Woche für das Leben – Wir Christen dürfen nicht müde werden

14. April 2016 in Kommentar


Der Kontrast zwischen christlichem Lebensschutz zur gegenwärtigen Missachtung menschlichen Lebens könnte größer kaum sein. Von Mechthild Löhr


Bonn (kath.net/Kirche Heute) Vom 9. bis 16. April dieses Jahres findet wieder die „Woche für das Leben“ statt. Sie befasst sich heuer besonders mit dem „vierten Lebensalter“. Mechthild Löhr, Bundesvorsitzende der „Christdemokraten für das Leben (CDL)“, ruft alle Christen dazu auf, diese Initiative als Chance zu nützen, um als Anwälte für die Würde eines jeden Menschen ihre Stimme zu erheben und aktiv zu werden.

In der frühchristlichen Gesellschaft der ersten drei Jahrhunderte n. Chr. lebten die Christen als zunächst unbeträchtliche religiöse Minderheit rund um das Mittelmeer. Die multikulturell geprägte römische Mehrheitsgesellschaft beobachtete aufmerksam und kritisch deren soziales und religiöses Verhalten. In der von polytheistischen Kulten und promiskuitivem Leben geprägten Umgebung fielen ihr die Christen anhand wichtiger Unterschiede auf: Sie pflegten den Monotheismus, die Monogamie, die hohe Wertschätzung der Frau, die besondere Bereitschaft, jeden Kranken und Sterbenden zu pflegen und bis zuletzt zu achten, und schließlich ihr konsequent vertretenes Tötungsverbot. Dieses Verbot umfasste explizit auch die Abtreibung, die durchaus zur römischen Welt dazugehörte. Nicht zuletzt zeichneten sich die Christen durch ihren selbstlosen unentgeltlichen Einsatz für bedürftige, arme Menschen aus, mit denen sie nicht einmal verwandt waren.

Drei Quellen für den Lebensschutz

Gerade die Geschichte der frühen Christen und ihres sozialen Verhaltens erzählt von einer neuen und hohen Achtung gegenüber jeder menschlichen Person, die von Anfang an prägend wirkte und die Christen von anderen Menschen unterschied. Aufbauend auf der jüdischen Tradition sind es seitdem drei große Quellen, aus denen sich der Einsatz von Christen für das Leben speist.

1. Gottesebenbildlichkeit

Die erste Quelle ist zweifelsohne der Schöpfungsbericht im Buch Genesis, der nicht nur festhält: „Als Mann und Frau schuf er sie“ und: „Seid fruchtbar und vermehrt euch“, sondern bereits die Gottesebenbildlichkeit des Menschen fixiert, die der Schöpfer in jeden Einzelnen hineinlegt (Gen 1,26-28). Diese Sicht des Judentums war schon in der Antike eine unerhörte Provokation.

2. Menschwerdung Gottes

Im Christentum erhielt sie durch die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus noch eine ganz neue Dimension. Und darin besteht die zweite Quelle, welche den Wert des menschlichen Lebens offenbart. Seitdem gilt: Wenn Gott den Menschen erschaffen hat und selbst Mensch geworden ist, wenn er jedem Menschen eine unsterbliche Seele schenkt, dann ist jeder Angriff auf das Leben, wie er auch immer gerechtfertigt werden mag, ein Angriff auf ein Kind Gottes. Dies drücken für das frühe Judentum in gewisser Weise schon das vierte und fünfte Gebot aus: „Du sollst Vater und Mutter ehren“ und: „Du sollst nicht töten“.

3. Neues Gebot der Liebe

Die dritte Quelle, die es Christen zur selbstverständlichen und dauerhaften Verpflichtung macht, sich stets für und niemals gegen das von Gott geschenkte Leben einzusetzen, liegt in dem Auftrag: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ Er wird durch das Wort Jesu verstärkt: „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“ (Joh 13,34). Wirklich jeder Mensch ist von Gott geliebt.

Dass diesem klaren Auftrag in der Geschichte leider nie konsequent entsprochen wurde, weder im Judentum noch im Christentum, kann das göttliche Gebot weder aufheben noch relativieren. Achtung und Schutz eines jeden menschlichen Lebens sind und bleiben auf der Grundlage der genannten Quellen ein entscheidender und unmissverständlicher Auftrag an die christliche Lebensgestaltung, wenn sie denn glaubhaft und überzeugend sein soll.

Drohende Herausforderungen

Der Kontrast zur gegenwärtigen Missachtung menschlichen Lebens könnte größer kaum sein. Womit haben wir es zu tun? In den internationalen Debatten geht es heute um weltweite Legalität und Legitimität von Abtreibung, um künstliche Reproduktionstechniken, um die Produktion von Embryonen, um verbrauchende Embryonenforschung und Selektion nach Krankheiten (PID/NIPD), um Mehrlingsreduktionen, um Leihmutterschaft. Und es geht um Forderungen nach einer mehr oder weniger aktiven „Sterbehilfe“. Angesichts des oben Gesagten ist es nicht weiter überraschend, dass es weltweit vor allem Christen sind, die energisch widersprechen, wenn Ungeborenen oder Kranken ihr Lebensrecht genommen wird.

Denn jedes menschliche Leben ist grundsätzlich als kostbar anzusehen, zu achten und zu schützen. Dieses Gesetz ist als eine Art DNA ins Christentum eingeschrieben. Es durchdringt und verbindet Kirche und Christen in aller Welt. Wer sich die Mühe macht, die Internetseiten beliebiger Bistümer und Bischofskonferenzen zu besuchen, wird rasch feststellen, dass es kaum ein Land auf der Welt gibt, in dem der Schutz des menschlichen Lebens und das Angebot von Hilfen für schwangere Frauen in Not- und Krisensituationen nicht zum festen caritativen Angebot der Kirche gehören würde. Führend ist hier ohne Zweifel die nordamerikanische Bischofskonferenz, die u.a. zu den Initiatoren der großen Pro-Life-Demonstrationen in Washington gehört, die inzwischen europaweit kopiert werden. Besonders die großen Demonstrationen in Rom, Madrid oder Paris wären ohne kirchliche Unterstützung kaum möglich gewesen.

Der erfreuliche Einsatz für eine größere Achtung vor dem Leben wächst nicht ohne Grund: Das Spektrum drohender Herausforderungen ist ebenfalls binnen kurzer Zeit in besorgniserregender Weise größer geworden. Nachdem es bis in die 1990er Jahre hinein noch primär um den Schutz Ungeborener vor legalisierter und staatlich (mit-)finanzierter Abtreibung ging, ist mittlerweile eine ganze Reproduktionsindustrie entstanden, die den Menschen in seinen ersten neun Lebensmonaten zunehmend für „vogelfrei“ und beliebig produzierbar erklärt, für ein nach genetischen Kriterien aussortierbares und vollständig verfügbares Produkt seiner jeweiligen „Kinderwunsch“-Eltern.

Diese fragen sich: „Passt das Kind gerade jetzt in meine/unsere Lebensplanung? Ist es gesund genug? Können wir die Kosten tragen?“ Das sind heute nicht selten die relevanten Kriterien, nach denen junge Menschen sich für eine Abtreibung und gegen eine Geburt entscheiden. Das eigene Recht auf Leben und die Menschenwürde des Kindes spielen leider allzu häufig keine Rolle mehr. Staatlich geförderte Aufklärung besteht gerade in Europa vor allem aus Werbung für möglichst dauerhafte Verhütung und aus unkomplizierten, weitgehend sogar kostenfrei verfügbaren, „sicheren“ Abtreibungsangeboten (ergänzt um millionenfach verkaufte „Pillen danach“).

Über 5,7 Millionen Abtreibungen hat allein das Statistische Bundesamt seit 1974 erfasst. Weiterhin kommen Jahr für Jahr weit über 100.000 Kindstötungen dazu. Dahinter stehen Tag für Tag viele persönliche Schicksale und Dramen, die in Gesellschaft, Politik oder Medien und leider sogar in den Kirchen nicht mehr der Erwähnung oder der Betroffenheit für wert befunden werden. Als Christen aber müssen wir dagegen klar und hartnäckig bleiben. Wir müssen den notwendigen Veränderungswillen weiterhin täglich einfordern! Denn „die direkte und freiwillige Tötung eines unschuldigen Menschen [ist] immer ein schweres sittliches Vergehen … sie widerspricht den Grundtugenden der Gerechtigkeit und der Liebe“ (Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium Vitae, Nr. 57).

Gegenprogramm von Mutter Teresa

Woran liegt es, wenn wir uns nicht entschieden genug für das Leben einsetzen? An falsch verstandenen Rücksichten auf eventuelle Empfindlichkeiten? An Angst vor Kritik und Intoleranz? Warum? Wir haben doch mächtige Verbündete: Neben dem Bundesverfassungsgericht hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in ständiger Rechtsprechung bestätigt, dass bereits dem Embryo Menschenwürde zukomme und er daher staatlicherseits zu schützen und zu achten sei. Bei weltweit hohen Abtreibungszahlen (die WHO spricht von unvorstellbaren 40 Millionen jährlich) kommt dem christlichen Eintreten für das Leben der Schwächsten und Ungeborenen allergrößte Bedeutung zu. Gerade wir Christen müssen ge-genüber weltweit anschwellenden Forderungen nach einem „Menschenrecht auf Abtreibung“ zu konsequenten Anwälten für das Leben werden – wenn wir unseren Glauben und das Leben und Schicksal junger Menschen ernst nehmen.

In den elenden Slums von Kalkutta formulierte Mutter Teresa das Gegenprogramm jener menschenverachtenden Agenda: „Kinder sind Gottes schönstes Geschenk. Jedes Kind hat das Recht, auf die Welt zu kommen, ob es erwünscht ist oder nicht.“ In Kalkutta errichtete sie auch ihre ersten Sterbehäuser. Dort sammelte sie tatsächlich die Ärmsten der Armen, die Sterbenden, an den Straßenrändern der Stadt auf, um sie in diesen Sterbehäusern bis zum letzten Atemzug zu pflegen, zu trösten und sich ihrer Ängste anzunehmen.

Wie erschreckend mutet es dagegen an, wenn nun ausgerechnet in den reichsten Ländern der Welt – in Deutschland, in der Schweiz, in den Beneluxstaaten und in den USA – urplötzlich eine Unerträglichkeit des Sterbens behauptet und dringend nach einem vermeintlichen „Recht auf Sterbehilfe“ verlangt wird? Wenn die assistierte oder aktive (Selbst-)Tötung als autonome und selbstbestimmte Festlegung des Todeszeitpunktes verkauft wird? Auch hier werden – wie bei der Abtreibungsdebatte – höchst seltene Extremsituationen bemüht, um am Ende tatschlich belastete, alte oder lebensmüde Menschen vor die vermeintlich freie Wahl zwischen Leben und Tod zu stellen.

Unser kostbarster Auftrag

Vom 9. bis 16. April findet in Deutschland jetzt wieder die ökumenische „Woche für das Leben“ statt. Dies müsste eigentlich eine willkommene Gelegenheit sein, einmal nicht nur sicherlich auch berechtige Klima-, Tierschutz- oder Flüchtlingsfragen aufzuwerfen. Ehrlich müssen wir der täglichen tausendfachen Bedrohung menschlichen Lebens auch bei uns ins Auge sehen, ernsthaft und betroffen über unsere lebensmüde gewordene Kultur nachdenken. Für die Schwächsten, für die Ungeborenen und für die lebensmüden Alten und Kranken müssen wir Christen mehr tun als bisher. Wer, wenn nicht wir? Tötungsangebote dürfen nicht einfach stillschweigend zum Ausdruck neuer „Selbstbestimmung“ und „Freiheit“ werden!

Prüfen wir gerade in dieser „Woche für das Leben“ einmal selbstkritisch uns und unsere kirchlichen Gemeinschaften: Wo findet wirklich noch Aufklärung im Sinne des Lebens-schutzes statt? Wo wird im Rahmen der Gemeinde-Seelsorge alles versucht, um den hohen Wert eines jeden ungeborenen Menschen bewusst zu machen und tatsächlich jedes Kind willkommen zu heißen? Wird das „heiße Eisen“ Abtreibung nicht längst mit dichtem Schweigen belegt – möglichst gar nicht mehr erwähnt oder beklagt? So als ob die Abtreibung eben doch eine konsensfähige Alternative zur Geburt eines Wunschkindes wäre? Und wird nicht die Beihilfe zum Suizid immer öfter zu einer vermeintlich sogar „guten“, „erlösenden“ Tat?

„Den Himmel und die Erde rufe ich heute als Zeugen gegen euch an. Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen“ (Dtn 30,19). Jedes Leben ist es wert, geschützt und geachtet zu werden – das ist und bleibt unser unverzichtbarer christlicher Auftrag, den wir niemals aufgeben können. Nutzen wir Christen die „Woche für das Leben“ wirklich dazu, uns auf unseren kostbarsten und ureigensten Auftrag zu besinnen: den Schutz der Schwächsten, der Kranken, der Alten und der Ungeborenen?

Fürbitten-Heft zur „Woche für das Leben“

Unter dem Titel „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben…“ (Joh 10,10) haben die „Christdemokraten für das Leben (CDL)“ ökumenische Fürbitten zum Thema Lebensschutz zusammengestellt. Das Heft möchte dazu beitragen, dass die große Bedrängnis von Frauen, Männern und Familien in krisenhaften Lebenssituationen, sei es am Lebensanfang oder am Lebensende, häufiger zum gemeinsamen Gebetsanliegen gemacht wird. Die auch zur „Woche für das Leben“ passende Sammlung ist auf der CDL-Homepage – www.cdl-online.de/literatur/7 – zu finden oder über die Bundesgeschäftsstelle der CDL zu beziehen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2016 - © Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting) - www.kirche-heute.de .

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