Advent ist mehr als die Tasse Glühwein auf dem 'Weihnachtsmarkt'

30. November 2015 in Spirituelles


„Weihnachtsmärkte“ im Advent nach dem Motto: Hauptsache gemütlich, Hauptsache herzlich, Hauptsache friedlich, Hauptsache gesund? Können wir Christen uns damit zufrieden geben? Gastbeitrag von Dr. Andreas Kuhlmann


Aachen (kath.net) Anfang November beginnt in den größeren Städten Deutschlands inzwischen der Aufbau des „Weihnachtsmarkes“, der deswegen eigentlich noch nicht einmal als „Adventsmarkt“ bezeichnet werden dürfte, denn vielerorts ist er schon eröffnet, wenn noch nicht einmal der Christkönigssonntag gefeiert wurde und dann immer noch sieben Tage bis zum Ersten Adventssonntag fehlen. Nun ja, die Sehnsucht ist groß. Nach Geselligkeit zumindest, am besten mit einer guten Tasse Glühwein in der Hand und feinen Düften in einer stimmungsvollen Atmosphäre. Wie groß die Sehnsucht nach dem ist, der kommt – es geht ja im Advent um die Vorbereitung der Ankunft des Kommenden –, wagt man kaum zu thematisieren, denn es ist ja auch eigentlich allgemein kein Thema und man würde nur anecken. Immerhin findet man bei den Ständen auf dem Weihnachtsmarkt viele Engel und Krippen – und das hat ja tatsächlich viel mit dem zu tun, was kommt. Aber können wir Christen uns damit zufriedengeben? Im Sinne von: Hauptsache gemütlich, Hauptsache herzlich, Hauptsache friedlich, Hauptsache gesund? Natürlich sehnt sich der Mensch zurecht nach Verständnis, Herzlichkeit und Frieden – wie zu allen Zeiten. Aber sind damit seine tiefsten Sehnsüchte gestillt – wenn sie denn befriedigt werden würden?

Ich denke, mit den unzureichenden Angeboten, für die ein Weihnachtsmarkt steht und die man beispielsweise auch in kircheneigenen Geschenkprospekten vorfindet, können und dürfen wir Christen, die irgendwie verstanden haben, dass es im Advent um mehr geht, uns nicht zufrieden geben. Denn wird durch eine oberflächlich durchlebte Adventszeit, in der sich die meisten Christen eher an einer Tasse Glühwein festhalten und erwärmen lassen als an der christlichen Botschaft der Erlösung, auch nur eine Ehescheidung oder eine Abtreibung weniger stattfinden? Wird die Großzügigkeit und Offenheit gegenüber den notleidenen Nächsten hier kultiviert? Vielleicht kann der ein oder andere sich ablenken und die eigentlichen Herausforderungen des Lebens für ein paar Stunden vergessen machen. Aber die angenehmen Stunden gehen vorüber. Die Gütequalität der adventlichen Wochen vor Weihnachten bemisst sich aber nicht an den Besucherzahlen und wirtschaftlichen Bilanzen der glitzernden Märkte. Die Worte des Dichters Angelus Silesius – der ja zunächst Arzt und dann katholischer Priester war und mit bürgerlichem Namen Johannes Scheffler hieß – sind da immer wieder ein Weckruf und Aufruf, damit das Eigentliche der Adventszeit nicht vergessen wird, nämlich die Geburt Jesu Christi: „Wird Christus tausendmal zu Betlehem geboren und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren!“. Wie steht es also beim durchschnittlichen Wohlstandsmenschen um die Sehnsucht nach dem Erlöser, welche im Antwortpsalm des Ersten Adventssonntag passend zum Ausdruck gebracht wird durch die Worte: „Zu dir, o Herr, erhebe ich meine Seele.“? Oder die einladenden und auffordernden Worte zu Beginn jeder Präfation in der Hl. Messfeier: „Erhebet die Herzen.“? Richtet sich die Sehnsucht der Herzen des heutigen Menschen auf den Herrn aus? Und: Bietet wir Christen den Menschen die Möglichkeiten an, ihre tiefsten Sehnsüchte zu entdecken und zu stillen? Warum sollte statt oder neben der üblichen Einladung „Ich lade Dich zu einem Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt ein!“ nicht auch die ernstgemeinte Einladung an Freunde und Bekannte ausgesprochen werden können: „Ich lade Dich zu einer Heiligen Messe (zum Empfang des Sakraments der Vergebung) ein!“, auch wenn die reale Möglichkeit besteht, eine wenig wertschätzende Reaktion zu ernten?

Das Evangelium des diesjährigen Ersten Adventssonntags (Lk 21,25ff.) stellt Worten des Herrn vor Augen die uns mitteilen, worauf es im Advent eigentlich ankommt. Sie haben angesichts des Terrors in Paris und anderswo besondere Aktualität. Die zentrale Aussage Jesu ist diese: „Wenn all das beginnt, dann richtet euch auf, und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe.“ (Lk 21,28). Zu Zeit sind die Menschen erschüttert angesichts der Gewalt und verängstigt durch den Klimawandel. Was wird in Zukunft auf uns zukommen, ist die bange Frage. Wir Christen kennen die entscheidende Antwort: Jesus Christus wird „auf uns zukommen“ – zu Weihnacht als Erlöser geboren und am Weltende als König des Universums, der die Welt neu ordnen wird – in Ordnung bringen wird. Die erste Ankunft ist für uns positiv nachwirkende Vergangenheit, die zweite Ankunft „am Ende der Zeiten“ sollte für uns Christen performative Zukunft sein, die unser gegenwärtiges Leben erwartungsvoll und hoffnungsvoll prägt. Sich auf das zweite Kommen vorzubereiten bedeutet den Advent sinnvoll zu begehen. Sich für den Frieden einsetzen, den Menschen mit Barmherzigkeit ihre Not lindern bzw. den Nächsten nicht übersehen, für die Bewahrung der Schöpfung Sorge tragen, usw. – das ist die beste Vorbereitung auf das Kommen des Herrn, denn: „Nehmt euch in acht, dass Rausch und Trunkenheit und die Sorgen des Alltags euch nicht verwirren und dass jener Tag euch nicht überrascht… Wacht und betet allezeit, damit ihr … vor den Menschensohn hintreten könnt.“ (Lk 21,36) Mögen Rausch und Trunkenheit auf Weihnachtsmärkten nicht vorkommen – was erfreulich wäre –, so bliebe die andere Sorge: Wer von uns Menschen erwartet wachend und betend den Menschensohn? Wachend zunächst über unser eigenes Leben, damit wir im entscheidenden Augenblick nicht schlecht dastehen vor Gott, der in Jesus Christus unser Erlöser aber auch Richter sein wird. Betend, um zu erkennen, was vor Gott recht und un-recht ist in unserem Leben, um die adventliche Bußzeit für eine Bekehrung zu nutzen –eben als gnadenreiche Vorbereitungszeit auf das Kommen des Herrn. Auch für die Art und Weise, wie die Adventszeit begangen wird, gelten Jesu traurig klingenden Worte, die unsere Seelen heilsam anrühren sollten: „Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, auf Erden (noch) Glauben vorfinden?“ (Lk 18,8). Der radikal pazifistische Spruch, negativ umgemünzt, bringt sich in Erinnerung und könnte angelehnt an Jesu Worte lauten: „Stell Dir vor, Jesus kommt, und keiner erwartet ihn!“. Gott ist Enttäuschungen gewohnt – aber es geht ja um uns, er kommt ja wegen uns!

Ein scheinbar illusionärer Wunsch, eine nahezu göttliche Utopie schwebt über den Advent: nämlich die geradezu unmögliche Sehnsucht Gottes, welche die Heiligkeit und damit das Heil bzw. Glück aller Menschen will: „Seid vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.“ (Mt 5,48; vgl. Lev 11,44; 20,7). Der Wunsch könnte ein Stück mehr Wirklichkeit werden, wenn die Christen jetzt ihre Kirchen ähnlich oft besuchten wie den Weihnachtsmarkt, um Gottesdienst zu feiern und mit Gottes Barmherzigkeit in Berührung zu kommen, um letztendlich wieder „wesentlich zu werden“ (wie es der Angelus Silesius ausdrückte): ein adventlicher Mensch.

Dr. Andreas Kuhlmann ist Priester der Personalprälatur Opus Dei und in Aachen und Jülich tätig


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