Bist Du auch schon 'fair-rückt'?

21. Dezember 2015 in Kommentar


Adventszeit ist Konsumzeit. Jeder kauft, was das Zeug hält. Doch immer mehr junge Menschen sagen: Nein, wir müssen uns ändern! Wir müssen nachhaltiger werden! idea-Beitrag von Julia Bernhard


Wetzlar (kath.net/idea) Adventszeit ist Konsumzeit. Schokolebkuchen vom Supermarkt, Deko-Nippes für die Schwester zu Weihnachten, die perfekte und günstige Aufmachung für die Feiertage, eine neue Lichterkette für den Baum, weil bei der alten drei Lämpchen nicht mehr funktionieren – jeder kauft, was das Zeug hält. Aber bei manch einem meldet sich das schlechte Gewissen und stört das festliche Gefühl: Ist das so richtig? Immer mehr junge Menschen sagen: Nein, wir müssen uns ändern! Wir müssen nachhaltiger werden! Ein Beitrag von Julia Bernhard.

Zum Einkaufen geht Marie mit dem Stoffbeutel. Darin landen fair gehandelter Kaffee und Bio-Hackfleisch. Der Salatkopf wird beim Bauern vor Ort geholt. Aus alten Kleidern näht sie neue, aus kaputten Handtüchern schicke Taschen. Das zerbeulte Fahrrad wird repariert. Marie wohnt in Berlin, vielleicht auch in Heidelberg oder Freiburg. Sie ist zwischen 20 und 40 Jahre alt und steht für einen neuen Trend in ihrer Generation: „Neo-Ökologie“ hat eine Studie des Frankfurter Zukunftsinstituts ihn betitelt – neues Bewusstsein für Nachhaltigkeit. Die Ideale, die damit verbunden sind, sind steil, aber lobenswert: Dem Kleinbauern aus Indien soll seine Existenz gesichert werden, Unfälle in großen Textilfabriken sollen vermieden werden, die Ökobilanz unseres Daseins auf der Erde soll möglichst positiv ausfallen, die Natur soll nur so viel belastet werden wie absolut nötig.

Biofleisch und Fairtrade-Schokolade

Wer sich für diesen Trend interessiert, steigt am besten mit den Nahrungsmitteln ein. Immer mehr Verbraucher setzen inzwischen auf Produkte, die ohne Ausbeutung – also bei gerechter Bezahlung – hergestellt werden. Die Kirchen haben den Fairtrade-Trend vor 40 Jahren mitinitiiert. Mit „Gepa“ (Gesellschaft zur Förderung der Partnerschaft mit der Dritten Welt) haben u.a. Brot für die Welt, Misereor und die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland (aej) eine Organisation gegründet, die sich gegen ungerechte Welthandelsstrukturen und für den Respekt vor Mensch und Natur bei der Herstellung einsetzt. Ihr Logo kennzeichnet viele faire Produkte. Sie werden von Kleinbauern aus ärmeren Ländern produziert, die sich zu einer Genossenschaft zusammenschließen und so ihre Erzeugnisse zu garantierten Preisen verkaufen können.

Deutsche geben eine Milliarde für faire Produkte aus

Mittlerweile haben viele Supermärkte die fairen Artikel in ihr Sortiment aufgenommen. Im Jahr 2014 haben die Deutschen rund eine Milliarde Euro dafür ausgegeben – pro Person sind das allerdings nur 13 Euro. Die Schweizer sind weiter: Hier verwendet ein Bürger 57 Franken (ca. 53 Euro) für Fairtrade-Produkte. Ein weiterer Nachhaltigkeitstrend ist schon längst massentauglich: Für acht Milliarden Euro jährlich kaufen die Deutschen Biolebensmittel. Das sind landwirtschaftliche Erzeugnisse aus ökologischem Anbau. Sie wurden ohne den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln hergestellt. Oder es handelt sich um Fleisch von Tieren, die nicht mit Antibiotika behandelt wurden. Billig sind Fairtrade- und Bioprodukte allerdings nicht. Das gute Gewissen kostet.

Wir haben das Rad überdreht

Das weiß auch Anja Schäfer. Gemeinsam mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern bemüht sich die Hamburgerin seit einiger Zeit, bewusster zu konsumieren. „Fair-rückt“ nennt sie ihr Projekt, über das sie auch ein Buch geschrieben hat. Es begann, als die Familie eine Dokumentation im Fernsehen über Massentierhaltung sah: „In dem Moment haben wir gedacht: Wir haben das Rad wirklich überdreht. So kann Gott sich das nicht vorgestellt haben.“ Gemeinsam wollten sie herausfinden, wie es anders gehen könnte. Seitdem kauft sie fast nur noch Biofleisch. Der Umstieg machte sich zu Beginn im Geldbeutel bemerkbar. „Biofleisch ist nun mal teurer. Aber seitdem essen wir schlichtweg weniger davon.“

Statt bio auch einfach mal regional

Für Anja Schäfer ist klar: „So wichtig dieser Lebenswandel ist: Er muss lebbar und bezahlbar bleiben!“ Deswegen gehe es ihr nicht nur darum, Bioprodukte zu kaufen, sondern auch Lebensmittel aus der Region. „In der Erntezeit gehen wir außerdem gerne selber pflücken. Es gibt viele Streuobstwiesen oder Brombeerranken am Wegesrand, die inzwischen sogar auf Internetportalen verzeichnet sind.“ Die Familie bemüht sich zudem, sich nach den Jahreszeiten zu richten: Im Winter gibt es eben keine Erdbeeren, dafür Pastinaken und Grünkohl. Auch der Großstädter hat diese Möglichkeiten, weiß Anja Schäfer: „Man muss die Augen nur offen halten: Es gibt immer wieder kleine Läden, die sich auf regionale Produkte spezialisiert haben.“ Die ehemalige Jugendpastorin macht außerdem viel selber. „Wenn man die Möglichkeit hat, sollte man sich sogar einen Garten anlegen!“ Immer mehr junge Menschen aus den Ballungsgebieten folgen dieser Idee. Inzwischen sind laut Bundesverband Deutscher Gartenfreunde 45% aller Kleingärten an junge Familien verpachtet. Gerade auch für Menschen mit geringem Einkommen lohnt sich ein Garten.

Kleidung: Aus alter einfach neue nähen!

Selbermachen ist auch im Bereich Kleidung gefragt. Natürlich gibt es hier ebenfalls faire Produkte, doch die sind sehr teuer. Daher setzen junge Leute wieder auf die gute alte Stricknadel. Unikate sind gefragt, grobe Maschen der letzte Schrei diesen Winter – auch für Männer. Als netter Nebeneffekt kommt die gestresste Generation beim Stricken auch endlich einmal zur Ruhe. Einzelteile der ganz besonderen Art stellt Renate Drögemüller gemeinsam mit Mitgliedern der Jugendkirche Bremen her. In „Upcycling-Workshops“ bringt die pensionierte Lehrerin den Teilnehmern bei, wie man aus Alt Neu macht. „Beim Upcycling kann man aus Dingen, die nicht mehr brauchbar sind, etwas ganz tolles Einzigartiges machen. Zum Beispiel aus alten Pullis eine absolut trendige Mütze – auch ein wunderbares Weihnachtsgeschenk.“ Die Materialien findet man im eigenen Kleiderschrank. Außerdem habe man hier Stoffe in der Hand, die schon oft durch die Waschmaschine gegangen seien und somit viel gesünder als das neugekaufte, oft mit allergieauslösenden Stoffen belastete Oberteil, erklärt Renate Drögemüller. Und ein Handarbeitsprofi muss man dafür auch nicht sein: „Es gibt drei Regeln: 1. Auch krumme Nähte halten! 2. Wenn etwas schief geht, sagt man: Ich wollte das so! Und wenn es 3. anders aussieht als geplant, ist das schnell erklärt: Das ist Design!“

Defekte Dinge wegwerfen? Das gibt’s nicht – wir reparieren!

Altes zu bewahren und die Müllabfuhr arbeitslos zu machen, hat sich auch das „Repair Café“ der Evangelischen Kirchengemeinde Aachen zur Aufgabe gemacht. Einmal im Monat treffen sich hier etwa zehn Helfer und 20 Gäste, um vor allem defekte Haushaltsgeräte zu reparieren. Die Idee kommt aus den Niederlanden. Dort eröffnete das erste Café dieser Art 2009. In Deutschland ist der Trend seit drei Jahren heimisch. Viele Kirchengemeinden haben sich angeschlossen. Was früher einmal verpönt war, ist plötzlich in: Viele Menschen sehen es gar nicht mehr ein, einen Gegenstand sofort wegzuwerfen, sobald er – meist viel zu schnell – den Geist aufgegeben hat. Der Initiator der Aachener Gruppe, Cord Elias, ist Elektroingenieur. Von ihm und weiteren Fachleuten bekommen die Teilnehmer Tipps, wie man die Geräte wieder instand setzt. Reparieren muss dann jeder selber. „Es ist ein bescheidener Versuch, den ganzen Elektroschrott, den wir produzieren, ein wenig zu minimieren“, erklärt er. „Sehr oft kann man etwas, von dem man dachte, dass es unbrauchbar geworden ist, noch reparieren. Nur ganz selten muss man die Waffen strecken.“ Sogar ein E-Piano hat die Gruppe wieder hergerichtet. Cord Elias hält die Treffen nicht nur für sinnvoll: „Es macht auch Spaß und ist sehr gesellig!“

Einfach bei einer Sache anfangen

Nachhaltig zu leben hat heute wenig mit dem Grünkernbratling oder dem Birkenstock-Look des militanten Globalisierungsgegners zu tun. Die Lebensweise ist kreativ, genussorientiert und gar nicht so schwer zu verwirklichen, wie die meisten denken. „Einfach bei einer Sache anfangen, die einem wichtig ist, sei es das Essen, die Klamotten oder die Müllreduzierung“, sagt Anja Schäfer. „Und schon mit dieser kleinen Sache hat man direkt Einfluss auf die Produzenten. Das ist doch faszinierend!“


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