So könnte der Flüchtlingsstrom beendet werden

18. November 2015 in Kommentar


Zur aktuellen Debatte um die Flüchtlingskrise. idea-Kommentar von Udo Stolte


Wetzlar (kath.net/idea) Immer mehr Flüchtlinge kommen nach Deutschland. Die Politik ist ratlos, wie es weitergehen soll. Nach meiner Erfahrung als Leiter eines Werkes, das in Ländern tätig ist, aus denen viele Flüchtlinge kommen, ist die einzig wirksame Lösung: die Situation in den Herkunftsländern zu verbessern, damit es keinen Anlass zur Flucht mehr gibt. Ich besuchte vor kurzem Flüchtlingslager im Nordirak. Dort leben in der Region Kurdistan zurzeit ca. 2 Millionen Flüchtlinge bei einer einheimischen Bevölkerung von 5 Millionen Bürgern. In den Lagern fehlt es an allem.

Kurdistan: Unser Lehrer ist in Deutschland

Der Grund: Die UNO bekommt für die Versorgung der Lager zu wenig Geld von den Mitgliedsländern – auch von Deutschland. Das führt dazu, dass die Lebensmittelzuteilungen drastisch gekürzt wurden: Erhielt eine Person bislang für 27 Euro Lebensmittel im Monat, sind es inzwischen nur noch 9. Wie soll ein Mensch davon leben? Ich habe Schulkinder nach ihrem Unterricht befragt. Die Antwort: „Unser Lehrer hat sein Gehalt nicht mehr bekommen. Jetzt ist er nach Deutschland gegangen.“ Eine medizinische Station gibt es zwar, aber keine Medikamente mehr.

Die Menschen flüchten, weil sie keine Perspektive haben

Die Beispiele zeigen, dass wir zu wenig in den Herkunftsländern der Flüchtlinge tun. In Kurdistan sind diese Menschen in Sicherheit. Aber die Lebensbedingungen werden immer schlechter. „Bald wird das ganze Lager nach Deutschland gehen“, prophezeit der Leiter des dortigen Flüchtlingskomitees. Der Gouverneur der kurdischen Stadt Dohuk sagte im ZDF: „Wenn wir nur 10% der Gelder hätten, die ihr für die Unterbringung der Flüchtlinge in Deutschland aufwendet, dann könnten wir die Lebensumstände hier so verbessern, dass niemand nach Europa emigrieren muss.“ Diese Menschen flüchten nicht, weil sie bedroht sind, sondern weil sie keine Perspektive haben.

Wer erst mal weg ist, geht nicht mehr zurück

In Afghanistan sind die Fluchtgründe ähnlich. Als ich neulich dort war, wurde ich von etlichen angesprochen, ihnen zu helfen, nach Deutschland zu kommen. Das habe ich stets abgelehnt. Wir helfen den Flüchtlingen seit über 30 Jahren in der Nähe ihrer Heimat. Denn dann gehen sie auch in ihr Land zurück, wenn es dort wieder Frieden gibt. Sie bauen ihre Dörfer wieder auf – mit unserer Unterstützung. Wer erst mal in Deutschland ist, geht nicht wieder nach Afghanistan zurück.

Wer baut das Land wieder auf?

Aber welche Menschen schaffen es denn bis Deutschland? Vorwiegend die mit besserer Ausbildung, die Starken, die Jungen. Die armen, alten und schwachen Menschen bleiben zurück. Aber wer wird dann das Land wieder aufbauen? Die das tun könnten, sind in Deutschland. Indem wir das zulassen, bluten wir diese Länder aus.

Die Hilfe muss vor Ort geschehen

Die einzige ethisch vertretbare Alternative: den Menschen in der Nähe ihrer Heimat helfen, ihnen Hoffnung und Perspektive geben. Das tut Shelter Now mit vielfältigen Projekten. Wir unterstützen z.B. in Kurdistan alle, die den Mörderbanden des „Islamischen Staates“ entkommen sind. Sie erhalten Nahrungsmittel, Hygieneartikel, Winterkleidung, Öfen und Brennstoff.

Ich treffe im Lager einen Mann mit deutschen Wörtern auf seinem T-Shirt. Er spricht uns an: „Dies ist ein Geschenk aus Deutschland. Aber ich will nicht dorthin gehen. Ich will wieder in meine Heimat Syrien. Dort bin ich geboren und aufgewachsen, dort will ich eines Tages begraben werden.“

Der Autor, Udo Stolte (Braunschweig), ist Geschäftsführer des christlichen Hilfswerkes „Shelter Now Germany“ („Zuflucht jetzt“). Er war erst vor Kurzem wieder in Afghanistan und Kurdistan.


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