Hat Elfriede Jelinek 2004 den Literaturnobelpreis zu Recht bekommen?

7. Dezember 2015 in Kommentar


Oder die Verleihung desselben in einer spiegelverkehrten Welt an Gertrud Fussenegger. Von Helmut Müller


Warschau (kath.net) Vor einigen Tagen ist in Polen ein Theaterstück Elfriede Jelineks aufgeführt worden, in der tschechische Pornodarsteller einen Geschlechtsakt auf offener Bühne vollziehen sollten. Durch Einspruch des konservativen polnischen Kulturministers Piotr Glinski sollte die Aufführung verboten werden. Die Empörung in Polen und hier wegen Einschränkung künstlerischer Freiheit war groß.

Das hat mich bewegt einen Rückblick zu halten, zunächst in das Jahr 2004, als Jelinek den Literaturnobelpreis erhielt und dann noch weiter an den Anfang europäischer Philosophie, allerdings spiegelverkehrt: Ich stellte mir vor, was aus dem Abendland geworden wäre, wenn sich in Platons Dialogen Leute vom Schlage des Pragmatikers Kallikles mit ihrem öffentlichem Bekenntnis zu ihren Lastern gegen Sokrates durchgesetzt hätten. In der europäischen Geistesgeschichte wäre statt der sokratischen Prägung 2500 Jahre lang eine sophistische führend gewesen, immer vorausgesetzt eine Gesellschaft hätte einen herrschenden und nicht marginalisierten Sophismus solange ertragen und wäre nicht gleich zugrunde gegangen. Angenommen es wäre mehr als 2000 Jahre lang immer gelungen Auffassungen, die die Bindung des Guten an die Tugend und die Wahrheit an den Gegenstand lehren, niederzuhalten. In dieser spiegelverkehrten europäischen Geistesgeschichte wäre die Eindämmung eines sokratischen Mainstreams so gelungen, dass es geradezu befreiend gewirkt hätte, der Geistesgeschichte eine sokratische Wendung zu geben. Dieser kopernikanische Umschwung hätte erst ab der beginnenden Neuzeit stattgefunden. Das hieße, die sokratische Bindung des Guten an die Tugend und der Wahrheit an den Gegenstand wäre zur Zeit der Vergabe des Nobelpreises 2004 für Literatur herrschend gewesen.

Die europäische Geistesgeschichte mit Kallikles als spiritus rector würde im Zeitraffer, grob gerastert, wie folgt aussehen: Origines wäre nur in den Schriften des Celsus nachzuweisen gewesen. Der Relativismus des Symmachus hätte die philosophiegeschichtliche Position des Augustinus eingenommen. Thomas wäre ein Schicksal wie Abälard beschieden und Ockham hätte eine Verehrung genossen wie sie Thomas zuteil geworden ist. Erst dann hätte allmählich ein Umschwung eingesetzt. Max Scheler hätte in seiner realistischen Phänomenologie in Anknüpfung an den Aquinaten, Kant marginalisiert. Peter Wust und Josef Pieper schließlich hätten die Stelle Nietzsches eingenommen. Dessen Gottesmord und Amoralismus wären so unbemerkt geblieben wie das Werk Peter Wusts oder hätten ein so unterschwelliges Dasein wie das Lebenswerk Josef Piepers gefristet. Das Eintreten für die Bindung des Guten an die Tugend und der Wahrheit an den Gegenstand wäre auf dem jahrtausendelangen relativistischen Hintergrund als wahrhaft revolutionär erschienen. Ethische Inhaltlichkeit und sinnhafte Gegenständlichkeit hätten alle formale Brillanz ethischer Normenbildung und perspektivischer Welterkenntnis in den Schatten gestellt. Heuchelei, der Hauptvorwurf relativistischer Intelligenz aller Zeiten an die Praktikabilität der unverbrüchlichen Bindung des Guten an die Tugend, wäre natürlich weiterhin ein Laster. Das eigentliche Wesen von Heuchelei wäre aber erkannt worden. Heuchelei ist nämlich in ihrem tiefsten Wesen nichts anderes als die Verbeugung des Lasters vor der Tugend. Das „mutige“ öffentliche Bekennen, Hinnehmen und „gut“ reden aller möglichen Laster von Geiz, „Gier“, „Lust“ (Werke Jellineks) und Völlerei bis zum Schönreden von Treuebrüchen könnte als das markiert werden, was sie wirklich sind: nämlich kardinale Unmenschlichkeiten.

Nur wenn die Entwicklung der letzten 2500 Jahre so verlaufen wäre, könnte vermittelt werden, dass die Vergabe des Literaturnobelpreises an Elfriede Jelinek eine Unanständigkeit gewesen ist. Um bei einer Österreicherin und einer Frau zu bleiben, bekäme in dieser spiegelverkehrten Welt Gertrud Fussenegger den Literaturnobelpreis und Martin Mosebach hätte anstelle von Marcel Reich-Ranicki lobende Worte gefunden.

kath.net-Lesetipp:
Unterirdische Ansichten eines Oberteufels über die Kirche in der Welt von heute
Von Helmut Müller
80 Seiten
2015 Dominus Verlag
ISBN 978-3-940879-38-7
Preis 5.10 EUR

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