Marx warnt vor «Dramatisierungen und engstirnigem Gezänk»

17. Februar 2016 in Deutschland


Im Streit um die Flüchtlingspolitik warnt Kardinal Reinhard Marx vor «Dramatisierungen und engstirnigem Gezänk». Wer einen wachen Blick habe, brauche sich nicht von diffusen Ängsten aus der Bahn werfen zu lassen.


Schöntal (kath.net/KNA) Im Streit um die Flüchtlingspolitik warnt Kardinal Reinhard Marx vor «Dramatisierungen und engstirnigem Gezänk». Wer einen wachen Blick habe, brauche sich nicht von diffusen Ängsten aus der Bahn werfen zu lassen. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz wandte sich gegen einfache Lösungen und zeigte sich besorgt über rechtspopulistische Bewegungen. «Wir benötigen tatkräftiges Engagement statt Untergangsgeraune», sagte Marx am Mittwoch vor Journalisten in Schöntal.

Dort befasste sich die Deutsche Bischofskonferenz bei einem Studientag mit dem Thema. Zu den Gesprächspartnern gehörten unter anderen Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Auch Volker Türk, der Beigeordnete Flüchtlingshochkommissar des UNHCR aus Genf, und der für Lampedusa zuständige Kardinal Francesco Montenegro waren in die ehemalige Zisterzienserabtei im Norden Baden-Württembergs gekommen. Leitsätze zur christlichen Flüchtlingshilfe will die Bischofskonferenz am Donnerstag veröffentlichen.

Marx betonte, die Herausforderungen in der Flüchtlingspolitik seien immens. Aber staatliche Stellen, Kirchen und Zivilgesellschaft hätten eindrucksvoll gezeigt, «was unser Land zu leisten vermag, um große Aufgaben erfolgreich zu bewältigen». Nach Angaben des Kardinals haben die 27 Bistümer und kirchlichen Hilfswerke im Vorjahr zusammen 112 Millionen Euro für Flüchtlingshilfe aufgewendet. Das entspricht einer Steigerung von mehr als der Hälfte im Vergleich zu 2014. Etwa 5.100 Hauptamtliche und 100.000 Ehrenamtlich gäben der kirchlichen Flüchtlingshilfe ein Gesicht.

Der Kardinal betonte, wer nach Europa flüchte, weil er um Leib und Leben fürchten müsse, habe Anspruch auf Schutz und ein faires Verfahren. Im Vergleich zu anderen europäischen Regierungen habe die deutsche viel für eine menschenwürdige Aufnahme getan. Die Staaten in ganz Europa seien aufgefordert, ihren Beitrag zu leisten. Europa könne in der gegenwärtigen Krise reifen, aber auch einen Rückschlag erleiden, so Marx. Mit Blick auf den EU-Gipfel am Donnerstag hofft Marx «auf das Signal, dass Europa zusammensteht. Alles andere würde Europa beschädigen. Für Marx sind die Kirchen keine politischen Akteure, aber sie wollen, dass Lösungen gefunden werden, die den Menschen dienen, »vor allem den Schwachen«.

Der Flüchtlingsbeauftragte der Bischofskonferenz, Hamburgs Erzbischof Stefan Heße, kündigte eine Prüfung an, wie weitere kirchliche Kapazitäten genutzt werden können, um mehr Wohnraum für Flüchtlinge zu schaffen. Verbessert werden solle die seelsorgliche Begleitung von Flüchtlingen. Auch kirchlichen Bildungseinrichtungen sollten einen noch stärkeren Beitrag zur Integration von Migranten leisten. Nachdenken will die Kirche laut Heße darüber, welche Impulse sie geben könne, um eine schnellere Eingliederung von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt zu erzielen. Auch der interreligiöse Dialog solle gefördert werden.

Der Hildesheimer Bischof Norbert Trelle nannte es ein besonderes Anliegen der Bischöfe, »dass das Recht auf Asyl als Individualrecht erhalten bleibt«. Dies sei nur gewährleistet, wenn jeder Schutzsuchende Zugang zu einem individuellen und fairen Verfahren habe. Trelle, der die Migrationskommission der Bischofskonferenz leitet, wandte sich gegen eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen. Diese sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Marx bezeichnete es als »rote Linie«, Menschen in ein Land zurückzuschicken, wo sie an Leib und Leben bedroht seien.

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