Schimmelnde Madonna

16. August 2016 in Chronik


Bis 1968 war es ein Wahrzeichen Erfurts: Das monumentale Marienmosaik an der Außenseite des Doms. Dann wurde es eingelagert, nun ist es akut von Schimmel bedroht. Von Karin Wollschläger (KNA)


Erfurt (kath.net/KNA) Die Madonna schimmelt. Das fast neun Meter hohe und sechs Meter breite Mosaik mit Gottesmutter und Jesuskind des Erfurter Marien-Doms (Archivfoto) ist von akutem Zerfall bedroht. Die Nachricht sorgte vor wenigen Tagen in der Thüringer Landeshauptstadt für Aufsehen – obwohl das monumentale Werk schon seit fast 50 Jahren in Kisten verpackt und eingelagert ist. «Immer noch fragen fast wöchentlich Dombesucher nach, was denn aus dem Marienmosaik geworden ist», berichtet Dombaumeister Andreas Gold. Von 1870 bis 1968 zierte die Glas-Keramik-Arbeit den äußeren Westgiebel des Doms und wurde zum Wahrzeichen, das bis Gotha leuchtete und in Erinnerung blieb.

Etwas in Vergessenheit geriet indes die fachgerechte Lagerung und Konservierung des Mosaiks. Bis vor einigen Monaten die angehende Restauratorin Janka Acht beim Domkapitel anfragte, ob sie das Werk für ihre Masterarbeit wissenschaftlich untersuchen dürfte. Nach ihren jetzt veröffentlichten Ergebnissen gibt es akuten Handlungsbedarf.

«Alle 133 eingelagerten Mosaikfragmente zeigen ohne Ausnahme einen starken biologischen Befall in Form eines weißen Schimmelbelages auf», erläuterte die Restauratorin am Montag in Erfurt. Bei manchen Fragmenten habe sie darüber hinaus einen schwarzen Belag feststellen können. Die hohe Feuchtigkeit des Domkellers, wo das Werk seit 1994 eingelagert ist, setze dem Mosaik massiv zu. Auch der Dombaumeister bestätigt: «Der Befall schreitet quasi von Sekunde zu Sekunde voran.»

Acht plädiert für eine umfassende Restaurierung und Neupräsentation des rund 44 Quadratmeter großen Mosaiks auf mobilen Platten. Minimum sei eine sofortige Umlagerung in einen optimal klimatisierten Raum sowie eine Trockenreinigung der Platten und Steinchen. «Der Schimmelpilz bildet seine Säure, die Teile des Glases angreifen und beschädigen», so die Restauratorin, die sich über vier Monate mit dem Mosaik beschäftigt hat. Im Zuge dessen ließ der Dombaumeister auch umfangreiche Materialanalysen erstellen.

Gold hat sich in seiner Zeit als Dombaumeister bereits öfter mit der Frage einer möglichen Neupräsentation des Mosaiks beschäftigt: «Bislang gibt es schlicht keinen geeigneten Ort, wo das Werk wieder seine volle Wirkung entfalten könnte.» Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass es seine größte Wirkung entfaltet, wenn man es aus der Ferne betrachtet. Dass aus konservatorischer Sicht die Aufbewahrung in einem Innenraum besser wäre, macht das Ganze nicht leichter.

Dass es das Mosaik überhaupt gibt, hängt mit der jüngeren Baugeschichte des Domes zusammen, oder vielmehr: mit seiner Umbaugeschichte. 1868 wurde - dem damaligen Zeitgeist des Historismus entsprechend - das aus dem Spätmittelalter stammende Walmdach des Langhauses durch ein neugotisches Satteldach mit Giebelfenstern ersetzt. Dadurch entstand über dem Westportal eine große Fassade mit Spitzbogen. Hierfür gab das Domkapitel ein Marienmotiv beim Historienmaler August Theodor Kaselowsky (1810-1891), Professor an der Königlich Preußischen Akademie der Künste in Berlin, in Auftrag. Dieser entwarf eine Muttergottes-Figur mit Jesuskind auf dem linken Arm und stellte diese auf goldenem Grund in eine mandelförmige Ellipse (Mandorla), die wiederum ein blauer Hintergrund mit goldenen Sternen umgibt. Nach dieser Vorlage fertigte 1870 die venezianische Werkstatt Antonio Salviati das Mosaik.

Doch das neogotische Dach a la mode hatte seine Tücken: Im Laufe der Jahre drang vermehrt Regenwasser ein. Bei einer erneuten Sanierung 1968 wurde der Giebel wieder durch ein Walmdach ersetzt - und die Madonna ging ihres Stammplatzes verlustig. Allen Protesten zum Trotz musste das Mosaik eingelagert werden, zunächst im Kreuzgang der Severi-Kirche auf dem Domberg, ab 1994 dann in einem der Domkeller. Dessen Feuchtigkeit allerdings rief den Schimmel auf den Plan.

Über den Umfang der Restaurierung und das weitere Vorgehen muss nun das Domkapitel entscheiden. Es befasst sich auf seiner nächsten Sitzung am 14. September erstmalig damit. Ein Punkt dürften dabei die Kosten sein, über die der Dombaumeister bislang keine öffentliche Schätzung abgegeben will.

Archivfoto des Marienmosaiks aus dem Jahr 1956


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