Syrien: 'Die Früchte eurer Liebe trösten uns'

6. April 2016 in Weltkirche


Trotz der Waffenruhe bleibt das Leben der Christen Aleppos schwierig – „Kirche in Not“ unterstützt jetzt ein Projekt, das den Alltag der Menschen verbessern helfen soll


Wien/Aleppo (kath.net/KIN) Im März ging der Konflikt in Syrien in sein sechstes Jahr. Die Waffenruhe und die Genfer Gespräche zwischen den Kriegsparteien lassen erstmals zarte Hoffnung aufkeimen, dass dem hunderttausendfachen Sterben vielleicht bald ein Ende gesetzt werden kann. Doch echte Sicherheit und Frieden gibt es für die Menschen etwa in der umkämpften Stadt Aleppo dennoch nicht. Der dort in der römisch-katholischen Pfarrei tätige Franziskanerpater Ibrahim berichtet gegenüber „Kirche in Not“ davon. „Auch wenn derzeit viel von Waffenstillstand gesprochen wird, ging kürzlich die Bombardierung derjenigen Teile von Aleppo, die von der regulären Armee kontrolliert werden, weiter. Genau dort leben die Christen von Aleppo.“ Doch Pater Ibrahim verzagt nicht. „Danken wir dem Herrn für das Positive, das geschieht, und hoffen wir, dass der Waffenstillstand, den zumindest ein Teil der Milizen und bewaffneten Gruppen respektiert, weiterhin Bestand haben möge.“

Doch selbst wenn die Waffen ganz schwiegen, bliebe der Alltag für die Menschen alles andere als einfach. „Die Situation unserer Familien in Aleppo lässt sich leicht erklären. Unter all den Familien in syrischen Städten haben es die Familien in Aleppo am schlechtesten“, sagt er. Und rechnet vor: „Laut einer kürzlich gemachten Erhebung benötigt jede Familie in Aleppo 17000 syrische Lire. Dies ist das Minimum, um das Wesentliche zu kaufen: Strom, Wasser und Gas.“ Doch nicht einmal das steht allen Menschen zur Verfügung. „Von unseren 600 Familien befinden sich mehr als 250 in absoluter Armut und leben von monatlichen Einkünften von weniger als 25.000 syrischen Lire.“ Dies bedeutet, so Pater Ibrahim, dass sie nicht in der Lage sind, in ausreichender Weise Nahrungsmittel zu erwerben, wie es der Würde jedes Menschen entspräche. Die Folgen sind in vielen Fällen verheerend. „Fünfzehn unserer Pfarrmitglieder sind in letzter Zeit ins Krankenhaus gekommen und mussten Bluttransfusionen von mehreren Litern erhalten, weil sie aufgrund der Mangelernährung und ihrer Folgen in Todesgefahr schwebten.“

Von der Not sind Pater Ibrahim zufolge nur wenige ausgenommen. „In unserer lateinischen Gemeinde gibt es laut unserer Daten unter den 600 Familien nur fünf, die wirklich vermögend sind, während die übrigen an der Armutsgrenze leben. Auch die meisten derjenigen, die früher wohlhabend waren, sind während der fünf Kriegsjahre verarmt und bitten nun offen um Hilfe.“ Die Jahre der Not hätten tiefe Spuren hinterlassen. „Es ist beeindruckend, Personen zu sehen, die Industrielle waren und Einnahmen von Hunderttausenden von Dollar hatten und nun in Armut geraten sind. Sie haben ihre Büros und Firmen mit all den Maschinen verloren. Geblieben sind ihnen nur die Bankschulden, die sie nicht begleichen können.“

Zu der Mangelernährung kommen andere Versorgungsschwierigkeiten hinzu. „Die Elektrizität gehört zu unseren größten Problemen. Strom gelangt nur über Elektrogeneratoren privater Firmen ins Haus, die zu überhöhten Preisen die „Ampere“ verkaufen“, klagt er. „Eine Familie oder auch eine alleinstehende Person benötigt mindestens zwei Ampere, um nur zwei oder drei Lampen oder einen Fernseher oder ein Radio betreiben zu können. Zwei Ampere reichen nicht einmal, um eine Waschmaschine zu betreiben oder eine Pumpe, wenn in seltenen Fällen einmal Wasser verfügbar ist. Zwei Ampere sind der Minimalverbrauch eines Armen oder einer armen Familie.“ Mit weniger als dieser Menge, so Pater Ibrahim, sitze man im Dunkeln „Das hat zu zahlreichen psychologischen Störungen und zur Verzweiflung vieler Personen geführt, wie wir schon vielfach beobachten mussten.“

Besonders Familien mit Kindern sind vom Strommangel betroffen. „Eine Familie mit Schulkindern oder Kindern an der höheren Schule oder Universität kann nicht ohne Elektrizität leben, da diese sonst ihren Hausaufgaben und Studien nicht nachgehen können. Aus diesen Gründen haben wir daran gedacht, den armen Familien zu helfen, die hier geblieben sind, weil sie sich ihrem Land verbunden fühlen oder weil sie aus Mangel an Geld keine Möglichkeit zur Flucht haben. Wir wollen ihnen helfen, in Würde zu leben.“ Dazu hat Pater Ibrahim das „Projekt zwei Ampere für jede Familie” ins Leben gerufen. „Es soll unser Beitrag sein, um die minimalen Ausgaben einer Familie zu finanzieren. Es ist eine Hilfe, die auch psychologischen Wert hat und einen Ausdruck der Solidarität darstellt.“ Mit Spenden aus verschiedenen Ländern hat „Kirche in Not“ das Projekt für Aleppos Christen unterstützt.

Den Wohltätern von „Kirche in Not“ ist Pater Ibrahim schon jetzt dankbar: „Wenn uns auch die Raketenangriffe auf uns erschrecken, uns das Herz schwer und uns traurig machen, so trösten uns doch die Früchte eurer Liebe. Im Namen der Christen von Aleppo, insbesondere im Namen der lateinischen Pfarrei und der Franziskaner von Aleppo, übersende ich euch die besten Wünsche für einen heiligen Weg der Bekehrung zum Vater, der reich an Barmherzigkeit ist.“

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KIRCHE IN NOT ist ein internationales katholisches Hilfswerk. Das Werk leistet weltweit geistliche und materielle Hilfe für Christen,
die wegen ihres Glaubens bedroht oder verfolgt werden.

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Foto Pater Ibrahim © Kirche in Not


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