'Wir können ein besseres Nigeria aufbauen'

30. Juni 2016 in Interview


Vorsitzender der nigerianischen Bischofskonferenz zum Kampf gegen Terror und Korruption


Jos (kath.net/KIN) Nigeria ist das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Von den rund 170 Millionen Einwohnern sind gut die Hälfte Christen oder Muslime. Nur der Norden ist mehrheitlich muslimisch geprägt. Dort ist auch die Kernregion der Terrorsekte Boko Haram. Immer wieder kommt es zu Selbstmordanschlägen. Tausende mussten ihre Heimat verlassen. Auch die Korruption macht dem Land zu schaffen.

Wie die katholische Kirche Nigerias mit diesen Problemen umgeht und wie die Zahl der Berufungen gerade in der Bedrängnis blüht, darüber hat „Kirche in Not“ mit Erzbischof Ignatius Kaigama gesprochen. Der 57-Jährige leitet die Erzdiözese Jos in Zentralnigeria. Zudem ist er Vorsitzender der nigerianischen Bischofskonferenz. Das Interview führte Maria Lozano.

Kirche in Not: Ende März 2015 fanden in Nigeria Präsidentschaftswahlen statt. Der Moslem Muhammad Buhari ging als Sieger hervor. Wie ist die Situation heute, nach gut eineinhalb Jahren?

Erzbischof Kaigama: Zum ersten Mal in der Geschichte Nigerias wurde ein amtierender Präsident abgewählt und hat seine Niederlage akzeptiert – alles blieb friedlich. Dabei hatten die Pessimisten vor der Wahl prophezeit, die Einheit würde zerbrechen und das Land im Bürgerkrieg versinken. Wir brauchten einen politischen Wechsel. Er kam in Person von Präsident Buhari. Er ist jetzt ein Jahr im Amt, und wir wollen ihm die Chance geben, sein Versprechen einzulösen: Kampf gegen Korruption und Terrorismus.

Kirche in Not: Als Vorsitzender der nigerianischen Bischofskonferenz haben Sie sich in einer Botschaft an den neuen Präsidenten gewandt. Darin fordern Sie, dass in Nigeria jeder seinen Glauben weiterhin frei praktizieren darf. Ist die Religionsfreiheit in Gefahr?

Erzbischof Kaigama: Religiöse Diskriminierung ist leider Alltag – vor allem in Nordnigeria. Dort gibt es zum Beispiel in den Dörfern oft mehrere Moscheen, aber die Christen müssen ihre Gottesdienste in einem Klassenzimmer feiern. Christen dürfen kein Land erwerben, um Kirchen zu bauen. Die Muslime haben Religionsunterricht, die Christen nicht. Diese Diskriminierung ist schädlich. Wir wollen, dass jeder in seiner religiösen Identität gestärkt wird. Die Werte unserer Religionen sollen etwas verändern zum Wohle aller. So können wir ein besseres Nigeria aufbauen.

Kirche in Not: Wie steht die Regierung zur Religionsfreiheit?

Erzbischof Kaigama: Vor den Wahlen gab es immer wieder beunruhigende Nachrichten, dass Muhammad Buhari die Islamisierung Nigerias vorantreiben wolle. Wir, die katholischen Bischöfe des Landes, haben ihn deshalb kurz vor den Wahlen eingeladen und direkt gefragt: „Sind Sie ein religiöser Eiferer?“ Er verneinte und sagte uns, es sei töricht zu glauben, dass in Nigeria eine Religion über die andere dominieren könne. Jeder Mensch solle seinen Glauben ohne Diskriminierung praktizieren können – und ohne die Feindschaft, die wir in der Vergangenheit so oft erlebt haben.

Kirche in Not: Ihre Botschaft an den neuen Präsidenten beschäftigte sich auch mit der Korruption und der Terrorgruppe Boko Haram. Warum halten sie beide für gleich gefährlich?

Erzbischof Kaigama: Weil beide die Einheit und die ganze Identität Nigeria untergraben. Wenn man Boko Haram nur einen Fußbreit Boden überlässt, dann destabilisiert man das Land. Die Korruption gibt es schon viel länger als Boko Haram. Sie verursacht den gleichen Schaden. Sie frisst sich tief in das System, verhindert den Fortschritt, destabilisiert die Regierungsarbeit und stürzt Menschen in den Ruin. Daraus entstehen neue Gewalt und neue Konflikte.

Kirche in Not: Ist die Regierung auf einem guten Weg, um Boko Haram zu besiegen?

Erzbischof Kaigama: Absolut. Wir beten seit langem für das bedrängte Nigeria. Wir haben auch ein Gebet gegen die Korruption verfasst und jahrelang gebetet. Gott hat unsere Gebete erhört: Gegen die Korruption wird vorgegangen, Boko Haram ist zurückgedrängt.

Kirche in Not: Wenn man über Boko Haram spricht, denken viele Menschen an die entführten Mädchen aus Chibok in Nordnigeria. Seit April 2014 sind mehr als 200 Schülerinnen in der Gewalt der Terroristen. Vor kurzem gelang einem Mädchen die Flucht. Wie ist die aktuelle Lage?

Erzbischof Kaigama: Die Geschichte lässt jedem Nigerianer das Herz bluten. Es ist so traurig. Wir beten darum, dass es gut ausgeht. Die Regierung hat auch versucht, die Mädchen zu befreien. Aber es gab nur sehr wenige Fortschritte – bis Mitte Mai, als eine von ihnen gerettet wurde. Sie hat ein Baby. Beide wurden zu ihrer Familie zurückgebracht. Auch der Präsident hat sie empfangen. Wir sind jetzt optimistischer als vorher, dass mit Gottes Hilfe noch mehr Mädchen zurückkommen.

Kirche in Not: In Ihrer Erzdiözese Jos haben Sie gut 60 Priesteramtskandidaten. Hunderte junge Männer sind im Studienseminar und streben das geistliche Amt an. In Europa sieht das ganz anders aus!

Erzbischof Kaigama: Wir danken Gott für das Geschenk der Berufungen. Wir können gar nicht alle Bewerber nehmen. Wir haben ein strenges Auswahlverfahren und nehmen das sehr ernst. Unsere Kirchen sind voll. Ich danke „Kirche in Not“ für die Unterstützung unserer Seminaristen und Katecheten. Selbst in schwierigster Zeit war Ihr Hilfswerk für uns da. Wir wollen auch etwas von dem zurückgeben, dass uns die Missionare aus Europa gebracht haben. Die westliche Welt sollte keine Angst haben, uns um Hilfe zu bitten: Wir haben kein Geld, aber wir können mit unseren Priestern helfen. Dazu sind wir bereit.

Um der Kirche in Nigeria weiterhin helfen zu können, bittet „Kirche in Not“ um Spenden:

Kirche in Not Deutschland

Kirche in Not Österreich

Kirche in Not Schweiz

Priesterseminaristen der Erzdiözese Jos beim Gebet


Erzbischof Kaigama: "Die Wirkung der Arbeit von 'Kirche in Not' wird weltweit geschätzt"


Foto © Kirche in Not


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