Amoris Laetitia: Zwei Fußnoten und ein Interview über den Wolken

25. April 2016 in Kommentar


Hätte Papst Franziskus die Praxis der Kirche für wiederverheiratete Geschiedene ändern wollen, hätte er explizit gesagt und nicht durch eine Andeutung in einer Fußnote. Gastbeitrag von Prof. Stephan Kampowski


Rom (kath.net) „Ich könnte sagen «ja» und Punkt. Aber das wäre eine zu kleine Antwort. Ich empfehle Ihnen allen, die Präsentation von Kardinal Schönborn zu lesen. Der ist ein großer Theologe“ (Pressekonferenz auf dem Rückflug von Lesbos, 16. 04. 2016). Dies ist die Antwort von Papst Franziskus auf die Frage des Journalisten Francis Rocca vom Wallstreet Journal, ob es „neue, konkrete Möglichkeiten“ gebe bezüglich des Zugangs zu den Sakramenten von Seiten der „wiederverheirateten“ Geschiedenen. Vielfach wurde diese Aussage des Papstes sowohl in der breiten Öffentlichkeit als auch innerkirchlich als eindeutige Erklärung verstanden, dass die „wiederverheirateten“ Geschiedenen nun alle bedingungslos zur Kommunion zugelassen seien. Schaut man sich an, was gerade auf den Philippinen geschieht, könnte man gar von einem Wettrennen sprechen, wer denn als erster die Kommunion für alle anbietet.

Dabei ist die Sache bei weitem nicht so klar. Man braucht nur die Abschrift der besagten Pressekonferenz zu Ende lesen. Wir erfahren, dass der Journalist Jean-Marie Guénois von Le Figaro den Papst fragt, was es denn mit Fußnote 351 auf sich habe, die über die „wiederverheirateten“ Geschiedenen spricht und warum ausgerechnet eine Fußnote etwas so Wichtiges enthalte. Die Antwort, die Franziskus bereit hat, überrascht: „Ich erinnere mich nicht an diese Fußnote.“ Wenn dem so ist – und es wird wohl erlaubt sein, den Papst beim Wort zu nehmen – dann wird er sich auch kaum an die auf dieser Fußnote basierte Vorstellung von Kardinal Schönborn erinnern – womit die päpstliche Empfehlung zu einer nur generellen wird und nicht mehr die konkrete Interpretation des Wiener Kardinals umfasst, an die sich der Heilige Vater eben nicht mehr erinnert. Auch kann dann diese Note, die nicht nur Schönborn anführt, um zu behaupten, es habe sich eine Jahrtausende währende, auf Jesus und die Apostel zurückgehende kirchliche Praxis geändert, am Ende nicht ganz so wichtig sein. Hätte Franziskus „demütig“, wie es der Kardinal meint, die gängige Praxis wirklich in dieser Note ändern wollen, so möchte man doch meinen, er würde sich zumindest an sie erinnert. Somit sind wir wieder auf den Text selbst geworfen, der neben der oben genannten Anmerkung noch eine weitere enthält, die auch des Öfteren von Befürwortern einer radikalen Änderung als Bestätigung angeführt wird: die Anmerkung 329. Im Folgenden werden wir beide Fußnoten näher betrachten.

Fußnote 329: Ist die Enthaltsamkeit zu schwierig?

Unter Nummer 84 stellt das vom heiligen Johannes Paul II. verfasste postsynodale Schreiben Familiaris consortio die pastorale Lösung vor, die die Disziplin der Kirche bislang geleitet hat. Hier werden die Bedingungen angegeben, unter denen die zivil „wiederverheirateten“ Geschiedenen zum Tisch der Eucharistie hinzutreten dürfen. Auch wenn der Absatz nicht ganz zitiert wird, wird doch ein Teil in AL 298 explizit wiedergegeben: „Die Kirche weiß um Situationen, in denen ,die beiden Partner aus ernsthaften Gründen – zum Beispiel wegen der Erziehung der Kinder – der Verpflichtung zur Trennung nicht nachkommen können‘“ (AL 298 und FC 84). Da die Ausnahme die Regel bestätigt, bekräftigt Papst Franziskus durch das Zitat dieses Textes die allgemeine Regel „der Verpflichtung zur Trennung“, wobei er sich zusammen mit Johannes Paul II. auch Ausnahmen von dieser Verpflichtung vorstellen kann, zum Beispiel wenn das Zusammenbleiben der Partner der Erziehung der Kinder zugutekommen würde. Die Frage, welche Gründe von der Verpflichtung zur Trennung entbinden, bedarf sicherlich einer sorgsamen Unterscheidung.

In Anmerkung 329 bezieht sich Papst Franziskus nochmals auf Familiaris consortio 84, wenn er auch die Betonung auf die Schwierigkeit zu legen scheint: „Viele, welche die von der Kirche angebotene Möglichkeit, ‚wie Geschwister‘ zusammenzuleben, kennen und akzeptieren, betonen, dass in diesen Situationen, wenn einige Ausdrucksformen der Intimität fehlen, ‚nicht selten die Treue in Gefahr geraten und das Kind in Mitleidenschaft gezogen werden [kann].‘ (Zweites Vatikanische Konzil, Past. Konst. Gaudium et spes über die Kirche in der Welt von heute, 51).“ Der Heilige Vater erwähnt hier die vielen Menschen, die auf die Schwierigkeiten der von der Kirche angebotenen Lösung hinweisen. Er schreibt jedoch nirgendwo, was er selbst über diese Schwierigkeiten denkt, auf die die „Vielen“ hinweisen. Es scheint, dass es seine Hauptabsicht ist, einen barmherzigen Ton zu finden und zu zeigen, dass er sich der soziologischen und statistischen Realität bewusst ist. Man kann sogar eine implizite Distanzierung von den „Vielen“ von Seiten des Papstes feststellen, wenn er die manipulierende Interpretation anführt, die diese „Vielen“ Gaudium et spes 51 verleihen, wo ganz klar von der Ehe die Rede ist und nicht – wie die „Vielen“ unterstellen – von anderen Formen des Zusammenlebens.

Unabhängig von der Meinung der Vielen führt die Fußnote 329 die besondere Norm an, die für jene Fälle gilt, wo die Trennung der Partner nicht möglich ist: Die Fortsetzung des Zusammenlebens der „wiederverheirateten“ Geschiedenen – das heißt der Partner, die zusammenleben, als wären sie verheiratet, ohne es wirklich zu sein – muss der Wahrheit ihrer Situation entsprechen, nämlich der Situation von zwei Menschen, die nicht verheiratet sind und die deshalb enthaltsam leben. Bei genauem Lesen lässt sich in dieser Note keine Absicht erkennen, die etablierte Praxis zu verändern, die auch der unmittelbare Vorgänger von Franziskus, Benedikt XVI., in Sacramentum caritatis 29 bestätigt hat. Um diese Praxis zu ändern, wäre ganz offensichtlich mehr notwendig gewesen, als in einer Fußnote zu erwähnen, dass einige oder auch viele denken, enthaltsam zu leben sei nicht einfach und führe möglicherweise zum Zerbrechen einer Verbindung, die ohnehin keine eheliche ist.

Fußnote 351: Die Freiheit einschränkende Faktoren und die Hilfe der Sakramente

Die andere bereits oben erwähnte Stelle, die diejenigen, die auf eine Änderung der kirchlichen Praxis drängen, am ehesten zu ihren Zwecken anführen könnten, ist zweifellos Nummer 305 mit der dazugehörenden Fußnote 351: „Aufgrund der Bedingtheiten oder mildernder Faktoren ist es möglich, dass man mitten in einer objektiven Situation der Sünde … in der Gnade Gottes leben kann, dass man lieben kann und dass man auch im Leben der Gnade und der Liebe wachsen kann, wenn man dazu die Hilfe der Kirche bekommt.“ In der Fußnote lesen wir dann: „In gewissen Fällen könnte es auch die Hilfe der Sakramente sein.“ Die beiden Sakramente, die in der Fußnote unmittelbar anschließend angeführt werden, sind Beichte und Eucharistie.

Aber im Licht der vorangehenden Abschnitte darf man annehmen, dass der Papst, wenn er von jenen spricht, die im Stande der Gnade sind, obwohl sie in einer objektiv sündhaften Situation leben, Menschen mit besonderen psychologischen Einschränkungen meint, die nicht in der Lage sind, zumindest für einige ihrer Handlungen Verantwortung zu übernehmen (vgl. die Diskussion der „unfreien Entscheidung“ in AL 273). Wenn Menschen wegen zwanghafter Störungen (AL 273 verweist auf die „unwiderstehliche Leidenschaft“ und das zwanghafte Verhalten von Drogensüchtigen) oder anderer pathologischer Zustände nicht die volle Herrschaft über ihre Handlungen besitzen, dann sind sie unfähig zu sündigen. Allerdings wird ihr falsches Handeln so nicht zu einem guten Handeln, sondern bleibt genauso destruktiv wie alle Sünden. Tatsache ist nur, dass sie vor Gott für ihr destruktives Tun vielleicht nicht verantwortlich sind, insofern es ihnen an Freiheit mangelt. Folglich können sie in der Gnade Gottes sein, obwohl sie objektiv gesehen etwas gravierend Falsches tun.

Einmal angenommen, sie hätten einen genügend klaren Verstand und freien Willen, um sich zumindest einige Sünden zuschulden kommen zu lassen: Können sie zur Beichte gehen und die Lossprechung für diese Sünden empfangen, obwohl sie aufgrund ihrer Situation unfähig sind, das Falsche zu erkennen, das sie in anderen Bereichen tun? Kleptomanen zum Beispiel mag es stark mangeln am Entschluss, sich zu bessern. Sie mögen noch nicht einmal wissen, dass sie stehlen; sie mögen unfähig sein zu verstehen, dass Stehlen falsch ist. Können Kleptomanen die Absolution empfangen für eine freiwillige, als böse erkannte und bereute Lüge, obwohl sie dem Beichtvater nicht einmal mitteilen, dass sie weiter stehlen? Können sie die Kommunion empfangen? Könnten diese Sakramente ihnen helfen? Das könnten die Fragen sein, die der Papst in Abschnitt 305 und Fußnote 351 aufwirft.

Aber man könnte auch an objektive Situationen der Sünde denken, in denen die Gläubigen die Hilfe der Sakramente empfangen könnten, auch wenn sie unter keinerlei psychischer Einschränkung leiden und die volle Herrschaft über ihr Handeln haben. Man könnte zum Beispiel an eine Frau denken, die ein tiefes Bekehrungserlebnis hatte und zu einem Priester geht, um eine Lebensbeichte abzulegen. Sie beichtet und bereut sehr viele schwere Sünden. Aus dem, was die Frau dem Priester mitteilt, schließt dieser, dass sie in ihrem fruchtbaren Alter fast immer Verhütungsmittel genommen hat. Sie nimmt sie immer noch und ist in völliger Unkenntnis hinsichtlich der Sündhaftigkeit dieses Tuns. Der Beichtvater mag berechtigterweise erkennen, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt ist, um sie auf die schwere moralische Schuldhaftigkeit der Verhütung hinzuweisen, weil sie gerade dabei ist, andere Sünden anzupacken, die noch schwerer sind. Er kann ihr die Absolution erteilen. Durch die Einnahme von Verhütungsmitteln befindet sie sich in einem objektiven Zustand der Sünde. Aufgrund ihrer Unkenntnis über die Sündhaftigkeit dieses Tuns, ist es für sie, so schwer diese Sünde doch ist, keine Todsünde. Indem sie das Sakrament der Beichte für ihre anderen Sünden empfängt, wird sie auf dem Weg zur Heiligkeit gestärkt und wird zu gegebener Zeit auch dieses noch verbleibende Thema mit der Hilfe ihres Beichtvaters angehen. Der Fall der „wiederverheirateten“ Geschiedenen ist allerdings anders gelagert als diese Fälle, auf die sich der Heilige Vater wahrscheinlich bezieht. Hier geht es nicht nur um eine objektive, sondern auch um eine öffentliche Situation der Sünde. Außerdem ist es eine Situation der Sünde, die zur wahren Bedeutung des Sakraments der Eucharistie in Widerspruch steht, wie das bei anderen Sünden nicht der Fall ist (vgl. Benedikt XVI., Sacramentum caritatis 29).

Schlussfolgerung: Mut und Parrhesia

Auch aus einem formalen Grund kann man bezweifeln, dass Franziskus die Absicht hat, die bestehende pastorale Praxis in Bezug auf die „wiederverheirateten“ Geschiedenen in diesem Abschnitt zu ändern. Da ist zum einen die bloße Tatsache, dass er die „wiederverheirateten“ Geschiedenen in diesem Abschnitt gar nicht erwähnt. Zum anderen ist die Praxis, sie nicht zur Kommunion zuzulassen, ist eng verbunden mit der Lehre Jesu über die Unauflöslichkeit der Ehe und wurde von seinen Vorgängern und der Tradition insgesamt gut begründet. Nun wissen wir alle, dass Papst Franziskus ein mutiger Mann ist, erfüllt von der Parrhesia des Evangeliums, und wir kennen ihn auch als wahren Hirten. Er wird keine Angst haben, das zu tun, was er als segensreich für die Kirche erachtet, und er wird auch wissen, dass es für die pastorale Sorge der Gläubigen nichts Schlimmeres gibt als Unklarheit und Zweideutigkeit. Schließlich hat ja der Herr selbst gesagt: „Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein“ (Mt 5,37). Man kann daher annehmen, dass Franziskus, hätte er die Praxis der Kirche in diesem Fall ändern wollen, es explizit gesagt hätte und nicht durch eine Andeutung in einer Fußnote, die manche als einen Hinweis in diese Richtung interpretieren wollen.

Stephan Kampowski ist Professor für philosophische Anthropologie am Päpstlichen Institut „Johannes Paul II.“ für Studien über Ehe und Familie, Rom. Er stammt aus Kaufbeuren und studierte am Internationalen Theologischen Institut in Gaming, Österreich, an der Franciscan University of Steubenville, USA, und in Rom.

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