Kirchenvertreter und Politiker diskutieren den Fall Böhmermann

18. April 2016 in Deutschland


66 Prozent halten Merkels Entscheidung für falsch


Berlin (kath.net/idea) Die Schmähkritik des Satirikers Jan Böhmermann hat unter Kirchenvertretern und Politikern vielfältige Diskussionen ausgelöst. Zum Hintergrund: Böhmermann hatte Ende März in seiner ZDF-Sendung „Neo Magazin Royale“ über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gesagt, dass er übel rieche, Mädchen schlage, Sex mit Ziegen habe, Kinderpornos schaue und zudem „schwul, pervers, verlaust und zoophil“ sei. Seine Aussagen leitete er mit der Bemerkung ein, dass das, was er jetzt sagen werde, Schmähkritik sei und somit nicht erlaubt sei. Erdogan forderte daraufhin die Strafverfolgung Böhmermanns auf der Grundlage des Paragrafen 103, der die Beleidigung eines ausländischen Staatschefs härter ahndet als die deutscher Staatsbürger. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erteilte der deutschen Justiz die dafür notwendige Ermächtigung. Laut einer repräsentativen Emnid-Umfrage für die „Bild am Sonntag“ halten 66 Prozent der Deutschen diese Entscheidung für falsch. 22 Prozent finden sie richtig, zwölf Prozent sind unentschlossen. Das ZDF hat den Beitrag aus seiner Mediathek entfernt.

Käßmann: Erdogan muss das aushalten – Böhmermann sollte sich nicht wegducken

Die EKD-Botschafterin für das 500-jährige Reformationsjubiläum, Margot Käßmann (Berlin), schreibt in der „Bild am Sonntag“, dass das Schmähgedicht keine große Poesie sei: „Aber Personen, die im Licht der Öffentlichkeit stehen, müssen so etwas aushalten heutzutage. Als Christin muss ich aushalten, dass es ziemlich grobe Beschimpfungen von Jesus gibt, Muslime müssen Mohammed-Karikaturen ertragen.“ Käßmann kritisiert Merkels Stellungnahmen: „Ich finde, die Kanzlerin hätte Herrn Erdogan sagen sollen: Wenn du dich beschweren willst, geh halt vor Gericht, aber zur Staatsaffäre taugt das nicht.“ Sie störe auch, dass Böhmermann abgetaucht sei und seine Sendung gestrichen habe. Es sei zwar nicht „schön“, was da an Beschimpfungen und Todeswünschen komme. Käßmann: „Aber sich jetzt wegducken, ist nicht die richtige Antwort. Wer austeilt, muss auch einstecken können.“ Das ZDF sollte den Beitrag wieder ins Internet stellen, bilanziert die EKD-Botschafterin: „Ein beleidigter türkischer Präsident kann doch hierzulande nicht alles auf den Kopf stellen! Wie heißt es in der Bibel: ,Die Wahrheit wird euch frei machen.’“

SPD-Generalsekretärin: Merkel sollte klare Worte zur Pressefreiheit finden

Die SPD kritisierte die Entscheidung der Kanzlerin. Ihr Fraktionschef Thomas Oppermann hob hervor, dass eine Strafverfolgung von Satire wegen „Majestätsbeleidigung“ nicht in eine moderne Demokratie passe. SPD-Generalsekretärin Katarina Barley äußerte in der „Bild am Sonntag“ den Wunsch, dass Merkel „bei ihrer Türkei-Reise in der nächsten Woche klare Worte zur Presse- und Meinungsfreiheit findet. Ohne diese Grundrechte ist Demokratie nicht denkbar – das muss auch die türkische Regierung anerkennen.“

Frank Heinrich: Schmähgedicht nicht gegen jede Kritik in Schutz nehmen

Eine andere Meinung vertreten der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Frank Heinrich (Chemnitz) und sein Mitarbeiter im Bundestag, der freikirchliche Pastor Uwe Heimowski (Gera). Es sei richtig, dass Merkel den Fall Böhmermann der Justiz übergeben hat: „In einer rechtsstaatlichen Demokratie gilt das Prinzip der Gewaltenteilung. Nicht die Politik entscheidet, was justiziabel ist, das tun Gerichte. Damit ist die Kanzlerin eben nicht Erfüllungsgehilfin des Despoten Erdogan. Im Gegenteil: Sie schreibt ihm eine klare Ansage zum Demokratieverständnis ins Stammbuch.“ Die beiden fragen, welchen Bezug zur Politik des türkischen Präsidenten ein verbaler Angriff auf seine sexuelle Potenz habe. Ein Sprachmissbrauch auf unterstem Niveau transportiere Vorurteile und führe zur Verrohung der Gesellschaft. Sie warnen davor, das Schmähgedicht gegen jede Kritik in Schutz zu nehmen: „Moralisch und kulturell sind die Zeilen ein Abstieg, wie er tiefer kaum gehen kann. Auch darüber sollten wir uns entrüsten.“ Heinrich gehört auch zum Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz.

Karikatur des Bistums Essens stößt auf großes Interesse

Währenddessen hat eine Karikatur, die das (katholische) Bistum Münster am 15. April im sozialen Netzwerk Facebook zum Fall Böhmermann gezeigt hat, viele Reaktionen hervorgerufen. Bis zum frühen Morgen des 17. April wurde die Zeichnung (siehe unten), die der Kölner Karikaturist Heiko Sakurai im Auftrag des Bistums angefertigt hatte, bereits von mehr als 113.000 Menschen gesehen. Sie zeigt einen Bischof, der offenbar beim Verfassen der Sonntagspredigt ist. Seine Sekretärin betritt den Raum mit dem Telefon in der Hand und sagt: „Ich weiß, ich soll Sie beim Predigtschreiben nicht stören. Aber da ist ein Herr Böhmermann dran, der wünscht Ihnen viel Glück und gute Anwälte, wenn Sie über die Situation der Christen in der Türkei predigen.“ Wie der Pressesprecher des Bistums, Stephan Kronenburg, sagte, haben viele Menschen die Karikatur zum Anlass genommen, um über verschiedene Fragen zu diskutieren – beispielsweise darüber, was Satire dürfe oder was die Kirche tue, um Christen in der Türkei zu unterstützen.

"Hallo, Herr Bischof? Telefon für Sie, Herr #Boehmermann ist dran!" pic.twitter.com/MC164DxxJm

— Bistum Münster (@bistummuenster) 15. April 2016


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