Die Größe Benedikts XVI.

20. Juli 2016 in Aktuelles


Ein Sommergespräch mit Kurt Kardinal Koch. Teil 2: der Schatz des Lehramts Benedikts XVI und die Prophetie der ‚Regensburger Enzyklika’ zehn Jahre später. Der ‚Bund zwischen Liebe und Vernunft’. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) In einem Sommergespräch hat sich der Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Kurt Kardinal Koch, viel Zeit genommen, um sich mit wesentlichen Problematiken auseinanderzusetzen, die ihre große Relevanz in der letzten Zeit immer mehr bewiesen haben.

Im zweiten Teil beschäftige sich der Kardinal mit der „lectio magistralis“ Benedikts XVI. vom 12. September 2006 in Regensburg und deren Prophetie. Koch unterstreicht: mit dieser Vorlesung „hat Benedikt XVI. eine neue Begegnung zwischen Christentum und Islam ermöglicht“.

„Caritas et Misericodia in Veritate“, der eucharistische Papst und das Anliegen seines Buches „Bund zwischen Liebe und Vernunft“ sowie Kerngedanken, die sich auch aus der jüngsten Ansprache Benedikts XVI. anlässlich seines 65. Weihejubiläums am 28. Juni 2016 ergeben, bilden den Abschluss der Reflexionen eines Kardinals und Theologen, der es nicht müde wird zu betonen: der Schatz des Lehramts Benedikts XVI. muss erst noch gehoben werden.

„Der zentrale Stellenwert der Eucharistie in der Theologie von Papst Benedikt XVI.“, so Koch, „macht auch die innerste Mitte der Liturgie sichtbar. Da die Eucharistie uns geschenkt ist und wir uns in ihr Gott verdanken, feiern wir in der Liturgie nicht uns selbst, sondern Gott. Von daher versteht sich der Primat der katabatischen Dimension der Liturgie, die freilich nach ihrer anabatischen Dimension als Antwort des Menschen auf die Heilsinitiative Gottes ruft. Das eucharistische Verdanktsein zeigt sich auch in Ratzingers Verständnis der Offenbarung Gottes, die wir nicht er-finden können, die uns vielmehr geschenkt ist und der wir nach-denken dürfen“.

Ich danke Seiner Eminenz für seine Freundlichkeit und das großherzige Geschenk seiner Zeit. A. Schwibach.


Am 12. September ist der 10. Jahrestag der „Regensburger Enzyklika“, der wichtigen Ansprache von Benedikt XVI. über „Glaube und Vernunft“ an der Universität Regensburg. Obwohl der Papst damals dem Problem „Islam“ nur wenige Worte gewidmet hatte, mit denen er eine breit angelegte Reflexion einleitete, wurden diese zum Anlass genommen, dies auch gesteuert von gewissen Instanzen der Medien, Benedikt XVI. als „Feind“ des Islam mit „Kreuzzugsmentalität“ darzustellen. Völlig in den Hintergrund trat das eigentliche Anliegen des Papstes. Trotz aller geleiteten Missverständnisse kam es dann zu vertieften Gesprächen zwischen der katholischen Kirche und hochrangigen Vertretern des Islams. Grundlage dieser Gespräche war die Sicht des Papstes, dass interreligiöser Dialog kein theologischer Dialog sein kann, sondern ein interkultureller Dialog sein muss.

Worin sehen Sie gerade in der heutigen dramatischen Situation (Terrorismus, IS, zunehmende Radikalisierung des Islam, Massenimmigration vornehmlich junger Menschen, Ablehnung gewisser Errungenschaften einer aufgeklärten, aber auch orientierungslosen westlichen Kultur) die Chance, die – ausgehend von der prophetischen Intuition Benedikts XVI. – zu ergreifen wäre?

Kardinal Koch: Die Vorlesung von Papst Benedikt XVI. in Regensburg ist in der Tat prophetisch gewesen, weil sie auf einen wunden Punkt im Islam aufmerksam gemacht hat. In erster Linie ist es freilich nicht um eine Auseinandersetzung mit dem Islam gegangen, sondern um die Frage des Verhältnisses von Glaube und Vernunft, was bei Papst Benedikt immer auch den griechischen Geist einschließt. Er hat deshalb vor allem von einigen Wellen der Enthellenisierung in der Reformation, in der Liberalen Theologie und in der heutigen Begegnung mit der Vielfalt der Kulturen gesprochen.

Prophetisch ist die Vorlesung von Papst Benedikt vor allem in zweifacher Hinsicht: Auf der einen Seite muss auch im interreligiösen Dialog die intellektuelle und vernünftige Auseinandersetzung gewagt werden. Diesbezüglich ist auch im christlich-islamischen Gespräch noch Vieles einzuholen. Man redet heute beispielsweise im Blick auf Judentum, Christentum und Islam gerne von den drei abrahamitischen Religionen, blendet dabei aber schnell aus, dass das Verständnis von Abraham recht verschieden ist. Der Kernpunkt der intellektuellen Auseinandersetzung besteht vor allem in dem, was der Islam als die Ursünde des Christentums beurteilt, nämlich die Beigesellung Gottes. Dass Gott einen Sohn hat, ist für den Islam das Unannehmbare. An dieser Grunddifferenz darf der Dialog nicht vorbei sehen. Sie muss vielmehr thematisiert werden, damit nicht latent vorhandene Feindbilder verstärkt werden.

Im Zusammenhang seiner Vorlesung ist Papst Benedikt XVI. auch auf das Verhältnis von Religion und Gewalt zu sprechen gekommen und hat eingefordert, dass der Glaube vernunftgemäß sein muss. Er hat vor allem seine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass nicht vernunftgemäß zu handeln dem Wesen Gottes widerspricht. Damit ist auch die zentrale Botschaft verbunden, dass die Zwillingsschwester der Religion der Friede und auf keinen Fall die Gewalt ist. Wenn wir heute erleben müssen, wie viel Gewalt und Terror im Namen von Religion ausgeübt wird, dann spüren wir unmittelbar, wie prophetisch die Aussagen von Papst Benedikt XVI. in Regensburg vor zehn Jahren gewesen sind.

Mit seiner Vorlesung hat Benedikt XVI. einen tiefgehenden Dialog auf den Weg bringen können, der von verschiedenen muslimischen Wissenschaftlern aufgenommen worden ist, und er hat damit eine neue Begegnung zwischen Christentum und Islam ermöglicht. Denn Dialog und Begegnung kann man nicht voneinander trennen. Die unmittelbare Begegnung zwischen Vertretern von verschiedenen Religionen ist die Voraussetzung dafür, dass es überhaupt zu einem Dialog kommen kann. Problematisch würde es dann, wenn es bei den Begegnungen bliebe und es zu keiner vertieften Auseinandersetzung auch in inhaltlicher Hinsicht käme, um in der Bearbeitung der anstehenden Fragen zu einer neuen Koexistenz zu kommen. Dies ist es, was Papst Benedikt anstoßen wollte. Auch wenn dies zunächst kaum zur Kenntnis genommen worden ist, sondern seine Aussage in Regensburg bedauerlicherweise eine irrationale Eskalation von Gewalt ausgelöst hat, so ist doch später eine Antwort auf die eigentliche Anfrage von Papst Benedikt XVI. erfolgt, und die gilt es weiter zu vertiefen.

„Bund zwischen Liebe und Vernunft“ ist der Titel eines soeben erschienen Buches, das Sie dem Erbe des Lehramtes Benedikts XVI. gewidmet haben, das nicht nur das Erbe eines Papstes darstellt, sondern das Erbe eines der größten Theologen unserer Zeit auf dem Stuhl Petri ist. Vor kurzem hatte Papst Franziskus in einem Vorwort zu einem Buch das Wirken und die Lehre seines Vorgängers mit dem des Kirchenlehrers Leo des Großen verglichen.

Worauf wollen Sie den oder die besonderen Akzente beim Umgang mit dem umfangreichen Denken Benedikts XVI. setzen? Können Sie dem Motto „Caritas et Misericodia in Veritate“ zustimmen, und wenn ja: wie gestaltet Benedikt XVI. dieses Verhältnis?

Kardinal Koch: Ich bin über das Vorwort von Papst Franziskus und seine Ansprache in der Sala Clementina sehr froh. Ich hoffe, dass die Art und Weise, in der Papst Franziskus Papst em. Benedikt gewürdigt hat, als Zeichen der inneren Nähe in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, in der ja immer wieder versucht wird, die beiden gegeneinander auszuspielen. Demgegenüber hat Papst Benedikt XVI. in seinem unlängst veröffentlichten Gespräch mit Jacques Servais über die Rechtfertigungslehre die innere Kontinuität im Magisterium dahingehend betont, dass es für ihn ein Zeichen der Zeit sei, dass die Idee der Barmherzigkeit Gottes heute immer beherrschender in den Mittelpunkt rückt und dass Papst Franziskus ganz in der Tradition der Zentralität der Barmherzigkeit Gottes steht. Und umgekehrt hat sich Papst Franziskus in seinem Gespräch mit Andrea Tornielli auch auf Papst Benedikt bezogen, für den die Barmherzigkeit Gottes der Wesenskern des Evangeliums, gleichsam der Name Gottes selbst ist. In diesem Sinn gibt es eine grundlegende Kontinuität, die Sie mit der Formel „Caritas et misericordia in veritate“ zum Ausdruck gebracht haben und die noch viel deutlicher wahrgenommen werden müsste.

Gerade die letztlich bei der Feier des 65. Jahrestages seiner Priesterweihe in der Sala Clementina des Apostolischen Palasts gehaltene Ansprache des emeritierten Papstes stellte erneut die Eucharistie, die neue Schöpfung durch Leiden, Tod und Auferstehung Christi, die „Transsubstantiation“ der Welt in den Mittelpunkt. Ist Benedikt XVI. der „eucharistische Papst“?

Kardinal Koch: In dieser kurzen, aber gehaltvollen Ansprache von Papst em. Benedikt XVI. in der Sala Clementina ist im Kern enthalten, was er als Botschaft vermittelt hat. Sie haben dies auf den Begriff des „eucharistischen Papstes“ gebracht. In der Tat spielt die Eucharistie seit Beginn des theologischen Wirkens von Joseph Ratzinger eine zentrale Rolle. Bereits in seiner Doktoratsdissertation über den Kirchenbegriff beim heiligen Augustinus hat er eine Synthese im Verständnis der Kirche als Volk Gottes und Leib Christi gewagt, und zwar in dem Sinne, dass Kirche zu verstehen ist als Volk Gottes, das vom Leibe Christi her lebt. Denn die Eucharistie ist nicht einfach ein Sakrament, das die Kirche vollzieht. Sie ist vielmehr für die Kirche konstitutiv, wie diese Sicht der heilige Papst Johannes Paul II. dann in seiner Enzyklika „Ecclesia de Eucharistia“ zum Ausdruck gebracht hat.

Die Eucharistie spielt sodann eine wichtige Rolle in Ratzingers Verständnis des Primats des Bischofs von Rom. Benedikt XVI. hat immer wieder darauf hingewiesen, dass der Primat in erster Linie nicht jurisdiktionell zu verstehen ist, sondern von der Eucharistie her. Diese Sicht, dass der Primat des Bischofs von Rom nicht eine äußerliche Zutat zur eucharistischen Ekklesiologie, sondern eines ihrer inneren Elemente ist, ist natürlich gerade im Dialog mit den Orthodoxen Kirchen grundlegend und hilfreich. Damit hat Papst Benedikt XVI. eine wichtige Brücke zu den Kirchen der Orthodoxie gebaut.

Der zentrale Stellenwert der Eucharistie in der Theologie von Papst Benedikt XVI. macht auch die innerste Mitte der Liturgie sichtbar. Da die Eucharistie uns geschenkt ist und wir uns in ihr Gott verdanken, feiern wir in der Liturgie nicht uns selbst, sondern Gott. Von daher versteht sich der Primat der katabatischen Dimension der Liturgie, die freilich nach ihrer anabatischen Dimension als Antwort des Menschen auf die Heilsinitiative Gottes ruft. Das eucharistische Verdanktsein zeigt sich auch in Ratzingers Verständnis der Offenbarung Gottes, die wir nicht er-finden können, die uns vielmehr geschenkt ist und der wir nach-denken dürfen. Benedikt XVI. versteht von daher seine Theologie als Reflexion über die Offenbarung Gottes in Jesus Christus und damit als glaubende Wissenschaft. Oder wie er es selbst einmal ausgesprochen hat: „So wie ich das Neue Testament als Seele der Theologie verstehen lernte, so begriff ich Liturgie als ihren Lebensgrund, ohne den sie verdorren muss.“ Die Zentralität des Wortes Gottes und der Liturgie verstehen sich folglich nur von der eucharistischen Dimension des Glaubens her richtig. Solche wesentliche Einsichten der großartigen Theologie und des reichen Magisteriums von Papst Benedikt XVI. weiterzugeben und wach zu halten, ist der Sinn meines Buches, das mit dem Titel „Bund zwischen Liebe und Vernunft“ auf das Kernanliegen von Papst Benedikt XVI. hinweisen will.

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kath.net-Buchtipp
Bund zwischen Liebe und Vernunft
Das theologische Erbe von Papst Benedikt XVI.
Von Kurt Koch
Hardcover, 240 Seiten
2016 Herder, Freiburg
ISBN 978-3-451-37533-0
Preis 26.80 EUR

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Foto oben Kurienkardinal Koch (c) kath.net


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