Türkei nach der Wahl: Wird die Lage für die Christen schlechter?

3. November 2015 in Aktuelles


Gesellschaft für bedrohte Völker: Islamisierung unter Erdogan wird voranschreiten


Göttingen/Frankfurt am Main (kath.net/idea) Nach dem Sieg der islamisch-konservativen AKP bei der Parlamentswahl am 1. November in der Türkei befürchten deutsche Menschenrechtler, dass sich die Lage für religiöse Minderheiten verschlechtern wird – vor allem für die Christen. Die Partei des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hat mit über 49 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit erreicht. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (Göttingen) erwartet, dass Erdogan jetzt die Islamisierung des Landes vorantreiben wird. Der Präsident habe im Wahlkampf die „religiöse Karte“ gespielt und sei demonstrativ wiederholt mit dem Koran in der Hand aufgetreten, sagte der Nahostreferent der Organisation, Kamal Sido, auf Anfrage der Evangelischen Nachrichtenagentur idea. Es sei damit zu rechnen, dass sich die noch moderaten konservativen Muslime radikalisierten. Leidtragende werden laut Sido zum Beispiel die (christlichen) Aramäer und Armenier sein: „Es kann für die Christen noch enger werden.“ Ihre Diskriminierung im Alltag werde zunehmen. Sido kritisierte, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit ihrem Besuch in der Türkei kurz vor der Wahl die AKP unterstützt habe.

IGFM sieht Ausgang der Wahl mit „größter Sorge“

Der Vorstandssprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), Martin Lessenthin (Frankfurt am Main), sieht den Ausgang der türkischen Parlamentswahl mit größter Sorge: „Erdogan hat unmissverständlich gezeigt, dass er für den Ausbau und den Erhalt seiner Macht bereit ist, die innenpolitische Lage zu verschärfen, Recht und Gesetz rücksichtslos zu brechen.“ Er habe jahrelang sogar die Schlächter der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) unterstützt, allein um der kurdischen Minderheit zu schaden. Lessenthin: „Mit seinen Luftschlägen gegen die syrischen Kurden, den erbittertsten Gegnern des IS, unterstützt Erdogan de facto den IS bis heute.“ Die Aussichten für die Türkei hätten sich mit dieser Parlamentswahl weiter verdüstert – nicht nur für Kurden, Christen und andere Minderheiten, sondern für die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei überhaupt. Die Christen und andere Minoritäten der Türkei sehen sich laut Lessenthin mehrheitlich am ehesten durch die (prokurdische) Partei HDP vertreten, die erneut – wenn auch nur knapp – „die undemokratische 10-Prozent-Hürde“ überwunden habe. 95 Prozent der rund 75 Millionen Einwohner der Türkei sind Muslime. Die Zahl der Christen liegt bei 120.000. Die meisten der 3.000 bis 5.000 evangelischen Christen sind ehemalige Muslime.


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