Braucht Deutschland eine andere Flüchtlingspolitik?

27. November 2015 in Kommentar


Pro und Kontra mit Günther Beckstein (CSU) und Pfarrer Steffen Reiche (SPD)


Wetzlar (kath.net/idea) Eine Obergrenze einführen, den Familiennachzug begrenzen, zu „Dublin“ zurückkehren – die Liste der Vorschläge zur Verminderung des Flüchtlingszustroms ist lang. Vor allem die CSU wirbt für eine andere Asylpolitik. Denn Bayern trägt die Hauptlast der Einwanderung, die in den ersten drei Wochen im November mit fast 180.000 Flüchtlingen einen Rekord verbuchte.

PRO
Menschen in Not zu helfen, ist Christenpflicht. Das gilt besonders gegenüber Menschen auf der Flucht. Aber die gegenwärtige Politik halte ich unter humanitären Gesichtspunkten für höchst fragwürdig, unter verantwortungsethischen Gesichtspunkten – z.B. für unsere Integrationsfähigkeit und Sicherheit – für falsch. Diejenigen, die sich in lebensgefährlichen Überfahrten über das Mittelmeer wagen und illegal viele Grenzen überschreiten, werden aufgenommen. Sind das wirklich diejenigen, die am meisten unserer Hilfe bedürfen? Die Mehrzahl sind junge Männer. Es sind kaum Christen, die besonders unter Verfolgung leiden, darunter. Wer legal kommen will, hat praktisch keine Chance. Ich trete dafür ein, den Menschen in der Region nach Kräften zu helfen: In der Türkei, im Libanon oder Jordanien müssen die Flüchtlingslager so gestärkt werden, dass die Menschen ordentlich ernährt werden, die Kinder Unterricht bekommen und alle ausreichende medizinische Versorgung erhalten. Ich trete dafür ein, das Dublin-Verfahren wieder anzuwenden, also an der Grenze Menschen, die schon in EU-Staaten in Sicherheit waren, zurückzuweisen. Gleichzeitig sollten wir einem großen Kontingent an Menschen aus den Flüchtlingslagern, z.B. jährlich 300.000, anbieten, nach Deutschland zu kommen. Da kann sorgfältig erläutert werden, dass wir nur solche Menschen aufnehmen, die Religionsfreiheit, Gleichberechtigung und unsere freiheitlich-demokratische Ordnung achten. Ungesteuerte Zuwanderung lässt sich auf Dauer nicht durchhalten. Wir können nicht allein alle Menschen aufnehmen, die auf der Flucht vor Kriegen sind, geschweige denn die, die den schlimmen Lebensbedingungen in ihren Herkunftsländern entfliehen wollen. Das gefährdet den Zusammenhalt in unserem Land, da die Integrationsfähigkeit offensichtlich überschritten wird.

Der Autor, Günther Beckstein (Nürnberg, CSU), war bayerischer Ministerpräsident sowie von 1993 bis 2007 bayerischer Staatsminister des Innern. Bis Anfang Mai ist er auch Vizepräses der Synode der EKD gewesen.

KONTRA
Tritt ein Problem auf, wird oft nach neuen Gesetzen verlangt, über deren Existenz sich dann dieselben Menschen wenig später ärgern. Zuerst sollte man fragen, ob man nicht eher ein Vollzugsdefizit hat als ein Gesetzesdefizit. Die Fluchtursachen zu reduzieren wäre das Erste. Denn die Menschen aus den Lagern in Jordanien und dem Libanon sind geflohen, weil das UN-Flüchtlingshilfswerk nicht genügend Geld hatte, um die Flüchtlinge zu versorgen. Ein Sachbearbeiter kann pro Tag mehrere Asylanträge bearbeiten. Aber es gibt noch zu wenige und damit Rechtsunsicherheit. Wenn gegen den Antrag entschieden worden ist, muss auch mit aller Konsequenz abgeschoben werden. Baden-Württembergs grün-rote Regierung ist deshalb vorbildlich, weil sie nicht nach schärferen Gesetzen verlangt, sondern die bestehenden konsequent anwendet. Die Menschen, die unseren Schutz suchen, müssen unsere Rechtsordnung achten. Wer die Rechte von Frauen, Christen oder Homosexuellen missachtet, muss auch in den Heimen die Klarheit und Schärfe unserer Rechtsordnung spüren. Wir achten mit unserer Willkommenskultur die Lebensweisen der Flüchtlinge. Sie müssen in gleicher Weise unsere Werte anerkennen. Da kann es keinen Rabatt geben. Sie haben ihren Wertebereich verlassen aus Gründen, die wir mit der Genehmigung ihres Asylantrages anerkennen. Nun sind sie im Gültigkeitsbereich des Grundgesetzes, das bei den Grundrechten keine Ausnahmen vorsieht. Es wäre eine desaströse Kapitulation, wenn wir muslimische Asylbewerber in extra Heimen unterbringen. Das muss als Einladung verstanden werden, sich auch in Zukunft Ausnahmen zu erzwingen. Der nächste Rabatt wird schon von ihnen erkämpft: dass wir beim Antisemitismus, den sie von zu Hause mitbringen, ein Auge zudrücken.

Der Autor, Steffen Reiche (SPD), ist Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Nikolassee in Berlin. Er gehörte zu den Mitbegründern der Sozialdemokratischen Partei der DDR. Von 1994 bis 2004 war er Minister im Bundesland Brandenburg.


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