Monster auf dem Friedhof

20. Juli 2016 in Jugend


Massenwanderungen Jugendlicher mit ihrem Handy durch Städte und Natur, in Kirchen und auf Friedhöfe wegen des Online-Spiels „Pokémon Go“. Von idea-Redakteurin Julia Bernhard - Mit Info-Video


Wetzlar (kath.net/idea) Seit einer Woche trifft man viele Jugendliche mit dem Handy in der Hand auf Feldwegen, an Kirchentüren, im Wald oder auf Friedhöfen. Die Massenwanderungen durch die Städte und die Natur entspringen aber nicht etwa der Erkenntnis, dass frische Luft guttut. Der Grund nennt sich „Pokémon Go“, ein Online-Spiel, bei dem kleine Zeichentrickfiguren in der realen Umwelt gesucht werden. Von idea-Redakteurin Julia Bernhard.
Wer nicht weiß, wer der süße Pikachu, die coole Mauzi und der lilafarbene Bluzuk sind, der sollte jetzt ganz genau lesen, hat er doch wirklich großen Nachholbedarf. Pikachu und Co. lauern nämlich gerade überall: an der Ampel, auf der Brücke, im Supermarkt, an der Tankstelle – sogar auf dem Friedhof.

Hinter den merkwürdigen Namen verbergen sich sogenannte Pokémons, japanische Zeichentrickfiguren. Die bunten kleinen Monster tauchten erstmals 1996 in einem Videospiel auf, das damals Kinder und Jugendliche weltweit begeisterte. Die Spieler sammelten auf dem heimischen Bildschirm Pokémons und trainierten sie, um anschließend mit ihnen Kämpfe gegen andere Figuren auszufechten.

Wie funktioniert es?

Jetzt erlebt das Spiel ein Comeback im digitalen Zeitalter. Die neue Version nennt sich „Pokémon Go“ und wird mittels einer App auf dem Smartphone gespielt. Die Umgebung, in der die kleinen Monster gefangen werden, ist nicht länger fiktiv. Die Figuren werden in die reale Umwelt hineinprojiziert. Man sieht auf dem Handy wie durch eine Kamera den Feldweg vor sich und mitten darauf sitzt ein Comicmonster. Nun geht es darum, mit einem Wisch auf dem Bildschirm die Figur möglichst schnell einzufangen. Langsam baut man sich so seinen eigenen „Zoo“ auf. Um den Standort des Spielers zu ermitteln, nutzen die Hersteller GPS-Daten. Die meisten Pokémons befinden sich an Sehenswürdigkeiten, Wahrzeichen und anderen auffälligen Objekten. Auch vor sakralen Bauten machen sie nicht halt. So sind bereits Figuren im Würzburger Dom und auf verschiedenen Friedhöfen gesichtet worden. Das Spiel ist innerhalb weniger Tage zu einem Renner geworden. Zeitweise stürzten sogar Server ab, da zu viele auf die App zugriffen.

Jugendliche erstmals im Wald

Thomas Dörken-Kucharz vertritt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) im Beirat der USK (Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle), die für den Jugendschutz bei Computerspielen zuständig ist. Ihn fasziniert das neue Spiel. „Es verbindet, regt zu Diskussionen unter Jugendlichen an und bringt sie raus in die Natur. Es wird jetzt nicht mehr darüber diskutiert, wie lange man online bleiben darf, sondern wie lange man draußen bleiben kann.“ Außerdem entdeckten die jungen Leute ihre Umwelt ganz neu. Sein 14-jähriger Sohn habe gerade ein Pokémon an einem Stolperstein gefunden, der ihm vorher nie aufgefallen sei, sagte Dörken-Kucharz.

Pokémon bringt Menschen in die Kirchen

Es stelle sich allerdings auch die Frage, welche Orte nicht von den kleinen Monstern besiedelt werden sollten, wo also Grenzen zu ziehen seien. „Ein Giftgasmonster an einem Holocaust-Mahnmal ist eindeutig unzulässig“, erklärte er. Nintendo habe aber schon darauf reagiert: Es wurde sofort entfernt. Jeder Spieler kann unzulässige Orte melden, etwa wenn er die Totenruhe beeinträchtigt sieht. „Pokémonfiguren an oder in Kirchen empfinde ich aber nicht als Grenzüberschreitung. Es ist doch gut, dass Leute in unsere Kirchen kommen, auch wenn es zunächst einen anderen Hintergrund hat. Vielleicht finden sie ja mehr als ein Pokémon”, wünscht sich der Pfarrer.

Eltern sollen mitmachen

Allen Eltern, die Bedenken bei dem Spiel haben, rät der Vater von drei Kindern, mitzumachen. „Oder man lässt es sich wenigstens erklären. Wenn man es verstanden hat, kann man mit seinem Kind auf einer ganz anderen Ebene reden und ihm dann auch die eigenen Bedenken verständlich machen.“ Denn natürlich sei die Monster-Hysterie nicht ganz unproblematisch. „Man sieht die Wirklichkeit nur über den Bildschirm. Das kann im Straßenverkehr schon eine Gefahr bergen.“ Auch Kostenfallen in dem zunächst kostenfreien Spiel müssen den Kindern und Jugendlichen deutlich gemacht werden. Um gute Utensilien für das Training der Figuren zu erhalten, kann man nämlich schon mal zur Kasse gebeten werden. Und wer ein Pokémon in einer Kirche fangen will, sollte sich bewusst sein, dass es für viele Menschen ein Ort der Ruhe und Einkehr ist, und sich entsprechend benehmen.

ZDF - Hype um Pokémon Go



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