Stumme Schreie

21. Jänner 2016 in Kommentar


Eine kirchliche Situationsanalyse. Gastkommentar von Prof. em. Hubert Windisch


Regensburg (kath.net) Vielen Gläubigen, die ihre Tage in Ehrfurcht vor Gott und in Gerechtigkeit gegenüber den Mitmenschen zu leben versuchen (vgl. Lk 1,75), fehlen oft die Worte, um den augenblicklichen Zustand unserer Kirche zu beschreiben, der sich zunächst einmal im Verhältnis der Kirche zu den aktuellen gesellschaftlichen und politischen Vorgängen in unserem Land widerspiegelt und von einem schmerzhaften Realitätsverlust in Bezug auf das, was die Menschen umtreibt, geprägt ist.

Die Ereignisse von Köln sind ja eine Offenbarung dafür, wie sehr die konkrete Wirklichkeit aus der Wahrnehmung führender Politiker und Kirchenleute verschwunden und einer deklarierten Wirklichkeit gewichen ist. Man verlangt dann nach den Vorfällen in Köln mehr Polizei für unser Land, obwohl die Wurzeln gerade in Bezug auf Migrationsprobleme und –kriminalität zumeist anderswo liegen.

Man betreibt also weithin Symptomkosmetik, jedoch kaum eine Ursachenauseinandersetzung bzw. –bekämpfung, für die die Kirche einen ganz eigenen Beitrag leisten könnte. Es mutet fast schon tragischkomisch an, wenn in der Silvesterpredigt im Kölner Dom vor einer Abschottung gegenüber Flüchtlingen gewarnt wird, während gleichzeitig die Böller und Leuchtraketen an die Fenster des Doms krachen und draußen auf der Domplatte viele Frauen gerne eine Mauer hätten, um sich dahinter vor sexuellen Übeltätern mit Migrationshintergrund verstecken zu können.

Viele Bürger und Gläubige fragen sich: Ist das eine politische und kirchliche Wirklichkeit, die uns trägt in unserem Land? Vieles von dieser Wirklichkeit macht viele sprachlos. Man will Klarheit und Wahrheit in Bezug auf die Dinge, wie sie sind, und bekommt sie weithin nicht.

Thomas von Aquin definierte einmal Wahrheit treffsicher als adaequatio intellectus ad rem, also als die Übereinstimmung von Verstand und Sachverhalt. An Sachverhalten mangelt es in diesen Tagen beileibe nicht. Mangelt es an Verstand, um in der augenblicklichen Krise die Wahrheit zu finden und die Dinge beim Namen zu nennen? Wenn ja, hätten wir es in Kirche und Politik mit Dummheit zu tun. Wenn nein, würde man der Verfälschung der Wahrheit, dem Vertuschen der Sachverhalte, der Lüge Vorschub leisten.

Warum setzt man sich z. B. in der Kirche nicht kritisch mit dem gewalt- und sexualpathologischen Potential im Islam, bei Mohammed ebenso wie im Koran, auseinander, anstatt religiöser Wasserträger für eine naive und unrealistische Flüchtlingspolitik ohne Maß und Ziel zu sein, die unser Land in gesellschaftliche Entwicklungen mit unabsehbaren Folgen hineinmanövriert?

Wo ist das kritische Potential der Kirchen in unserem Staat auf der Basis eines gläubig festen und theologisch fundierten christlichen Selbstbewusstseins gegenüber dem Islam?

Und warum trägt man kirchlicherseits nicht dazu bei, sozialethische Probleme nicht primär gesinnungsethisch lösen zu wollen? Flüchtlinge am Münchner Bahnhof zu begrüßen, wie Marx und Bedford-Strohm dies im vergangenen September taten, ist leicht als unbedarftes und falsches Signal zu erkennen, das für eine sachgerechte Lösung der anstehenden Probleme nicht ausreicht.

Doch die Irritation in Bezug auf den Zustand der Kirche greift bei vielen noch tiefer als sie durch das kirchliche Verhalten im aktuellen politischen Geschäft ausgelöst wird. Viele Gläubige sprechen inzwischen ihre Pfarrer darauf hin an, ob das noch ihre Kirche sei: wenn z. B. Bischöfe und Theologen Lebenswirklichkeiten (vor allem in sexualibus) als Offenbarungsquelle zu erkennen glauben, die mit der Lehre der Kirche unvereinbar sind; wenn z. B. am vergangenen 8. Dezember, dem großen Marienfeiertag, in Rom vormittags feierlich das Heilige Jahr der Barmherzigkeit eröffnet und dabei auch die Heilige Pforte des Petersdoms geöffnet wurde, am Abend dann aber auf dem Petersplatz eine Lichtshow „Fiat Lux“ stattfand, bei der über eine Stunde lang auf die Fassade und die Kuppel alle möglichen Tiergestalten projiziert wurden, darunter ein großer Affe mit der Benediktionsloggia im Maul; wenn z. B. im Video des Papstes zum Gebetsanliegen des Monats Januar am Schluss gleichberechtigt die Vertreter von Buddhismus, Judentum, Islam und Christentum nebeneinanderstehen und dabei jeweils ihr religiöses Symbol in die Kreismitte halten: eine Buddhastatue, einen siebenarmigen Leuchter, eine islamische Gebetsschnur und – kein Kreuz, sondern ein kleines Jesuskrippenkind.

Wieder sei Thomas von Aquin zitiert, der in seinem Kommentar zum Matthäusevangelium gesagt hat: Gerechtigkeit ohne Barmherzigkeit ist Grausamkeit; Barmherzigkeit ohne Gerechtigkeit ist die Mutter der Auflösung.

Momentan sind wir in der Kirche der zweiten Gefahr viel näher als der ersten. Viele Priester machen inzwischen schon, was sie wollen, manche Bischöfe auch. Es gibt auch schon Priester, die den Papst oder den jeweiligen Diözesanbischof nicht mehr im Hochgebet erwähnen, weil sie die Einheit der Kirche nicht mehr gewährleistet sehen.

Ist das alles nicht zum Schreien? Viele schreien stumm. Es bleibt die Hoffnung, dass ihr Schreien im Schrei Jesu am Kreuz (vgl. Mk 15,37) geborgen ist.

Prof. Dr. Hubert Windisch (Foto) ist emeritierter Professor für Pastoraltheologie der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg


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