Ein Klartext, Codes und die Kernanliegen der Kirche

25. Mai 2016 in Kommentar


An Reaktionen auf den Klartext von Weihbischof Laun wird deutlich, wie weit sich Teile der Kirche an die Gesellschaft angepasst haben. kath.net-Kommentar von Johannes Graf


Salzburg/Wien (kath.net/jg)
Dem Salzburger Weihbischof Andreas Laun bläst wieder einmal heftiger Wind ins Gesicht. Sein kath.net-Klartext, in dem er den Lesern nahe gelegt hat, Norbert Hofer und nicht Alexander Van der Bellen zu wählen, hat ihm viel Resonanz gebracht. Darunter war viel Widerspruch, bis hinauf in die höchsten Kreise der Kirche in Österreich.

Christoph Kardinal Schönborn, der Erzbischof von Wien und Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz, betonte „angesichts verschiedener Stellungnahmen in den letzten Tagen, insbesondere nun von Weihbischof Laun“, dass es „keine Wahlempfehlung der katholischen Kirche als solcher gibt.“

Dann geht es, offenbar in Richtung Weihbischof Laun, um den „Stil“ der Auseinandersetzung und darum, „Andersdenkende nicht zu verurteilen“. Es sei „völlig legitim, wenn auch bei dieser Wahl Katholiken zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, was die Wählbarkeit der einzelnen Kandidaten betrifft“, schreibt Kardinal Schönborn wörtlich.

Schließlich dürfe sich eine „gute Wahlentscheidung“ nicht nur auf Aussagen „zu den Kernanliegen der Kirche wie dem Lebensschutz beziehen“, argumentiert der Wiener Erzbischof. Auch die Einstellung der Kandidaten „zu den Schwachen der Gesellschaft zähle, zu denen auch die Migranten gehören“ sowie zur Rolle Österreichs in Europa und der internationalen Staatengemeinschaft. Letzteres bezieht sich offenbar auf die EU-kritische Haltung von Norbert Hofer.

Die Stellungnahme von Kardinal Schönborn wirft einige interessante Fragen auf. Zunächst fällt auf, dass Schönborn die Bedeutung der Kernanliegen der Kirche offensichtlich für die Wahlentscheidung relativiert. Neben diesen müssten noch andere Punkte in die Entscheidung einbezogen werden.

Das ist an sich richtig, doch müssten die Kandidaten bei den Kernanliegen der Kirche zufriedenstellende Antworten geben, bevor man andere Bereiche in den Blick nimmt. Und hier bestehen tatsächlich gravierende Unterschiede, die Weihbischof Laun dargestellt hat.

Alexander Van der Bellen hat sich ebenso wie die Grüne Partei, deren Vorsitzender er viele Jahre war, immer für eine liberale Abtreibungsregelung eingesetzt und sogar Abtreibung auf Krankenschein verlangt – als ob Schwangerschaft eine Krankheit wäre. Norbert Hofer hingegen hat kritisiert, dass der Anfang des Lebens seit Einführung der Fristenregelung überhaupt nicht geschützt ist. Er hat sich klar gegen die Gender-Ideologie ausgesprochen, die Papst Franziskus gegenüber Weihbischof Laun als „dämonisch“ bezeichnet hat. Die Grünen waren auch unter dem Vorsitz von Van der Bellen Vorreiter in der Verbreitung der Gender-Ideologie.

Kann ein katholischer Wähler wirklich guten Gewissens Alexander Van der Bellen seine Stimme geben, wenn er die Positionen beider Kandidaten zu diesen Fragen kennt? Schließlich geht es bei der Abtreibung um das Fünfte Gebot. Anders gesagt: Van der Bellen hat sich allein durch seine Haltung für katholische Wähler disqualifiziert, sobald ihm ein Gegenkandidat gegenüber steht, der sich kritischer zur Abtreibung äußert. Die Glaubenskongregation hat im Jahr 2002 eine lehrmäßige Note veröffentlicht, in der genau das zu lesen ist.

Van der Bellen setzt sich außerdem für die Ausweitung der zivilrechtlichen Ehe auf Homosexuelle ein und ist (wie übrigens auch der neue Bundeskanzler Christian Kern), Mitglied des Rechtskomitees Lambda, das sich für die Einführung der „Homo-Ehe“ in Österreich einsetzt. Auch diese Position macht ihn für Katholiken unwählbar, wenn man sich an der Note der Glaubenskongregation orientiert. Die FPÖ hingegen lehnt die Homo-Ehe ab.

Doch folgen wir Schönborns Argumentation weiter. Selbst wenn man die „Kernanliegen der Kirche“ außer Acht lässt, fällt eine Entscheidung für Alexander Van der Bellen schwer. Wenn man die Haltung der Kandidaten gegenüber den Schwachen der Gesellschaft in die Entscheidung einbezieht, zählen dazu sicher auch die von Schönborn beispielsweise angeführten Migranten. Doch zählen dazu in erster Linie die Ungeborenen, die in Österreich während der ersten zwölf Schwangerschaftswochen noch weniger rechtlichen Schutz genießen als die Migranten, nämlich gar keinen.

Anders gefragt: Muss ein Katholik die durchaus differenzierte Position von Norbert Hofer zur Migration ablehnen, während er zur Abtreibungspolitik jene von Alexander Van der Bellen akzeptieren kann? Kardinal Schönborn seien als Vorsitzendem der Bischofskonferenz gewisse Rücksichten auf die öffentliche Meinung zugestanden, doch hier fällt es mir sehr schwer ihm zu folgen.

Wenn sich Weihbischof Laun darüber wundert, wie wenig sich manche Katholiken an wesentlichen Positionen der Kirche orientieren, dann ist das nach meiner Einschätzung keine Verurteilung oder gar Diffamierung Andersdenkender. Letzteres behaupten Dekan und Vizedekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg in einer Stellungnahme. Laun verstoße mit seiner Empfehlung gegen „zentrale Prinzipien und Positionen des Zweiten Vatikanischen Konzils“ und werde nicht „der Aufgabe eines Hirten gerecht, einen Dialog zu eröffnen“, heißt es weiter in der Stellungnahme.

Das Zweite Vatikanische Konzil verurteilt Abtreibung als „verabscheuungswürdige Verbrechen“ (GS 51). Wollen die beiden Salzburger Professoren hier wirklich einen „Dialog eröffnen“? Es ist traurig, wie weitgehend sich Vertreter der Kirche und der Theologie mit dem Unrecht der Abtreibung in Österreich abgefunden haben. So weit haben sich Teile der Kirche in Österreich an die Gesellschaft angepasst, haben den Wandel der letzten Jahrzehnte mitgemacht.

Keinen Dialog soll es zu den Themen „Polarisierung der Gesellschaft“, „menschenverachtende Rhetorik“, „Nationalismus“ und „politische Instrumentalisierung von Ängsten und naiven Populismus“ geben. Da hat ein Christ dagegen zu sein fordern die Vertreter der Katholisch-Theologischen Fakultät Salzburg. Einverstanden, aber kommt das wirklich nur von Seiten der FPÖ? Ist die Rhetorik, die Lebensschützern von den Grünen oft entgegenschlägt, nicht mindestens ebenso „menschenverachtend“ wie jene der Freiheitlichen? Haben die Grünen bei Umwelt- und Gentechnikfragen nie Ängste instrumentalisiert?

Hier wird ein interessanter Aspekt am öffentlichen Diskurs sichtbar. Wenn „Polarisierung“, „Populismus“, „Schüren und Instrumentalisieren von Ängsten“ kritisiert wird, ist meistens die FPÖ gemeint, ohne diese konkret nennen zu müssen. Die Wortwahl ist hinreichend allgemein, um niemanden direkt zu nennen, aber trotzdem weiß jeder, wer gemeint ist. Ähnliche Codes kennt man auch von innerkirchlichen Debatten, aber das sei hier nur nebenbei angemerkt.

Der Beitrag von Weihbischof Laun muss auch im zeitlichen Kontext gesehen werden, um ihn richtig einordnen zu können. Laun hat sich nicht vor dem ersten Wahlgang geäußert, als es sechs Kandidaten gab, sondern erst vor dem zweiten. Seine Stimme war weiters nicht die erste, die aus der katholischen Kirche zur Wahl Stellung genommen hat. Vorher haben sich bereits die Katholische Frauenbewegung Österreich (KFBÖ) und der Katholische AkademikerInnen-Verband Österreich (KAÖ) für die Wahl Van der Bellens ausgesprochen. Auch die Katholische Jungschar hat die Wahl des Kandidaten empfohlen, der „mit Weitsicht“ handelt und „Brücken baut“. Abzulehnen seien hingegen „Abschottung, Misstrauen und Hetze“. Wer mit diesen Codes wohl gemeint ist?

Von den Katholisch-Theologischen Fakultäten der Universitäten Wien und Innsbruck kamen ebenfalls kaum verborgene Empfehlungen für Van der Bellen. Der Dogmatiker Jan Heiner Tück warnte vor der „besorgniserregenden Polarisierung“ in Österreich und sprach sich gegen die politische Instrumentalisierung der Angst aus. Ähnlich äußerten sich der Innsbrucker Theologe Willibald Sandler und die Wiener Sozialethikerin Ingeborg Gabriel. Paul Zulehner und Regina Polak warnten laut kathpress vor „einer europafeindlichen Abschottungspolitik bzw. erstarkendem Rechtspopulismus“.

Erst nach diesen Wortmeldungen, die sich allesamt für den Kandidaten aus den Reihen der Grünen ausgesprochen hatten, erschien der Beitrag von Weihbischof Laun auf kath.net, der übrigens als Antwort auf die Empfehlungen der KAÖ und der KFBÖ gekennzeichnet war.

Eine Frage bleibt zum Schluss: Wäre die Empörung ebenso groß gewesen, wenn sich Laun für den netten, bedächtigen Professor Van der Bellen ausgesprochen hätte?

Symbolbild: Wahl



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