Schöpfung und Evolution, reloaded

3. März 2016 in Kommentar


Es ist Zeit, dass wir das „Intelligent Design“- Modell ad acta legen und uns Thomas von Aquin erneut zuzuwenden. Gastbeitrag von Dr. Berta Moritz


Wien (kath.net) Am 18. Februar 2016 hat Dr. Marcus Franz in der in kath.net erschienenen Kolumne „Intelligent Design, reloaded“ die Frage aufgegriffen, ob der Glaube an Gott etwa unwissenschaftlich sein, und ob die Evolutionstheorie die Existent Gottes ausschließe. Ich bin dafür sehr dankbar und schließe mich seiner Schlussfolgerung an: „Die Existenz des Göttlichen widerspricht daher weder der Wissenschaft an sich noch der Evolutionstheorie im Speziellen.“ Dieser Beitrag soll jedoch zeigen, dass es Zeit ist, das „Intelligent Design“- Modell ad acta zu legen und uns Thomas von Aquin erneut zuzuwenden.

„Finding Design in Nature“ – das war der Titel des Gastkommentars von Kardinal Christoph Schönborn im Juli 2005 in der New York Times. In der deutschen Übersetzung: „Den Plan in der Natur entdecken“. Das im Jahr 2007 erschienene Buch von Kardinal Schönborn heißt „Ziel oder Zufall?“ In allen Fällen geht es um den lateinischen Begriff des „telos“. Die Diskussion begann im englischen Sprachraum, und hier sind ideengeschichtliche Hintergründe zu berücksichtigen. Im Englischen verbindet man mit „telos“ zunächst „design“, „purpose“ (Zweck) und erst später denkt man an „finality“ (Zielgerichtetheit). Während wir in unserem Sprachraum den teleologischen Gottesbeweis mit dem 5. Weg des hl. Thomas von Aquin gleichsetzen, wird im Englischen das „teleological argument“ gleichgesetzt mit „argument from design“, und zumeist meint man damit das bekannte Bild vom göttlichen Uhrmacher, das der anglikanische Theologe William Paley, zwar von anderen übernommen, aber meisterhaft, ganz in der Tradition der englischen Natürlichen Theologie stehend, ausgebaut hatte: Lebewesen sind kompliziert gebaute Mechanismen, gut abgestimmt auf ihre Umwelt und ihre Funktion, und können einfach nur durch das Eingreifen Gottes erklärt werden. Charles Darwin war in seiner Jugend fasziniert von William Paley, doch kehrte er sich später immer deutlicher davon ab. Warum? Neben dem Schönen und Sinnhaften gibt es auch Baufehler, Krankheiten, Parasiten, es gibt eben auch "Natur, Zähne und Klauen blutigrot". Und die passen gar nicht zum fehlerlosen Design dazu.

Im 19. Jahrhundert dachte man noch nicht an Lebenszyklen, Ökosysteme, Kreisläufe und Interaktionen, wie wir Biologen das heute tun. Biologen heute haben gleichsam einen emotionsloseren Zugang zum sogenannten „physikalischen Übel“, dem Übel in der unbelebten und belebten Natur, denn wir erkennen diese Zusammenhänge. Vielleicht hätte es Charles Darwin aber auch geholfen, wenn er gewusst hätte, dass das ursprüngliche teleologische Argument jenes von Thomas von Aquin war, der aus der Ordnung der Natur heraus und daraus, dass es Zielgerichtetheit, „telos“, in der Natur gibt, die sich die Natur nicht selbst geben kann, Gott die Natur führt und lenkt.

Die moderne „Intelligent Design“-Bewegung baut William Paley’s Argumentation aus, nur wort-und bildreicher mit neuen Begriffen wie „nicht-reduzierbarer Komplexität“, oder „spezifische Komplexität“ (die sich mit dem Informationsgehalt beschäftigt). Etwas überspitzt ausgedrückt, legt der Gott des „Intelligent Design“ ständig Hand an, um die Wunder der Natur zu schaffen. Überall, wo wir keine Erklärung haben, wird Gott die Erklärung. Treffend sagt Dietrich Bonhoeffer in einem Brief an seinem Freund Eberhard Bethge: „Das Weizsäcker‘sche Buch über das »Weltbild der Physik» beschäftigt mich noch sehr. Es ist mir wieder ganz deutlich geworden, daß man Gott nicht als Lückenbüßer unserer unvollkommenen Erkenntnis figurieren lassen darf; wenn nämlich dann — was sachlich zwangsläufig ist — sich die Grenzen der Erkenntnis immer weiter herausschieben, wird mit ihnen auch Gott immer weiter weggeschoben und befindet sich demgemäß auf einem fortgesetzten Rückzug. In dem, was wir erkennen, sollen wir Gott finden, nicht aber in dem, was wir nicht erkennen; nicht in den ungelösten, sondern in den gelösten Fragen will Gott von uns begriffen sein.“ (Brief vom 29. Mai 1944, Widerstand und Ergebung: Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft).

Stellen wir uns Gott als Feinst-Mechaniker im zellulären oder organismischen Bereich vor? Oder gleichsam der Mikro-Manager, der seinen Geschöpfen keinen Freiraum zugestehen kann, und stets bedacht sein muss, dass keine Fehler passieren?

Nein! Unser Gott ist der Gott, der durch sein machtvolles Wort Himmel und Erde, das ganze Universum erschuf und im Dasein erhält. In seiner neuen Enzyklika „Laudato Si“ schreibt Papst Franziskus: „Der Geist Gottes erfüllte das Universum mit Wirkkräften, die gestatten, dass aus dem Innern der Dinge selbst immer etwas Neues entspringen kann: ‚Die Natur ist nichts anderes als die Vernunft einer gewissen Kunst, nämlich der göttlichen, die den Dingen eingeschrieben ist und durch die die Dinge sich auf ein bestimmtes Ziel zubewegen: so, als könne der Schiffsbauer dem Holz gewähren, dass es sich von selbst dahin bewegt, die Form des Schiffes anzunehmen.‘ (Thomas von Aquin, In octo libros Physicorum Aristotelis expositio, Lib. II, lectio 14, n. 8)“ (Laudato Si, Pkt. 80) Gott gewährt seinen Geschöpfen mitzuwirken – in dieser Sicht löst sich jegliche gedachte Widersprüchlichkeit zwischen Schöpfung und Evolution einfach auf!

Gott ist „als universale transzendente Ursache nicht nur die Ursache der Existenz, sondern auch die Ursache der Ursachen ist. Gottes Handeln verdrängt oder ersetzt die Tätigkeit geschöpflicher Ursachen nicht, sondern ermöglicht ihnen gemäß ihrer Natur zu handeln und nichtsdestoweniger die Ziele herbeizuführen, die er anstrebt.“ (Gemeinschaft und Dienstleistung, Dokument der Vatikanischen Theologenkommission, 2004, Pkt 68).
Gott führt die Geschöpfe zu den Zielen, der er anstrebt. – Deshalb heißt wohl Schönborns Buch „Ziel oder Zufall?“, und nicht "Design oder Zufall?".

Vielleicht noch etwas Ehrenrettung für den Zufall: Wir verwenden den Zufall als Rechnungsgröße in der Medizin: bei der Strahlentherapie oder der Röntgendiagnostik: wir wissen nicht – und können es auch nicht wissen – welche Teilchen zerfallen, aber wir wissen, wie viele es pro Zeiteinheit sind. Wenn wir die Nummerntafel vorbeifahrender Autos beobachten, ist die Abfolge wohl recht zufällig; der oder die Autofahrer/in ist jedoch nicht zufällig unterwegs… Zufall ist nicht Zufall. Ja, die Mutationen im Erbgut geschehen mehr oder weniger zufällig (mit mehr oder weniger meine ich: sie sind nicht an allen Stellen gleich häufig), ob sie sich manifestieren mag auch noch zufällig sein, ob sie sich durchsetzen – da spielen schon wieder andere Faktoren wie Selektion und Isolation eine Rolle. In jedem Fall erscheint der Zufall als etwas, was nicht streng vorgegeben ist.

Und hier finden wir auch die Einreihung beim hl. Thomas von Aquin: er unterscheidet zwischen jenen Dingen, die „notwendig“ geschehen, und jenen, die „kontingent“ sind, wobei wir hier in der deutschen Übersetzung wohl nicht ganz unberechtigt den Begriff „zufällig“ finden. Und sowohl notwendige als auch zufällige Dinge unterliegen der Vorsehung Gottes (Summa theologiae I, 22,4 ad 1; siehe auch Gemeinschaft und Dienstleistung Nr. 69).

Ich gebe zu: manchmal liegt in der thomistischen Sicht auch unser Denk-Wagnis: Gott ist ein Gott, der sich verbirgt (Is 45, 15) Gott kommt nicht im Erdbeben, oder im Sturm, sondern im Windhauch (1 Kön 19,11-13).

Das Motiv des „verborgenen Gottes“ war eines, das George Lemaître, Astronom, Priester und der Begründer der Urknalltheorie, öfter verwendete. Er sagte einmal: „Der christliche Wissenschaftler weiß, dass nichts in der Schöpfung ohne Gott geschehen kann, aber er weiß auch, dass Gott niemals den Platz seiner Geschöpfe einnimmt. Das allgegenwärtige göttliche Wirken ist im Wesentlichen verborgen. Es sollte sich nie die Frage stellen, das höchste Wesen zu einer wissenschaftlichen Hypothese herabzusetzen.“ (Godart and Heller, Cosmology of Lemaître, p. 174, Zitat - eigene Übersetzung)

Weiterführende Literatur:
- Papst Franziskus: Enzyklika „Laudato Si“, 2015
- Christoph Kardinal Schönborn: Ziel oder Zufall? Schöpfung du Evolution aus der Sicht eines vernünftigen Glaubens, Herder, 2007
- Gemeinschaft und Dienstleistung, Dokument der Vatikanischen Theologenkommission, 2004, http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/cti_documents/rc_con_cfaith_doc_20040723_communion-stewardship_ge.html
- Wo ist Gott? – Interview mit Martin Nowak in „Die Zeit“, 4. Februar 2016, http://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/01/glauben-religion-physik-widerspruch-katholizismus-martin-nowak/komplettansicht

Dr. Berta Moritz ist Biologin und Biochemikerin und arbeitet in der klinischen Forschung. Gemeinsam mit ihrem Vater verfasste sie den Artikel „Evolution und Naturgesetze. Ein Beitrag zu einem interdisziplinären Dialog“, IMABE, Wien, 2007 (Berta Moritz und Helmut Moritz). Seit 2012 betreut sie die Facebook-Seite (kath.net/www.fb.com/sciencemeetsfaith).


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