Islam: auch ein Exodus

8. März 2016 in Aktuelles


Die Konversionen zum Christentum nehmen zu. Notwendigkeit und Chancen der Mission. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Am 5. März wurde das „Päspstliche Jahrbuch 2016“ („Annuario Pontificio 2016) zusammen mit dem „Annuarium Statisticum Ecclesiae 2014“ veröffentlicht (kath.net hat berichtet). Zahlen sind nur Zahlen, bieten jedoch – jenseits der Beschränktheit des eigenen Gartens, den man zu pflegen liebt – einen interessanten Einblick in das, was in der Welt der universalen Kirche geschieht. In neun Jahren ist die Zahl der getauften Katholiken mehr gewachsen als die der Weltbevölkerung (14,8 % gegenüber 10,8%). 17,8 % der Weltbevölkerung waren im Jahr 2014 katholisch (im Jahr 2005: 17,3 %).

Besonders auffallend ist das weltweit größte Wachstum in Afrika, doppelt so hoch wie in Asien. Im selben Zeitraum übertraf das Wachstum der Zahl der Katholiken das der Gesamtbevölkerung um 23,8 %. Der Kontinent verzeichnete 215 Millionen Katholiken im Jahr 2014. 17 % der Katholiken weltweit sind Afrikaner, ein Anstieg von 3,2 % in zehn Jahren, während der Anteil der Europäer in zehn Jahren von 25,2 % auf 22,6 % abgefallen ist.

Dennoch wird gern die „erschreckende“ Nachricht verbreitet: Der Islam ist „die in der Welt am meisten verbreitete Religion“. Viele Medien fügen hinzu: der „Vatikan bestätigt“. Eines ist richtig: einem Christentum, das sich an ein herrschendes abendländisches Weltbild angleicht, das in seinem Herzen den Materialismus, Hedonismus und Relativismus trägt, kann bei einer derartigen Nachricht schon schwindelig werden, während das Neuheidentum dann gern verstohlen grinst. Angesichts zunehmender Migrationswellen aus islamischen Ländern jedoch schlägt dieses Grinsen schnell in Ratlosigkeit um. Für den Christen im säkularisierten Europa stellt sich die Frage: Warum ist der Islam so anziehend? Was fehlt uns? Stimmt es wirklich, dass der Islam „anziehend“ ist? Oder wie dies Papst Franziskus mit einem Wort Benedikts XVI. immer wieder für die Kirche betont: „Die Kirche wächst nicht durch Proselytismus. Die Kirche wächst durch Anziehung, weil sie anzieht durch das Zeugnis, das ein jeder von uns dem Volk Gottes gibt“. Ist der Islam also „anziehend“? Und: Wie steht es mit dem naiven Bild eines (undifferenzierten) Islam, innerhalb dessen es bei den Gläubigen scheinbar keine größeren Probleme gibt?

Zunächst zu den Zahlen, die nicht beunruhigen sollten, denn: Quantität sagt nichts über Qualität aus. Ein statistisches Jahrbuch macht folgende Angaben: 1993: Christen: 1.833.022.000 (davon Katholiken 1.025.585.000); Muslime: 971.328.700. 2002: Christen: 2.000.000.000 (ohne Angaben zum Prozentsatz der Katholiken); Muslime: 1.300.000.000. 2007: Christen: 2.153.626.420 (davon Katholiken: 1.115.000.000); Muslime: 1.322.793.214.

Aus diesen Angaben folgt, dass, wenn überhaupt, der Islam zahlenmäßig nicht das Christentum überholt hat, sondern den Anteil der Katholiken. Des weiteren ist in Betracht zu ziehen, dass die Angaben über die Muslime nicht denselben objektiven Wert besitzen wie die Angaben über die Christen. Sie gehen davon aus, dass es Länder gibt, deren Bevölkerung zu 100% muslimisch ist, was zweifellos nicht der Wahrheit entspricht.

Was bedeutend interessanter ist und das Christentum, und dabei besonders die katholische Kirche, nachdenken lassen sollte, ist das Phänomen der steigenden Bekehrungen von Muslimen zum Christentum. Gerade von Seiten der Kirche wird dieser Dynamik wenig Beachtung geschenkt und ein Akzent auf den vielbeschworenen interreligiösen Dialog gesetzt. Nicht selten ist die Meinung zu verspüren: besser ist es, keinen Konvertiten aufzunehmen, besser ist es, ihm zu helfen, seine Religion so gut wie möglich zu leben. Kurzum: eine Absage an die Mission.

Das Phänomen der Konversionen wird gern verdrängt. Im Stillen handelt es sich um einen Prozess, der bisher wenig Beachtung gefunden hat und Millionen von Menschen auf der Welt betrifft. Laut Angaben der britischen Zeitung „The Times“ waren es bereits im Jahr 2008 15 % der in Europa ansässigen Muslime, die ihre Religion aufgegeben haben und zum großen Teil zum Christentum übergetreten sind. Allein in Großbritannien hatten 200.000 Muslime, die dem Islam den Rücken zugewandt haben. Schätzungen nach bekehren sich in Frankreich jedes Jahr 15.000 Muslime zum Christentum: 10.000 davon werden Katholiken, der Rest schließt sich protestantischen Gemeinschaften an.

Scheich Ahmad al-Qataani hatte sich schon 2007 in einem Interview mit dem Fernsehsender Al-Jazeera besorgt darüber geäußert, dass gerade in Afrika, wo der Islam immer die am meisten vertretene Religion war, im Vergleich mit dem letzten Jahrhundert die Zahl der Muslime einen starken Rückgang erlitten hat. Andererseits sei festzustellen, so Ahmad al-Qataani, dass die Zahl der Katholiken von 1,2 Millionen im Jahr 1902 auf nun 215 Millionen am Ende des Jahrhunderts angestiegen ist, Tendenz: steigend. Dazu kommen Gläubige anderer kirchlicher Gemeinschaften. Jede Stunde, so der muslimische Religionsvertreter, würden sich in Afrika 667 Muslime zum Christentum bekehren, jeden Tag 16.000, jedes Jahr 6.000.000: besorgniserregend enorme Zahlen, meinte al-Qataani.

Wahrscheinlich hat der Scheich bewusst übertrieben, um eine Gegenreaktion bei seinen Religionsangehörigen zu provozieren. Tatsache ist: der Islam wächst in der Welt durch steigende Geburtenraten, das Christentum durch Bekehrungen. Wie der evangelikale Prediger Wolfgang Simpson erklärte, sind in den letzten Jahrzehnten mehr Muslime zum Christentum gekommen als in allen vorausgehenden Jahrhunderten.

In Algerien führte eine Massenkonversion von 80.000 Menschen dazu, dass die Regierung ein Gesetz erließ, das den christlichen „Proselytismus“ schwer bestraft. In Marokko beklagten Zeitungsartikel die Bekehrung von 40.000 Muslimen. Im Sudan haben sich in den letzten 20 Jahren mehr als 5.000.000 Menschen dem Christentum zugewandt, dies trotz harter Verfolgungen durch die Regierung. Nach jahrzehntelangen Kriegen vor einem fundamentalistisch-islamistischen Hintergrund verzeichnet das Christentum im Kaschmir zahlreiche Untergrundkonversionen. Die Menschen können mit dem Fundamentalismus nicht mehr leben und kommen zur Kirche, um Frieden zu finden. Der Mufti von Perak in Malaysia schätzt die Zahl derer, die sich vom Islam offiziell abkehrten, auf 250.000. Die staatlich ratifizierte Apostasie ist in Malaysia ein Recht, das den ethnischen Minderheiten zugestanden wurde.

Vor allem die evangelikalen christlichen Bewegungen legen bei dieser Missionierungstätigkeit eine noch nie da gewesene Rührigkeit an den Tag. Und die katholische Kirche? Mehrere Male hatte der Jesuit und Spezialist für den Islam P. Samir Khalil Samir SJ darauf hingewiesen, dass in Ländern mit muslimischer Mehrheit die katholischen Priester und auch Bischöfe dazu neigen, den Wunsch der Menschen nach einer Hinwendung zum Christentum nicht zu akzeptieren und im Zeichen eines interreligiös-dialogalen Zusammenlebens von einer Konversion abraten. So zeigt es sich gerade heute, wie wichtig die von der Glaubenskongregation im Dezember 2007 veröffentliche „lehrmäßige Note zu einigen Aspekten der Evangelisierung“ ist: es muss eindringlich und unwiderruflich bewusst werden, dass es keine Evangelisierung ohne Mission gibt.

Denn, so die Note: „Auch wenn die Nichtchristen durch die Gnade, die Gott schenkt auf Wegen, die er weiß, gerettet werden können, kann die Kirche doch nicht unbeachtet lassen, dass ihnen in dieser Welt ein überaus hohes Gut fehlt: die Erkenntnis des wahren Antlitzes Gottes und die Freundschaft mit Jesus Christus, dem Gott-mit-uns. Denn ‚es gibt nichts Schöneres, als vom Evangelium, von Christus gefunden zu werden. Es gibt nichts Schöneres, als ihn zu kennen und anderen die Freundschaft mit ihm zu schenken’“. Gerade die katholischen Christen müssen daher, besonders angesichts der aktuellen Migrationsströme, deren Ende nicht abzusehen ist, wieder den Mut finden, ihre ureigenste Aufgabe zu erkennen und mutvoll zu erfüllen. Dabei handelt es sich um einen Dienst für die Menschheit: den Dienst der Wahrheit, die den Gott, der Liebe ist, zeigt. In hoc signo vinces.

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