Mit der Keule gegen die Mitte

22. Juni 2016 in Kommentar


Hat Bischofsvikar Graf zu Stolberg eine Studie über Rassismus etwa gar nicht selber gelesen? - kath.net-Kommentar von Peter Winnemöller über Menschenketten gegen Rassismus und Engagement der Kirchen


München (kath.net/pw) Da waren sie wieder, die Menschenketten gegen Rassismus. Es galt für Menschenrechte und Vielfalt zu streiten. In vielen großen Städten im ganzen Land legte man sich willig an die Kette. Die Zahl der Gruppen, die diese Aktion unterstützte, wird in mehreren Berichten mit rund 30 angegeben. Darunter fanden sich Linke, Gewerkschaften, LGBT-Aktivisten und Künstler. Auch die Kirche war mit an Bord.

Nur wenige Tage vorher war eine „Studie“ erschienen, die unserem Land ein Maximum an Rassismus bescheinigte. Unter dem Titel „Die enthemmte Mitte“ kamen Forscher von der Uni Leipzig zu dem Schluss, Deutschland werde immer rassistischer. Die Leipziger „Mitte-Studie“ erscheint seit 2002 jährlich und wird in Zusammenarbeit mit der Otto-Brenner-Stiftung (IG Metall), Heinrich-Böll-Stiftung (Die GRÜNEN) und Rosa-Luxemburg-Stiftung (LINKE) herausgegeben.

Wie ein genauerer Blick auf die Studie zeigt, ist das genaue Gegenteil der Fall. Nicht nur die Ausländerfeindlichkeit geht massiv zurück, auch die Anzahl der Personen mit einem „geschlossenen rechtsextremen Weltbild“ sinkt drastisch. Ergab sich in den fünf östlichen Bundesländern noch bis 2012 ein Anstieg auf knapp unter 16 Prozent, so ging der Anteil bis heute auf rund sieben Prozent zurück. Tendenz weiter sinkend. Im Westen der Republik sank der Anteil im gleichen Zeitraum von elf auf unter fünf Prozent. Die Frage, wo denn die enthemmte Mitte sein soll, ist eindeutig erlaubt.

Um dann dennoch das linke Dogma der Zunahme vermeintlich oder wirklich rechten Gedankengutes in der Mitte der Gesellschaft nachweisen zu können, verlegte man sich auf Suggestivfragen. Man ist nach Ansicht der Forscher klar im Lager der Fremdenfeinde zu verorten, wenn man die strenge Prüfung von Asylanträgen befürwortet. Da ist unser Gesetzgeber wohl der Fremdenfeind Nr. 1. Wo Rassismus weilt, ist die Homophobie nicht weit, dachte man sich in Leipzig. Wer es ekelig findet, wenn sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssen, ist homophop. Ob die gleiche Ansicht hinsichtlich heterosexueller Küsse in der Öffentlichkeit zu Heterophobie führt, lassen die Forscher offen. Und sexistisch ist man schon, wenn man nicht glauben will, dass Frauen im Berufsleben benachteiligt sind.

Wenige Blicke auf die Studie zeigen, wie tendenziös Fragen und Auswertungen sind und wie gewollt die Deutung der Erhebung auf gewünschte Ziel hin arbeitet. Mit dem Adjektiv „umstritten“ ist die Studie noch völlig unzureichend eingeordnet. Man erkennt die Absicht und wundert sich. Man wundert sich nur umso mehr, wenn nun Bischofsvikar Rupert Graf zu Stolberg am 19 Juni im Rahmen seiner Rede in München auf dem Karlsplatz genau auf diese Studie Bezug nimmt. »Angesichts einer jüngsten Erhebung, die unter den befragten Deutschen eine zunehmende Fremdenfeindlichkeit feststellte, rief Stolberg in seiner Ansprache laut Redemanuskript zu einer „Kultur der Begegnung und des Austauschs“ auf.«, so ist es in einer Pressemeldung des Erzbistums München zu lesen. Selbst die Studie muss einräumen, dass Fremdenfeindlichkeit abnimmt. Hat man im Vorzimmer des Bischofsvikars die Studie etwa gar nicht selber gelesen und nur auf tendenziöse Pressemeldungen rekurriert?

Darüber hinaus muss man sich schon ganz ernsthaft fragen, mit wem Vertreter der Kirche hier öffentlich auf die Straße gehen. Es hat sicher gute Tradition, dass die Kirche keine Berührungsängste auch mit denen hat, die ihr weltanschaulich konträr gegenüberstehen, wenn es um die Abwehr gesellschaftlicher Gefahren geht. Wo man gemeinsame Ziele erkennen kann, darf man kooperieren. An dieser Stelle allerdings sei die Frage erlaubt, wo die Gemeinsamkeiten sind. Man lässt sich, statt sich selber umfassend und seriös zu informieren, vor den Karren derer spannen, die unter dem Label „Kampf gegen rechts“ alles bekämpfen, was nicht politisch links ist. Dazu ist man sich in der Kirche neuerdings auch nicht zu schade, eine dezidiert linke, extrem tendenziöse Studie als Grundlage der eigenen Argumentation zu verwenden. Letztendlich gilt es hier kritische Distanz zu wahren, denn die „neuen Freunde“, die man da gewonnen hat, stehen der Kirche in Fragen von Ehe und Familie, Lebensrecht, Bioethik und vielen anderen Fragen konträr gegenüber. Da sind dann nämlich die Positionen die die Kirche vertritt plötzlich auch „rechts“.

Die Aussage des DGB-Chef Mathias Jena, die Guten seien die Mehrheit, müsste jeden Kirchenmann stutzig machen. In der Wirklichkeit sind nämlich die Sünder die Mehrheit. Als „die Guten“ erklären sich nämlich derzeit gerade die, die eine Agenda der Vielfalt in jeglicher Hinsicht verfolgen. Da wird die Kirche auf Dauer ganz sicher nicht undifferenziert zustimmen können.

Es bleibt ein schaler Geschmack angesichts der Menschenketten in unseren Städten. Sich selbst an die Kette zu legen, ist immer eine Aspekt der Aufgabe von Freiheit. Der Mensch, der sich plötzlich in der Masse wiederfindet, ist manipulierbar und steuerbar. Wohin das Steuer dann wirklich ausschlägt ist noch offen. Wer jedoch die Mitte der Gesellschaft angreift, das kann man sicher sagen, findet sich am Ende in politischen Extremen wieder.

Da hat die Kirche nichts verloren.




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