das verhindern, könnte jedem Hostienschänder als machtvoller Gott ins Gesicht springen – aber Er zieht es vor, den Menschen die Freiheit zu lassen, auch wenn sie diese missbrauchen.

Er, der Zeit und Raum erschaffen hat, selbst unmessbar in Seiner Größe, macht sich dinglich, klein, wahrnehmbar und in dieser Gestalt sogar zerstörbar. Dennoch bleibt Er der Ewige, Unendliche. Deshalb ist jeder Krümel konsekrierten Brotes, jeder Tropfen konsekrierten Weines ganz und gar Er, wird aber durch die Konsekration nicht vermehrt und durch den Verzehr nicht vermindert. Ansatzweise lässt sich das in der Mathematik begreifen: Eine unendliche Menge bleibt unendlich, gleich wieviel man ihr entnimmt oder hinzufügt.

Ich knie vor Ihm und bete Ihn an. Nicht immer gelingt mir das. Die alltäglichen Sorgen, eigene und fremde, lenken mich ab. Dann bitte ich um etwas oder für jemanden, aber das ist nicht Anbetung, auch nicht, wenn es auf Knien und vor dem Tabernakel geschieht. Eher schon: „Ich liebe Dich“ - das ist zu einem meiner liebsten Gebete geworden, aber es birgt eine Gefahr: der Satz sagt sich so leicht dahin, ist so oft banalisiert, so leicht sentimental. Hilfreich ist, Ihn mit einzelnen Namen anzusprechen: Jesus. Christus. Heiland. Retter. Anker. Herr.

Anbetung ist auch möglich, wenn es mir gerade nicht möglich ist, die Eucharistie zu empfangen. Wenn mein Leben so in Unordnung geraten ist, dass ich den Herrn nicht würdig empfangen kann, dann darf ich trotzdem vor Ihm knien. Möglicherweise wird mir dabei auch klar, wie ich meine Schuld in der Beichte vorbringen kann und wie ich sie künftig vermeide. Anbetung stärkt für den Kampf gegen Satan.

Es kann geschehen, dass ich in der Herzgegend eine Antwort spüre, dass Jesus fühlbar an meinem Herzen zieht. Das ist für mich eine Mahnung, mir nicht so viel auf meinen Geist einzubilden – der langt nicht, Gottes Anwesenheit in der Hostie anzunehmen. Ohne die niedere Gefühlsebene verstünde ich es nicht. Zugleich ist es eine große Gnade, Seine Liebe zu spüren.

Und wenn ich vor Ihm knie und gar nichts spüre, außer vielleicht, dass die Kniebank hart ist, wenn ich abgelenkt bin von Alltagsgedanken – dann ist es trotzdem gut, hier zu knien. Die Ablenkung kann ich als Versuchung verstehen und Gott bitten: „Nimm das weg von mir!“ Er tut es immer, und auch wenn neue Versuchungen und manchmal auch schlimmere kommen, hilft Er, sobald ich Ihn bitte. Das Knien vor dem Tabernakel ist zeitweise einfach ein Aushalten. Auch das ist gut, auch das kann man durch Übung lernen.

Und schließlich ist es auch eine Art der Stellvertretung, der Sühne und Fürbitte: Knien für die, die nicht vor Jesus knien; beten für die, die nicht zu Ihm beten. Anbetend bieten wir Gott eine Zeit unseres Lebens an für die schlecht genutzte Lebenszeit eines anderen.

Das alles ist ein Vorgeschmack der Seligkeit. Während ich die Hostie, den Herrn, betrachte oder auch mit geschlossenen Augen vor Ihm knie und mich von Ihm anschauen lasse, Seinen Blick auf mir spüre, weiß ich, dass ich Ihn einst unverhüllt schauen werde. Seine verklärte menschliche Gestalt werde ich sehen. Danach sehne ich mich, und darauf bereitet Er mich vor in der Eucharistischen Anbetung.

Wir sprechen davon, dass man „vor Gott stehen“ wird im Gericht. Ich glaube, das Stehen vor Gott geschieht zweimal. Zuerst im Sterben – im letzten Abschnitt des Lebens, wenn wir unser Leben ganz sehen, zugleich Jesus in Seiner Herrlichkeit erblicken und zum letzten Mal die Möglichkeit haben, uns für Ihn zu entscheiden. Dann kann wohl auch der schlimmste Verbrecher noch im Herzen sagen: „Jesus, es tut mir leid, verzeih mir – nimm mich an!“ Schwer vorzustellen, dass irgendjemand dazu zu stolz sein wird – aber die Entscheidung ist frei.

Dann, so stelle ich es mir vor, ist das Stehen vor Gott der letzte und schrecklichste Schritt durchs Fegefeuer. Wenn alle Sündenstrafen abgebüßt sind, wenn ich ganz rein bin, dann werde ich vor Gott stehen, Seine Herrlichkeit sehen und ganz genau begreifen, dass ich nicht würdig sein kann, Ihm zu dienen, dass keine noch so tiefe Demut und keine Reinheit des Herzens mich eigentlich würdig machen kann, Gott zu schauen.

Dann aber wird Er mich einladen, in alle Ewigkeit vor Ihm zu knien. Dann darf ich die Wundmale Seiner Füße küssen. Dann ist alles gut, ist alles so, wie es schon immer sein sollte, von Anbeginn der Welt. Dann ist alles so, wie kein Mensch es sich ausmalen kann, und zwischen meinem und Seinem Herzen ein Band, das nie reißt.

Zur Autorin: Ich bin 1962 geboren und 1984 katholisch getauft. Die katholische Kirche ist immer mehr meine Heimat geworden und prägt mein Leben immer stärker. Etwas in den Augen der Welt Gescheites habe ich nicht gelernt. Ich bin Dichterin und Übersetzerin lateinischer Texte sowie Bloggerin.

Der Beitrag erscheint im Rahmen des Sommer-Schreibwettbewerbs von kath.net. Wie finden Sie diesen Beitrag? Wir laden zum konstruktiven Feedback ein. Mit Ihrer Rückmeldung werden Sie "Teil der Jury". Gefällt Ihnen der Beitrag, dann liken Sie diesen bitte auch auf Facebook oder teilen diesen auf Twitter. Und machen auch Sie mit und schicken Sie uns Beiträge.


© 2016 www.kath.net