Verfassungsrechtler: Kritik an Schwulen-Urteilen geht zu weit

26. Mai 2016 in Deutschland


Die Kritik des Justizministers an der damaligen Rechtsprechung unterstelle, man hätte schon damals berücksichtigen müssen, dass sich die allgemeine Auffassung in diesem Punkt später einmal vollständig ändern werde.


Frankfurt (kath.net/KNA) Die Einlassungen von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) zur deutschen Rechtsprechung gegen Homosexuelle stoßen auf Kritik. Der frühere Bundesverfassungsrichter Everhardt Franßen erklärte in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (Mittwoch), die strafrechtlichen Urteile wegen praktizierter Homosexualität gemäß dem damaligen Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches seien gedeckt durch ein höchstrichterliches Urteil aus dem Jahr 1957 und durch Artikel 2 des Grundgesetzes. Dort heißt es: «Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt ... oder gegen das Sittengesetz verstößt.»

Franßen betonte, in früheren Jahrzehnten habe Konsens darüber bestanden habe, dass praktizierte Homosexualität gegen das Sittengesetz verstoße. Entsprechend habe auch das Bundesverfassungsgericht 1957 argumentiert und dabei unter anderem auf die übereinstimmende Haltung der beiden großen Kirchen in Deutschland und auf den damaligen weitgehenden Konsens der meisten Staaten hingewiesen.

Die Kritik des Justizministers an der damaligen Rechtsprechung unterstelle, man hätte schon damals berücksichtigen müssen, dass sich die allgemeine Auffassung in diesem Punkt später einmal vollständig ändern werde. Diese Annahme sei, so Franßen weiter,«offenkundig falsch» und «politisch kontrapoduktiv».

Wenn man die früheren Urteile gegen Schwule nachträglich insgesamt aufheben wolle, dann könne dies nur unter Hinweis auf einen heute nicht mehr zulässigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte geschehen. Die Argumentation des Bundesjustizministers, der die Urteile als «von Anfang an verfassungswidrig» bezeichnet hatte, gehe aber weit über diesen Ansatz hinaus. - Franßen war von 1987 bis 1991 Richter am Bundesverfassungsgericht und danach elf Jahre lang Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, er ist Katholik und Mitglied der SPD.

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