Nachruf auf Carmen Hernandez, Mitgründerin des Neokatechumenalen Weges

24. Juli 2016 in Kommentar


Dass auch Papst Franziskus ein Beileidstelegramm an die Trauergemeinde in Madrid sandte, ist gewiss ein ungewöhnlicher Akt. Von Paul Josef Kardinal Cordes


Vatikan (kath.net/pl) Carmen Hernandez war eine der beiden Gründer des „Neukatechumenalen Weges“ und leitete ihn bis zu ihrem Tod zusammen mit Kiko Arguello und P. Mario Pezzi. Sie wurde am vergangenen Dienstag vom Herrn des Lebens heimgerufen. Papst Franziskus sandte ein Beileidstelegramm an die Trauergemeinde in Madrid (siehe unten)– gewiss ein ungewöhnlicher Akt; denn noch nicht oft dürfte der Nachfolger Petri ein Wort des Trostes und der Ermutigung zum Tod einer Frau geschrieben haben, die weder ein kirchliches Amt noch hohe politisch-gesellschaftliche Verantwortung innehatte.

Offenbar hat der Heilige Vater in ihr ein bemerkenswertes Glied der Kirche erkannt. Diese temperamentvolle Spanierin hatte sich wie nur wenige Katholiken die Impulse des Vaticanum II zu eigen gemacht, die dann später der heilige Papst Johannes Paul II. mit der Proklamation und Initiation der „Neu-Evangelisierung“ auf den Punkt brachte. Sie war in den konziliaren Texten gleichsam zu Hause. Immer hatte sie ferner ein Ohr für die Botschaften der Päpste: das Transistor-Radio war ihr ständiger Begleiter, so dass ihr keine Übertragung von Audienz-Ansprachen, kein Angelus-Gebet und keine Ankündigung eines päpstlichen Dokuments in Radio Vatican entging. Noch stärker aber kennzeichnet sie aber wohl ihr unersättlicher Hunger, Gottes Wort kennen zu lernen, es korrekt auszuschöpfen und aus ihm katechetische Impulse abzuleiten. Ihr brillanter analytischer Verstand – sie hatte in Chemie promoviert – befragte fortwährend die wichtigen Publikationen der Exegese und Dogmatik; bei ihren vielen Reisen war sie immer mit einigen Büchern unterwegs, die sie mit Unterstreichungen und Kommentaren versah.

Carmen beachtete vorbildlich, dass der Glaube vom Hören kommt; dass er mit Gott und seinem Wort beginnt, welche im Herzen des Menschen ein Echo finden müssen. Der Gründerin war daran gelegen, dass sich die Heilsbotschaft mit den modernen Erkenntnissen vom Menschen und Gesellschaft zu verbinden hat, dass sie aber dennoch allem diesseitigen Wissen immer vorgeordnet zu bleiben hat. Mit dieser Orientierung steht sie kontradiktorisch gegen eine moderne Verwässerung der Offenbarung – die sich leider auch unter Christen findet, wenn man sagt: „Der Mensch weiß aus sich selbst, was Gott will; er finde Gottes Willen in seinem Herzen; und im Übrigen ist Gott ja auch nicht so kleinlich, wie die Kirche meint!“

Als Theologin vermittelte sie dem Neukatechumenat das Unausdenkbare: Mit seiner Erwählung hat der allmächtige Schöpfer des Himmels und der Erde uns etwas von sich selbst preisgegeben: er hat uns seinen Willen geoffenbart. Schon das hebräische Volk hat diese einmalige Selbstmitteilung Gottes als große Gnade empfunden – wie es sie etwa im Psalm 119 auf viele Weise besingt. So ist Gottes Weisung keine Begrenzung unserer Freiheit, sondern der einzig verlässliche Weg zu unserm Glück. Carmen war mitten in einer Christenheit, die oft den Geist der Welt als Weg zum Glück propagiert, eine große Glaubende.

Ohne Frage zeichnete sie sich nicht durch behutsame Umgangsformen aus. Auch bei Treffen mit Bischöfen und Priestern begann sie nicht mit Freundlichkeiten und Komplimenten, um Sympathie zu gewinnen. Sie sagte unverblümt, was Sache war. Sie ließ sich in einer Gesellschaft, die zu diplomatischem Kalkül und notfalls auch zur Verstellung rät, von absoluter Wahrhaftigkeit leiten. Kühl schilderte sie ihre Erfahrungen, die den Gesprächspartner gelegentlich irritierten oder schmerzlich trafen. In einer meiner ersten Begegnung als Vizepräsident im päpstlichen Rat für die Laien reizte sie auch mich mit einem Redeschwall provozierender Feststellungen. Meine Geduld war bald aufgebraucht. Irgendwann schlug ich mit der Hand auf den Tisch, unterbrach sie und sagte scharf: „Basta, adesso parlo io - Basta, jetzt rede ich!“ Meine Anfangs-Kontakte mit dem Neukatechumenat verhießen also keineswegs eine „Love-Story“.

Doch mit der Zeit wuchs meine Einsicht in die missionarische Vitalität ihrer Gründer. Später wurde ich von Papst Johannes Paul II. offiziell zu seinem bischöflichen Begleiter ernannt. Und heute bin ich dankbar für das viele Gute, das ich selbst von diesen kirchlichen Charisma erlernt habe und vor allem für die geistlichen Früchte, die durch die Initiative von Kiko und Carmen der Christenheit geschenkt wurde. Über einer Million Katholiken ist das Neukatechumenat heute eine bewährte Stütze des Glaubens- und Lebensweges. Die Anzahl der gegründeten Priesterseminare liegt trotz der vielbeklagten Armut an Priesterberufen inzwischen bei mehr als einhundert – von den Eintritten in kontemplative Orden ganz zu schweigen. Und was noch wichtiger ist: die Bereitschaft von Kiko und Carmen, ihre ungewöhnliche Sendung durch Gott auch anzunehmen, bezeugt in der Welt und der Christenheit ein weiteres Mal: Das Evangelium ist nicht gestrig; authentische Zeugen belegen seine Kraft auch für heute; und viele Zeitgenossen warten auf glaubwürdige Boten des Evangeliums.

ANHANG: kath.net dokumentiert den Beileidsbrief von Papst Franziskus an Francisco (Kiko) Argüello in einer Übersetzung des Neokatechumenats in voller Länge:

An Herrn Francisco (Kiko) Argüello
Neokatechumenaler Weg, Madrid

Ich habe die bewegende Nachricht über den Tod von Frau Carmen Hernández erhalten, nach einem langen Leben, das geprägt war von ihrer Liebe zu Jesus und von einem großen missionarischen Enthusiasmus. In diesem Moment der schmerzlichen Trennung bin ich geistlich mit meinem Mitgefühl allen Verwandten und dem ganzen Neokatechumenalen Weg nahe, dessen Mit-Initiatorin sie war, sowie auch allen, die ihren apostolischen Eifer geschätzt haben, der vor allem im Aufzeigen eines Itinerariums der Wiederentdeckung der Taufe und der fortwährenden Bildung des Glaubens konkret wurde. Ich danke dem Herrn für das Zeugnis dieser Frau, die beseelt war von einer aufrichtigen Liebe zur Kirche, die ihr Leben der Verkündigung der Guten Nachricht gewidmet hat, das überall, auch bei den am meisten Entfernten, ohne die am meisten ausgegrenzten Personen zu vergessen.

Ich vertraue ihre Seele der Göttlichen Güte an, auf dass Sie sie in die Seligkeit des ewigen Pascha aufnehme und die ermutige, die sie gekannt haben und Teil des Neokatechumenalen Weges sind, ihr Verlangen nach Evangelisierung lebendig zu erhalten, in einer aktiven Kommunion mit den Bischöfen und Priestern und in Geduld und Barmherzigkeit mit allen.

In diesem Anliegen rufe ich die mütterliche Fürsprache der Jungfrau Maria an und erteile allen, die bei den Exequienriten anwesend sind, meinen apostolischen Segen.

Franciscus PP.
Vatikan, 20. Juli 2016

Papst Franziskus empfängt Mitglieder des Neokatechumenalen Weges am 18.3.2016 zur Audienz


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Foto Frau Hernandez © Wikipedia/CC BY-SA 3.0/Cutrupe


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