Scheuer warnt vor Folgen einer 'weltanschaulicher Promiskuität'

7. März 2016 in Österreich


Linzer Bischof: Wer die Wahrheitsfrage grundsätzlich unter Ideologieverdacht stelle, "der eröffnet nicht einfach das große Spiel der Freiheit, sondern überlässt das Feld dem Konkurrenzkampf".


Linz (kath.net/KAP) Der Linzer Diözesanbischof Manfred Scheuer (Foto) warnt vor den Folgen einer "weltanschaulichen Promiskuität", die er der heutigen Gesellschaft im Zeitalter des kulturellen Pluralismus attestiert. Der Mensch neige dazu, "die widersprüchlichsten Auffassungen im Recht oder in der Religion gelten zu lassen", sagte Scheuer im Rahmen der Kurt-Schubert-Gedächtnispreisverleihung in Linz. Wer aber die Wahrheitsfrage grundsätzlich unter Ideologieverdacht stelle, "der eröffnet nicht einfach das große Spiel der Freiheit, sondern überlässt das Feld dem Konkurrenzkampf", so der Bischof bei dem Festakt am vergangenen Donnerstag in Linz.

Dass die Maßstäbe von Gut und Böse nicht beliebig sondern unverrückbar bleiben, verdeutlichte Scheuer am Beispiel des Nationalsozialismus. Der "Gewissensprotest" etwa eines Thomas Morus oder Franz Jägerstätters zeigten in der geschichtlichen Rückschau, "dass die Maßstäbe von Gut und Böse eben auch dann unverrückbar bleiben, wenn sie in der damaligen pervertierten öffentlichen Moral kaum Widerhall fanden und ethische Werte auf den Kopf gestellt wurden". Das Gewissen so verstanden, sei kein Handlanger des Eigeninteresses: "Es gibt nicht die Erlaubnis für alles und jedes, es ist nicht die Instanz der Beliebigkeit oder der Auflösung von Normen. Das Gewissen ist der Ort der Erfahrung des Unbedingten, das uns in Anspruch nimmt."

Die globale Aushöhlung von verbindlichem Recht entpuppe sich daher bei genauerer Betrachtung, so Scheuer, als Komplizin der Gewalt und Beliebigkeit. Eine solche Liberalität, die unterschiedslos den Menschen gleiches Recht widerfahren lässt, eine unterschiedslose Güte gegen alles, schlage letztlich um in Kälte und Rohheit gegen jeden: "Ja und Nein verkommen zu einer Frage des Geschmacks und der Laune, Leben oder Tod wird zur Frage des besseren Durchsetzungsvermögens, Wahrheit oder Lüge eine Frage der besseren Taktik, Liebe oder Hass eine Frage der Hormone, Friede oder Krieg eine Frage der Konjunktur."

Umgekehrt sei aber auch jede Rede von Gewissen und Martyrium unter das Gericht der Wahrheit zu stellen, betonte der Bischof weiter: "Nicht die Intensität einer Überzeugung, die auch im Tod stand hält, nicht der Tod an sich, nicht der Heroismus der Hingabe, auch nicht die Radikalität des Sterbens an sich bezeugen schon die Wahrheit", sondern vielmehr "der innere Grund, die Ursache bzw. Gesinnung, die den Märtyrer Christi ausmachen."

Zu Recht stehe gegenwärtig die Rede von Opfer, Verfolgung und Martyrium unter Ideologieverdacht, wenn Gewalt, Weltfeindlichkeit, Selbsthass, Todestrieb, Verfolgungswahn, Verschwörungsdenken, Feindbildbedürfnis oder Sündenbockmechanismen im Spiel sind. "Jede zwanghafte, fanatische oder hysterische Identitätssicherung ist eine Zerrform des Glaubens", hob Scheuer hervor.

Der Kurt-Schubert-Preis erinnert an den 2007 verstorbenen Begründer der akademischen Judaistik in Mitteleuropa und Wegbereiter für den jüdisch-christlichen Dialog in Österreich. Mit der Auszeichnung wurden heuer zwei weitere Vorkämpferinnen des christlich-jüdischen Dialogs, die Oberösterreicherin Irmgard Aschbauer und die Wienerin Ruth Steiner, geehrt. Der Preis wird alle zwei Jahre vom Forum für Weltreligionen gemeinsam mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich, dem Katholischer Akademikerverband, dem Stift Klosterneuburg und dem Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit vergeben.

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Foto Bischof Scheuer (c) Diözese Linz / Hermann Wakolbinger


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