Die Kirche ist zu einer abwählbaren Sekundärinstitution geworden

28. Mai 2016 in Kommentar


Katholikentag: In den neuen Bundesländern ist es normal, konfessionslos zu sein


Leipzig (kath.net/idea) Die Kirche ist in Deutschland zu einer abwählbaren Sekundärinstitution geworden. Diese Ansicht vertrat der Leiter der Katholischen Arbeitsstelle für missionarische Pastoral, Hubertus Schönemann (Erfurt), am 26. Mai beim 100. Deutschen Katholikentag in Leipzig. Die Veranstaltung stand unter dem Thema „Leben ohne Gott? Säkularisierung: Herausforderung für die Kirchen in Europa“. Nach Schönemanns Worten sind allein aus der katholischen Kirche im vergangenen Jahr 218.000 Deutsche ausgetreten. Im Osten Deutschlands sei die Konfessionslosigkeit zwischen 1950 und 2010 von 7,5 auf 75 Prozent angewachsen. Längst sei es in den neuen Bundesländern „normal“, nicht in einer Kirche zu sein: „Die Begründungspflicht liegt beim Glaubenden.“ In den westlichen Bundesländern seien die Bürger nicht unbedingt religiöser. Die Kirche sei dort aber nach wie vor ein wichtiger Kulturfaktor: „Man bringt die eigenen Kinder nicht aus Glaubensgründen zur Taufe, sondern weil es dazu gehört.“ Parallel zu dieser zunehmenden Säkularisierung gewinne die öffentliche Rolle von Religion jedoch an Bedeutung. Das zeige sich etwa an Trauerfeiern nach Katastrophen oder Anschlägen. Schönemann: „Hier werden die Kirchen wichtiger.“ Zugleich wüchsen religiöse Gruppierungen jenseits der beiden großen Kirchen, etwa Freikirchen, die orthodoxe Kirche oder der Islam.

„Der Protestantismus liebt die Säkularität sehr“

Die Leiterin der Ökumene-Abteilung in der Evangelischen Kirche im Rheinland, Oberkirchenrätin Barbara Rudolph (Düsseldorf), vertrat die Ansicht, dass Säkularisierung an sich nichts Schlechtes sei: „Der Protestantismus liebt die Säkularität sehr.“ In der Vergangenheit hätten vor allem Minderheitskirchen nur davon profitiert. Als Beispiele nannte sie die Waldenser in Italien oder die Hugenotten in Frankreich, die von der römisch-katholischen Mehrheitskirche zuvor verfolgt worden waren. Sie plädierte ferner dafür, sowohl im Christentum als auch im Islam die „Stimme der Mitte“ wieder lauter werden zu lassen, um sich von den oftmals extremen Rändern abzugrenzen: Die Mitte des Islams sei Barmherzigkeit, die des Christentums die Nächstenliebe.“ Rudolph bekannte, wie wichtig ihr der Jenseitsglaube sei: „Wenn ich nicht jeden Sonntag den Blick hinter den Horizont hätte, würde mein Glaube schnell versacken im Elend dieser Welt.“

Es gibt sehr viele, die Gott suchen

Der ungarische Religionswissenschaftler Prof. András Máté-Tóth (Szeged) ermutigte die Kirchen dazu, sich nicht in erster Linie auf ihren Status in der Gesellschaft zu konzentrieren oder auf ihre staatlichen Privilegien. Es müsse ihnen darum gehen, dass Menschen zu Gott fänden: „Denn es gibt sehr viele, die Gott suchen.“


© 2016 www.kath.net