Tödliche Vorwürfe

1. November 2015 in Aktuelles


Die katholische Menschenrechtsanwältin Aneeqa Anthony verteidigt Angeklagte gegen den Vorwurf der Blasphemie. Im islamischen Pakistan ist das gefährlich. Der Vorwurf richtet sich besonders häufig gegen Christen wie sie. Von Jonas Krumbein (KNA).


Bonn (kath.net/ KNA)
Als Menschenrechtsanwältin in Pakistan ist Aneeqa Anthony einiges gewohnt. Einmal, so erzählt sie, habe ihr ein Mann im Gerichtsgebäude einen Revolver vors Gesicht gehalten. «Sieh her!», habe der Mann gesagt: «Wenn wir einen Revolver ins Gerichtsgebäude bekommen, können wir auch ansonsten alles mit dir machen.» Anthony hat trotzdem weiter gemacht. Sie verteidigt Menschen, die der Gotteslästerung angeklagt werden. Oft sind das Christen.

Anthony kämpft für eine Reform des Blasphemiegesetztes in Pakistan. «Nur der Staat sollte in Blasphemie-Fällen als Kläger auftreten dürfen; nur dies schützt vor falschen Beschuldigungen», sagt Anthony. Sie verlangt, dass Kläger, die keine Beweise für einen Blasphemievorwurf vorlegen könnten, wegen Verleumdung angeklagt und bestraft würden. Anthony beklagt, dass viele Pakistaner das Blasphemiegesetz nutzten, um sich zu bereichern: «Wenn ich die Ehefrau, die Tochter oder das Haus meines Nachbarn begehre, interessiert das niemanden. Wenn ich den Nachbarn als Gotteslästerer denunziere, ist das eine öffentliche Angelegenheit.»

Wenn in Pakistan etwas eine öffentliche Angelegenheit wird, sind meist Islamisten beteiligt. Anthony klagt, dass die Bärtigen das Blasphemiegesetz nutzen, um gegen Gegner und religiöse Minderheiten vorzugehen und um die eigene Macht zu festigen. Sie hätten einfachen Leuten eingeredet: Wer einen Andersgläubigen der Blasphemie beschuldigt und zum Religionsübertritt zwingt, kommt ins Paradies. Christliche und Hindu-Mädchen würden vergewaltigt, gezwungen, zu konvertieren und die Täter dann zu heiraten. Vor Gericht beriefen sich diese dann als Ehemänner auf die Konversionsurkunden. Täter könnten generell auf eine Erpressbarkeit von Polizisten und Richtern zählen, die oft selbst schutzlos seien und daher Klägerinteressen nachgäben.

Das Gesetz sieht für Blasphemie die Todesstrafe vor. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat der pakistanische Staat noch niemanden wegen Blasphemie hingerichtet. Doch seit 1990 wurden 60 Menschen ermordet, die als Gotteslästerer angeklagt waren. 17 Verurteilten drohe die Todesstrafe, 19 verbüßten lebenslange Freiheitsstrafen.

Anthony sagt: «Der Vorwurf der Blasphemie kann jeden treffen». 60 Prozent der Opfer seien Muslime. Doch schon im nächsten Satz macht Anthony klar, dass religiöse Minderheiten wie Christen besonders leichte Opfer seien: Sie stellten 35 Prozent der Angeklagten, aber nur 2 Prozent der Einwohner des Landes; 96 Prozent der Pakistaner sind Muslime.

Auch die Katholikin Anthony selbst musste sich schon gegen den Vorwurf der Blasphemie verteidigen. Muslimische Kollegen hatten die junge Rechtsanwältin in ein Gespräch über den Propheten Mohammed verwickelt. Sie musste vorübergehend aus Pakistan fliehen; 2009 kehrte sie zurück. Doch die Juristin lässt sich nicht einschüchtern; sie hat gelernt, mit Drohungen umzugehen.

Auch ihre Mitarbeiter akzeptieren die Gefahr. Einmal, so erzählt sie, habe jemand vor ihrem Büro einen Koran angezündet und die brennenden Seiten in das Gebäude geworfen. Einer Kollegin sei es gelungen, den Brand zu löschen und den angekokelten Koran verschwinden zu lassen. «Niemand hätte uns geglaubt.» Seither sollen Überwachungskameras das Büro schützen.

Anthony stockt, als sie von Drohungen gegen ihre Tochter berichtet. Als Anwältin ist es ihr Beruf, Worte zu finden, Rat zu geben, gegen Widerstände zu kämpfen. Als es um die eigene Tochter ging, hat sie nachgegeben: Die Kleine durfte erst einmal nicht mehr zur Schule gehen. Warum Anthony trotzdem weitermacht? Weil es auch die guten Tage gibt, selbst vor Gericht in Pakistan: Jüngst gelang es ihr, einen Vater von vier Kindern gegen Kaution aus der Haft zu bekommen. Er war wegen Gotteslästerung angeklagt.

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