Jesus im Islam

1. Dezember 2015 in Kommentar


Es mag überraschen: Jesus, Gründerfigur des Christentums, ist im Koran eine herausragende Gestalt. 26 Wissenschaftler aus der ganzen Welt analysierten jetzt für eine arte-Doku-Reihe die Rolle von Jesus im Islam. idea-Filmkritik von Tom de Vries


Wetzlar (kath.net/idea) Früher wurden die Fernsehzuschauer zur Advents- und Weihnachtszeit in den öffentlich-rechtlichen Sendern mit mehr oder weniger frommen Jesuskind-Krippen-Heilige-Drei-Könige-Hirten-auf-dem-Felde-Erbauungsfilmen beglückt. In diesem Jahr aber ist das anders. Der deutsch-französische Kulturkanal arte widmet sich der Bedeutung Jesu, und zwar im Islam!

26 Wissenschaftler beteiligt

Nach ihren Reihen „Corpus Christi“, „Apokalypse“ und „Die Geburt des Christentums“ analysieren Gérard Mordillat und Jérôme Prieur nun im Interview mit mehr als zwei Dutzend Wissenschaftlern vor allem aus dem angloamerikanischen und frankophonen Raum, die so im deutschen Fernsehen bislang kaum zu vernehmen waren, die Entstehung des Islams. Dabei gibt es allerdings außer einiger Handschriften nichts zu sehen. Die ganzen sieben Mal 52 Minuten bestehen im Wesentlichen aus Expertengesprächen, die schlicht zusammengeschnitten sind. Man kann auch die Augen schließen und die Aussagen wie ein Hörfunkstück auf sich wirken lassen.

Ehrenvollere Titel als Mohammed

Und da erfährt man gleich in den ersten Folgen Erstaunliches. Jesus ist im Koran eine herausragende Gestalt. Mohammed wird nur vier Mal beim Namen genannt, Jesus hingegen ein Dutzend Mal. Dazu ist er noch mit ehrenvolleren Titeln belegt als der Prophet. In den ebenfalls als heilig angesehenen Hadithen wird oft von der physischen Erscheinung Jesu berichtet, sein Haar, sein Aussehen, seine Schönheit und seine Anmut. Mariam, die Mutter Jesu, wird im Koran sogar rund 30 Mal erwähnt. Die Jungfrau ist der Liebling Gottes. Der Koran konzentriert sich erstaunlicherweise auf diese Mutterfigur, nicht etwa auf Hagar, die doch als Gebärerin des Ismael Ur-Mutter aller Araber ist. Zudem ist der Bezug auf eine Mutter gegen alle arabische Tradition, in der die Abstammung auf den Vater zurückgeht. Der Koran hat aber seine eigene Meinung. Hierin sehen die Wissenschaftler einen deutlichen Hinweis auf eine Beeinflussung des Koran durch die Jesus-Anhänger. Der frühchristliche Marien-Kult wirkte auch auf die ersten Muslime. Starken Einfluss hatte etwa auch das im christlichen Orient stark verbreitete Kindheitsevangelium, entstanden Ende des 6., Anfang des 7. Jahrhunderts, also zur Zeit Mohammeds. Maria bekam demnach ihre ersten Wehen nicht im Stall, sondern auf dem halben Weg zwischen Jerusalem und Bethlehem, genau an der Stelle, an der einst die alttestamentliche Rahel ihren Sohn Benjamin gebar und starb. So liest man es heute auch im Koran!

Jesus steht auf der gleichen Stufe wie der Koran

Da Jesus keinen leiblichen Vater hatte, wird er mit Adam verglichen. Denn Gott kann Menschen aus dem Nichts erschaffen, wenn er will. Jesus wird sogar als Geist Gottes bezeichnet, eine Formel, die ausschließlich ihm zugesprochen wird. Der Koran gesteht ihm zu, Messias zu heißen. Denn er hatte ein neues Gesetz gebracht, eine Reform der Religion. Auch die Vorstellung des logos (kalima), also Wort Gottes wie im Johannesevangelium, wird auf Jesus übertragen. Der Koran ist ebenfalls kalima, die Offenbarung. Jesus wird also auf die gleiche Stufe mit dem Koran gestellt. Mohammed gilt hingegen als Gesandter Gottes, aber nicht als ein besonders herausgehobener. Erstaunliche Aussagen also!

Im Koran stirbt Jesus nicht am Kreuz

Weiter geht es um die Bedeutung der beiden Verse 157 und 158 in Koransure 4, denen zufolge es allen Zeugen nur so schien, als sei Jesus gekreuzigt worden. Wurde stattdessen Simon von Kyrene ans Holz genagelt? Oder war es eine Art kollektive Halluzination? Die Spekulation darüber war 200 Jahre nach Mohammeds Tod groß. Nach dem apokryphen, also nicht-biblischen, Barnabasevangelium wurde der Verräter Judas statt Jesus gekreuzigt. In Sure 4 reklamieren die Juden gar für sich, den Messias zu Tode gebracht zu haben. Der Koran hat diesen christlichen Antijudaismus also aufgenommen. Er gilt als literarisches Gefäß der Spätantike und der in ihr verbreiteten Polemik gegenüber Juden.

Mohammed ist tot, Jesus nicht

Im eschatologischen Drama der Endzeit schließlich kehrt Jesus zurück, nicht etwa Mohammed, der tot ist. Jesus aber ist nicht tot! Er ist im Himmel! Und er wird am Jüngsten Tag gegen den Antichristen, also auch gegen Juden und Christen kämpfen, bis der Islam sich durchsetzt. Ein Szenario, das sich vor allem in der jungen islamischen Literatur findet. Hier aber bleibt die nüchterne philologisch historische Analyse trotz ausreichender Sendezeit stecken. Politisch wichtig wäre nun die Klärung der Frage gewesen, ob und wie Muslime heute diese Aussagen des Koran aufnehmen und interpretieren. Gelten diese Aussagen gegen Juden, Christen und Ungläubige aus der Gründungszeit des Islams auch noch im 21. Jahrhundert? Denn nicht wenige warnen vor einem Krieg nicht nur der Kulturen, sondern auch der Religionen, der nun auch Europa zu überwältigen droht.„Jesus und der Islam“, 7-teilige Serie auf arte, Beginn Dienstag, 8. Dezember, 20:15 Uhr


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