Christliche Flüchtlinge separat unterbringen?

25. Februar 2016 in Kommentar


Zwei evangelische Kirchenvertreter beziehen in einem Pro und Kontra Stellung


Wetzlar (kath.net/idea) In deutschen Flüchtlingsheimen ist es wiederholt zu Übergriffen von radikalen Muslimen auf Christen gekommen. Betroffene berichten von Beleidigungen wie auch körperlicher Gewalt. Die Stadt Stuttgart eröffnet im Mai daher eine eigene Einrichtung für Christen. Müssen christliche Flüchtlingen getrennt von muslimischen untergebracht werden?

PRO
Ja, ich meine, dass christliche Flüchtlinge zum gegenwärtigen Zeitpunkt getrennt von muslimischen unterzubringen sind. Natürlich ist es wünschenswert, dass sich muslimische Flüchtlinge an ein Klima der Toleranz und Religionsfreiheit gewöhnen. Wenn aber die Praxis zeigt, dass Menschen die Verhältnisse aus ihren Heimatländern auf Deutschland übertragen, müssen christliche Flüchtlinge genauso wie alleinstehende Frauen oder stillende Mütter geschützt werden. Asylbewerber, die sich zu den Gemeinden der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) halten, haben wiederholt Drangsalierungen, wie körperliche Angriffe oder Beschimpfungen als „Kuffar“ (Ungläubige), erdulden müssen. Dabei wurden Ketten mit Taufkreuzen vom Hals gerissen, Bibeln zerrissen, der Zugang zur Küche verwehrt. Da kann man doch nicht warten, bis die politische Aufklärung über die Regeln unserer Gesellschaft greift! Deshalb fordere ich als Notlösung die getrennte Unterbringung für Menschen, die dies wünschen.

Es genügt nicht, bei der Leitung der Asylunterkünfte nachzufragen. Man muss schon die Betroffenen selbst hören. Dabei behaupte ich nicht, dass solche Vorfälle in allen Unterkünften stattfinden, und die Einrichtungen der Diakonie sind hier gewiss auszunehmen. Das Problem im Hintergrund scheint mir jedoch zu sein, dass in unserer Gesellschaft Christen eine Mehrheit darstellen und deshalb zu Recht sensibel mit den Minderheitenrechten von Muslimen umgehen. In den Aufnahmeeinrichtungen aber sind die Mehrheitsverhältnisse umgekehrt. Die Gesellschaft ist aber verpflichtet, auch dort Religionsfreiheit und die Achtung der Menschenwürde durchzusetzen – notfalls eben durch eine getrennte Unterbringung!

Der Autor, Hans-Jörg Voigt (Hannover), ist Bischof der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK).

KONTRA
Nirgendwo ist belegt, dass religiöse Minderheiten unter den Flüchtlingen – Christen oder Jesiden – in Flüchtlingsunterkünften systematisch angefeindet oder bedroht werden. Der Alltag in den Unterkünften gestaltet sich in aller Regel erstaunlich problemlos und friedlich. Dennoch alarmieren die Berichte über Beleidigungen und vereinzelte Übergriffe – nicht nur gegen Christen. Die zentralen Ursachen für Konflikte in Flüchtlingsunterkünften sind aber nicht die Glaubensunterschiede, sondern nach wie vor die räumlichen Verhältnissen der Unterkünfte selbst und der damit verbundene psychische Druck, unter dem die ohnehin belasteten Menschen sich befinden. Alle Flüchtlinge leiden unter der Enge, mangelnder Beschäftigung und der Unsicherheit über ihre aufenthaltsrechtliche Perspektive.

Religiös begründete Anfeindungen und Übergriffe dürfen nicht bagatellisiert werden. Doch das gilt auch für Übergriffe gegen Frauen, Kinder, Schwule und Lesben. Wer andere Menschen aufgrund ihrer Religion, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung beleidigt oder gar angreift, muss die Konsequenzen unseres Rechtsstaates spüren. Selbstverständlich müssen besonders Schutzbedürftige – aktuell vor allem Frauen und Kinder – Schutz erfahren.

Trotzdem halte ich eine getrennte Unterbringung sowohl nach Religion wie nach sexueller Orientierung für ein falsches Signal. Nachhaltiger ist es, über Respekt vor Andersgläubigen und die geltenden Freiheitsrechte aufzuklären und diese Rechte vor Ort auch durchzusetzen. Vor allem müssen angemessene Unterkünfte zur Verfügung gestellt werden. Alle Haupt- und Ehrenamtliche in Flüchtlingsunterkünften wie auch Asylbewerber sollten für das Thema sensibilisiert werden. Vorfälle sollten aufmerksam registriert, ihnen aber auch mit der gebotenen Nüchternheit begegnet werden.

Der Autor, Pfarrer Ulrich Lilie (Berlin), ist Präsident der Diakonie Deutschland und stellvertretender Vorsitzender des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung.


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