In Deutschland geschlagen: Ein christlicher Flüchtling erzählt

22. Dezember 2015 in Kommentar


Merkwürdig: Zwar haben schon viele Medien berichtet, dass Christen in Flüchtlingsheimen von radikalen Muslimen bedrängt oder geschlagen werden. Trotzdem gibt es bislang von Kirchenleitungen kaum Proteste dagegen. idea-Kommentar von Daniela Städter


Wetzlar (kath.net/idea) Es ist eine merkwürdige Situation: Mittlerweile haben zwar schon zahlreiche Medien (Zeitungen wie Fernsehen) berichtet, dass Christen in Flüchtlingsheimen in Deutschland vielfach von radikalen Muslimen bedrängt oder sogar geschlagen werden. Trotzdem gibt es bislang von Kirchenleitungen kaum Proteste dagegen. Nur einzelne Pfarrer klagen die Missstände an. idea-Redakteurin Daniela Städter hat jetzt einen jungen Iraner in Hamburg sprechen können, den sein Bekenntnis zum christlichen Glauben fast das Leben gekostet hat.

Leicht gebeugt sitzt Amir auf seinem Stuhl. Obwohl der Raum gut geheizt ist, trägt der 24-jährige Iraner über seinem dicken Wollpullover noch eine Winterjacke und hat den Kragen hochgeschlagen. Die müden Augen blicken sorgenvoll. Er will seine Geschichte erzählen, aber er hat auch Angst – nämlich dass radikale Muslime diese Reportage lesen, ihn auf einem Foto erkennen, finden und ihn mit dem Tod bedrohen. Er bekommt die Zusage: Sein Gesicht wird nicht gezeigt, sein Nachname nicht genannt. Amir atmet tief durch. Unter diesen Voraussetzungen ist er nun bereit, zu berichten, wie er am 18. Oktober von einem Afghanen bewusstlos geschlagen wurde, weil er vom Islam zum Christentum übergetreten war.

Ich bekam in Teheran eine Sehnsucht nach Gott

Amir wächst in der iranischen Hauptstadt Teheran auf. Sein Vater ist ein strenggläubiger Muslim und bemüht, alle Regeln des Islam einzuhalten sowie seine acht Kinder demgemäß zu erziehen. Amir arbeitet im Restaurant seines Vaters, seine Mutter kümmert sich liebevoll um die Kinder. Über zwei Freunde kommt Amir mit dem Christentum in Kontakt. Die beiden waren plötzlich anders als früher, erinnert sich Amir: „Sie strahlten einen enormen Frieden aus. Und einer der beiden war von einem Tag auf den anderen von seiner Drogensucht geheilt.“ Sie erzählen ihm, dass sie jetzt Christen sind und ihr neuer Glaube der Grund für die Veränderung ist. Neugierig begleitet er die beiden zu geheimen Treffen einer kleinen Untergrundgemeinde. Ihm gefallen die Lieder und der liebevolle Umgang der Christen. Doch er ist noch Muslim. Nach mehreren Wochen aber spürt er Veränderungen: „Ich bekam eine Sehnsucht nach dem wahren Gott.“

Der Vater droht, seinen Sohn zu töten

Amir ist hin- und hergerissen. Er will sich nicht für den falschen Glauben entscheiden und betet: „Wenn Du der im Koran offenbarte Gott bist, will ich Dir weiter folgen. Wenn Dein Wort aber die Bibel ist, dann zeige es mir.“ Plötzlich hat er Gewissheit und fühlt sich von genau dem Frieden umgeben, der auch seine Freunde erfasst hatte. Seine Augen strahlen, wenn er sein Erlebnis mit Gott in Worte fasst: „Ich spürte, dass Jesus mich unglaublich liebt.“ Das ist mittlerweile drei Jahre her. Lange gelingt es ihm, seinen neuen Glauben vor seiner Familie zu verheimlichen, aber Anfang 2015 erfährt es sein Vater: Ab da darf Amir nicht mehr im Restaurant arbeiten, und er droht, seinen eigenen Sohn zu töten.

Ein muslimischer Freund kümmert sich um den Schlepper

Amir betont, dass nicht alle Muslime im Iran so sind wie sein Vater. „Es gibt auch viele, die niemandem einen bestimmten Glauben vorschreiben wollen.“ Einer davon ist regelmäßig zu Gast im Restaurant seines Vaters. Amir beschreibt ihn als witzigen, einfühlsamen, barmherzigen älteren Herrn. Und der wundert sich, warum der junge Mann nicht mehr dort arbeitet. Amir erzählt ihm am Telefon, dass er jetzt Christ ist. Dieser muslimische Freund verspricht, ihm zu helfen: „Wenn Du den Iran verlassen willst, kümmere ich mich um den Schlepper.“ Er hält Wort. Über die Türkei, Griechenland und die Balkanroute kommt Amir im September in Deutschland an. Er wird der Erstaufnahmeunterkunft in der Hamburger Poststraße zugeteilt. Weil sie überfüllt ist, muss er mit anderen Flüchtlingen eine Woche draußen schlafen.

Im Ex-Baumarkt: „Du hast den Islam verraten!“

Später kommt er in die Erstaufnahmeunterkunft im Hamburger Stadtteil Eidelstedt in einem ehemaligen Baumarkt der Kette „Praktiker“. Dort hat er mit einem muslimischen Iraner gute Gespräche. Die beiden diskutieren häufig über ihre Religionen. Auch als sie gemeinsam in einer Schlange für das Abendessen anstehen. Amir erzählt, dass er durch den Glauben an den am Kreuz gestorbenen Jesus inneren Frieden gewonnen hat. Den Austausch hören mehrere Afghanen, die vor ihnen in der Schlange stehen. Sie schimpfen: „Halt die Klappe! Du hast den Islam verraten! Du bist ein ungläubiger Ketzer. Wir haben nun die Pflicht, Dich zu töten.“ Einer von ihnen greift Amir an. Doch sofort gehen Umstehende dazwischen und trennen die beiden. Die Situation entspannt sich wieder.

Muslime wollen den Christen in Hamburg töten

Dann kommt ein älterer Afghane zu Amir: „Er sagte mir, dass einige der Muslime in der Unterkunft mich töten wollen. Er habe sie beruhigen können, aber ich müsse zu ihnen gehen, mich entschuldigen und betonen, dass ich einen Fehler gemacht habe.“ Amir will keinen Streit. Und so geht er zu dem jungen Afghanen, der ihn angegriffen hat, und sagt: „Vergib mir, wenn ich aus Deiner Sicht etwas Falsches gesagt habe.“ Die beiden umarmen sich, geben sich einen Kuss auf die Wange und alles scheint gut. Drei Tage später steht Amin abends wieder gemeinsam mit seinem iranischen Bekannten zusammen, als einige Afghanen auf die beiden zulaufen. Sie schreien „Du hast unsere Religion verunreinigt“, sie rufen „Allahu akbar“ (Gott ist größer), sie brüllen „Du musst sterben“. Dann stürmt der junge Mann, bei dem er sich entschuldigt hatte, mit einem Schlagstock in der Hand voller Hass auf ihn zu. Amir ist entsetzt: „Er hatte die Versöhnung nur gespielt, um im richtigen Moment zuschlagen zu können.“ Der Afghane trifft ihn mehrfach am Kopf.

Schlug auch ein Sicherheitsmitarbeiter zu?

Was Amir dann erzählt, klingt noch ungeheuerlicher: Ein herbeieilender Wachschützer, von dem er wisse, dass er ein afghanischer Muslim sei, habe ihm ebenfalls mit der Faust auf die Augenbrauen geschlagen. Entsetzt fragt er: „Warum tust Du das? Du bist doch hier, um uns zu beschützen.“ Die Antwort bekommt er nicht mehr mit, er wird ohnmächtig. Die Situation ist unübersichtlich: Der Angreifer soll erst festgehalten worden und dann von anderen Flüchtlingen befreit worden sein. Die Polizei konnte ihn bis heute nicht finden. Ein heimlich nach dem Vorfall mit einem Handy aufgenommenes Video zeigt den ohnmächtig auf dem Boden liegenden Amir. Er kommt mit einem Schädelhirntrauma ins Krankenhaus.

Alle Hoffnung verloren

Als Amir aufwacht, wünscht er sich, tot zu sein. Er hat die Hoffnung auf ein sicheres Leben verloren: „Ich hatte mich im Iran so sehr darauf gefreut, dass ich in Deutschland offen von meinem Glauben erzählen und überall sagen kann, dass ich Christ bin. Aber selbst hier geht das nicht.“ Eine Strafanzeige gegen den Sicherheitsdienstmitarbeiter stellt er aus Angst um sein Leben nicht. Das wiederum macht die Situation für den Betreiber der Unterkunft „Fördern & Wohnen“ schwierig. Ihm ist von einem Angriff laut Pressesprecherin Susanne Schwendtke nichts bekannt: „Jeder Mitarbeiter, der negativ auffällt, wird natürlich sofort aus unseren Einrichtungen herausgenommen. Aber wir können auf der anderen Seite auch nicht vorschnell Verdächtigungen aussprechen, sondern verlassen uns auf die Hamburger Staatsanwaltschaft.“ Und die wiederum teilt nur mit, dass sowohl die Ermittlungen zur Identifizierung des Sicherheitsdienstmitarbeiters als auch der Personen, die den Beschuldigten befreit haben sollen, aktuell noch andauern – obwohl der Vorfall schon zwei Monate zurückliegt.

Christen geben Amir neuen Lebensmut

Nach zwei Tagen wird er aus dem Krankenhaus entlassen und kommt in eine andere Unterkunft. Dort trifft er einen christlichen Iraner. Der nimmt ihn mit in die Gemeinde von Pastor Albert Babajan. Der im Iran aufgewachsene armenischstämmige Leiter der pfingstkirchlichen Gemeinde „Alpha & Omega International“ spricht wie Amir die Landessprache „Farsi“. Er kümmert sich um den jungen Mann. Amirs Augen leuchten, wenn er über Babajan spricht: „Er hat mir neuen Lebensmut gegeben.“ Gesundheitlich geht es ihm aber immer noch schlecht. Die Schläge auf seinen Kopf haben bleibende Schäden hinterlassen. Er hat oft starke Kopfschmerzen, manchmal setzt sein Gleichgewichtssinn aus, er hat Erinnerungslücken. Und immer wieder kommt die Angst hoch, dass so etwas wieder passieren könnte.

Die nächste Katastrophe verhindern

Die Gemeinde von Pastor Babajan ist deswegen wie ein rettender Hafen, der ihm Schutz bietet. Dass er bleiben kann, ist aber noch nicht gesichert: Denn er soll, wie andere Hamburger Flüchtlinge auch, nach Nordrhein-Westfalen verlegt werden, um dort das Asylverfahren zu durchlaufen. Denn noch hat er aufgrund der vielen Flüchtlinge in Deutschland seinen Asylantrag noch gar nicht stellen können. Er möchte in Hamburg bleiben, denn hier hat er Christen gefunden, die sich um ihn kümmern. Sie haben einen Antrag gestellt, dass er bleiben kann. Die Antwort steht noch aus. Babajan: „Es wäre eine Katastrophe, ihn wegzuschicken.“

Jesus hat einen Auftrag für mich

Amir glaubt, dass es kaum möglich ist, strenggläubigen Muslimen Werte wie Religionsfreiheit oder Gleichberechtigung nahezubringen: „Solche Muslime sind überzeugt, dass nur Personen, die an den Koran glauben, Menschen sind. Sie wollen, dass die ganze Welt islamisch wird. Ich habe früher ja auch so gedacht. Wir sind schließlich so erzogen worden. Ein Wandel ist nur möglich, wenn Jesus Wunder schenkt.“ Mittlerweile ist Amir froh, bei dem Angriff nicht gestorben zu sein: „Jesus hat einen Auftrag für mich und mein Leben.“ Auch dem Afghanen, der ihn zusammengeschlagen hat, hat er vergeben: „Ich bete, dass Jesus Christus sein Herz berührt, dass er die Wahrheit in sein Leben lässt und den Frieden Gottes empfängt.“ Er zögert einen Moment, dann sagt er: „Und ich wünsche mir, dass mein Angreifer eines Tages mit mir gemeinsam diese Gemeinde besucht.“

ARD: Angriffe auf religiöse Minderheiten (Christen und Jesiden) in Flüchtlingsheimen | report München



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