Gehört der Katholizismus zu Schleswig-Holstein?

2. Oktober 2015 in Kommentar


Die „Kieler Nachrichten“ nehmen kritikwürdige politische Positionierung eines einzelnen Priesters zum Vorwand für einen Frontalangriff auf die Lehre der Katholischen Kirche. Gastkommentar von Dr. Tobias Klein


Kiel (kath.net/Blog Huhn meets Ei) Es gibt Ärger in der Pfarreigemeinschaft Franz von Assisi in Kiel. Davon berichten die Kieler Nachrichten in der Ausgabe vom Mittwoch unter der Überschrift „Pastor provoziert Netz und Gemeinde“. Ein Priester, der in der Pfarreigemeinschaft speziell für die Jugendseelsorge zuständig ist, ist in die Kritik geraten, weil er auf seinem privaten Facebook-Profil wiederholt Artikel der „Jungen Freiheit“ geteilt hat, „die inhaltlich der AfD und der Pegida-Bewegung nahesteht“ - und zwar, soweit es dem Pressebericht zu entnehmen ist, insbesondere solche Artikel, die Asylsuchende und andere Migranten, darunter vor allem Muslime, in einem negativen Licht darstellen. Das Erzbistum Hamburg bestätigt, es habe ein „Gespräch“ mit dem Priester gegeben; dieser hat die beanstandeten Links inzwischen von seiner Facebook-Chronik entfernt.

Soweit der Aufhänger des Artikels, und bis hierher kann ich die Kritik an dem nicht namentlich genannten Priester - mit aller Vorsicht, da ich nun mal nicht mehr über den Fall weiß als das, was in den Kieler Nachrichten steht - nachvollziehen und unterschreiben. Auch wenn das Teilen von Presseartikeln auf Facebook noch nicht zwangsläufig volle Zustimmung zu diesen bedeutet und es über den bloßen „Ruf“ der „Jungen Freiheit“ als „Zentralorgan der sogenannten Neuen Rechten“ hinaus (ich selbst lese das Blatt nicht, und wenn ich mal geteilte Artikel daraus in Sozialen Netzwerken zu Gesicht bekomme, stößt mich oft schon die Formulierung der Überschriften ab) im Einzelnen zu prüfen wäre, inwieweit die von diesem Priester verlinkten Artikel fremdenfeindliche Hetze enthalten, ist es für einen Seelsorger, noch ganz besonders für einen Jugendseelsorger, schon im Grundsatz problematisch, wenn er sich auffallend und einseitig politisch positioniert; wollte er, wie er angibt, mit dem Teilen der Artikel lediglich „Gesprächsanregungen“ schaffen, hätte er besser daran getan, Artikel mit unterschiedlichen Standpunkten einander gegenüberzustellen. Und wenn seine Vorgesetzten beim Erzbistum feststellen, dass „solche rechtsfreundlichen Tendenzen […] gegen Wesen und Inhalt unserer Kirche und des Christentums“ verstoßen, dann ist das ausgesprochen ernst zu nehmen.

Aber das ist, wie gesagt, nur der Aufhänger für den Artikel der Kieler Nachrichten-Redakteurin Kristiane Backheuer. Bemerkenswert und bedenklich erscheint es, was die Autorin im Folgenden so alles mit der Affinität des Jugendpfarrers zur „Jungen Freiheit“ in einen Topf wirft - nämlich vor allem die konservative Positionierung des Priesters in Fragen der Glaubenslehre und -praxis. Dieser Bösewicht kritisiert nämlich auf Facebook auch, horribile dictu, „die inhaltliche Ausrichtung des Evangelischen Kirchentags, Positionen des Zentralkomitees der Katholiken und liberalere Stimmen der Deutschen Bischofskonferenz.“ Als wäre das noch nicht schlimm genug, greift er zu diesem Zweck auch noch auf Beiträge der angeblich „fundamental-katholischen österreichischen Internetplattform“ kath.net zurück, „die regelmäßig gegen deutsche Bischöfe wettert, die angeblich zu liberal sind und vermeintliche [!] Glaubenswahrheiten verraten“.

Und nicht nur in den Sozialen Netzwerken zeigt sich der Kieler Jugendpfarrer als arger Dunkelkatholik: „In Gottesdiensten habe er schon häufiger mit extrem konservativen Thesen provoziert, erzählten Katholiken unserer Zeitung. So habe er kritisiert, dass auch evangelische Partner das Abendmahl in der katholischen Kirche in Kiel bekommen würden.“ Schockschwerenot! „Auch eine Broschüre des Bildungsministeriums über verschiedene Lebensmodelle, die an Grundschüler verteilt wurde, kritisierte er in einer Predigt. Er vermisse die Wertigkeit, sprach er damals von der Kanzel.“

Vor dem Hintergrund des Vorwurfs fremdenfeindlicher Gesinnung wirkt es besonders pikant, wenn schließlich sogar seine polnische Herkunft gegen ihn ins Feld geführt wird: „Ein Gemeindemitglied sagt: 'Polnische Katholiken sind noch sehr konservativ. Die deutsche katholische Kirche ist dagegen viel fortschrittlicher. Der Mann gehört einfach nicht in diese Zeit und'„ - Achtung, jetzt kommt's! - „'und in diesen Ort.'“

Im dem Bericht beigesellten Kommentar - von derselben Redakteurin verfasst - spielen die Links zur „Jungen Freiheit“, die der Priester auf Facebook geteilt hat, folgerichtig nahezu überhaupt keine Rolle mehr: Hier stehen vollends Fragen der katholischen Lehre im Mittelpunkt, wie die Überschrift „Kristiane Backheuer zur katholischen Kirche Kiel“ bereits unzweideutig verrät. „Ein katholischer Jugendpastor […] schimpft von der Kanzel, dass nur die 'richtige' Familie gut und dass das Abendmahl nicht für jeden gedacht ist“, empört sich Frau Backheuer. „Dieser Mann kann kein Vorbild sein.“

Dass Frau Backheuer vom Katholizismus, geschweige denn von so komplexen Themen wie dem katholischen Eucharistieverständnis, nicht besonders viel versteht, ist schon anhand ihrer Verwendung des Begriffs „Abendmahl“ zu vermuten. Aber als Journalistin hätte sie sich ja mal ein bisschen über das informieren können, worüber sie schreibt. Na ja, vielleicht auch nicht: Sachkenntnis verwirrt nur das Urteil. Wozu lang und breit darüber räsonnieren, dass einer Eucharistiegemeinschaft zwischen Katholiken und Protestanten schwerwiegende sakramententheologische Differenzen entgegenstehen - viel schmissiger ist es doch, einfach zu konstatieren „Solche Doktrinen spalten, sie versöhnen nicht“, und lautstark zu fordern, „die Zeit des Ausgrenzens“ müsse endlich „vorbei“ sein!

Dass es sich bei diesem und anderen Punkten der Anklageschrift nicht um persönliche Schrullen eines einzelnen Priesters handelt, sondern dass der im Kreuzfeuer der Kritik stehende Geistliche in Fragen der Glaubens- und Sittenlehre lediglich „so konservativ wie die römische Lehre“ ist, ist der Verfasserin hingegen durchaus bewusst: „Auch der Vatikan ist gegen die Homo-Ehe und will das Abendmahl nicht an Konfessionsfremde ausgeben“. Und schon sitzt nicht mehr der wegen seiner Vorliebe für die Junge Freiheit in die Kritik geratene Jugendpfarrer auf der Anklagebank, sondern „der Vatikan“ als ganzer, wegen seiner 'unzeitgemäßen' Lehren. Wenn Frau Backheuer die rhetorische Frage „Aber passt das noch?“ in den Raum stellt und die Distanz zwischen dem rückständigen Katholizismus und dem „weltoffenen Schleswig-Holstein“ betont, dann läuft das trotz (oder gerade wegen?) ihrer Beteuerung „Schleswig-Holstein ist ein multikulturelles und multireligiöses Land. Und das ist gut so“ letztlich auf die Frage hinaus:

Gehört der Katholizismus zu Schleswig-Holstein?

Das erinnert - wenn auch sicher zufällig - an ein seit Jahren vor allem in linksradikalen bzw. -autonomen Kreisen kursierendes Flugblatt mit dem Titel „Katholikenproblem in Schleswig-Holstein lösen!“, das mit den folgenden Sätzen beginnt:

„Um es gleich vorweg zu sagen: wir haben nichts gegen Katholiken. Im Gegenteil, jeder Katholik, der sauber ist und hier seit Jahren Steuern zahlt, ist uns willkommen. Wir wehren uns nur dagegen, dass wir Schleswig-Holsteiner durch den Zustrom von schwarzen Schafen und ihren bischöflichen Hirten unsere kulturelle Identität verlieren.“

Und am Ende werden die folgenden Forderungen aufgestellt:

- Abweisung aller Katholiken an den Grenzen Schleswig-Holsteins!
- Sofortige Abschiebung aller kriminellen Katholiken in den Vatikan!
- Erteilung einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung für Katholiken nur bei Nachweis eines Arbeitsplatzes!
- Abschaffung des Wahlrechts für Katholiken!
- Ausweisung aller Katholiken bei Sozialhilfebezug und Arbeitslosigkeit!
- Unterbringung aller Katholiken in Gemeinschaftsunterkünften!
- Ausweisung der Katholiken bei verfassungsfeindlichen Aktivitäten!
DAS BOOT IST VOLL! STOPPT DIE KATHOLIKENFLUT!

Auf einer Ebene ist dieses Flugblatt, wie unschwer zu erkennen ist, satirisch gemeint: Es persifliert oft gehörte Vorurteile und Vorbehalte gegen Zuwanderer aus fremden Kulturkreisen und mit fremder Religionszugehörigkeit und sucht diese Ressentiments ad absurdum zu führen, indem es sie auf Katholiken überträgt. Bedenkt man allerdings die tiefsitzende Feindseligkeit linker Gruppen gegenüber dem Christentum im Allgemeinen und die Katholische Kirche im Besonderen, dann mag man sich die Frage stellen, ob die auf dem Flugblatt artikulierten Vorwürfe gegen Katholiken („Leider ist es den meisten Katholiken aufgrund ihrer fundamentalistischen Einstellung bisher nicht gelungen, ihre naturreligiöse Vorstellung von Sexualität, nach der sexuelle Handlungen nur zum Zwecke der Fortpflanzung ausgeübt werden dürfen, abzulegen“; „Schon das Symbol, das die Katholiken anbeten, das Bildnis eines Gefolterten am Kreuz, ist ein beredtes Zeugnis der latenten Gewaltbereitschaft dieser Gruppe“; „Während nach dem Grundgesetz Männer und Frauen gleichberechtigt sind, ist es den Frauen in der katholischen Kirche verboten, Priesterinnen zu werden“) nicht - bei aller satirischen Überzeichnung - im Kern doch irgendwo ernst gemeint sein könnten. Verflixte Postmoderne, die es möglich macht, ein und dieselbe Aussage sowohl ironisch als auch ernst zu meinen!

Aber das nur nebenbei. Festzuhalten bleibt: Kristiane Backheuer vertritt in den Kieler Nachrichten die Auffassung, im „weltoffenen Schleswig-Holstein“ sei für die „Doktrinen“ des Katholizismus kein Platz. Von den einheimischen Katholiken nimmt sie offenkundig an, diese würden - wofür sie ja auch gleich einige namenlose Gewährsleute aus Kiel anführt - selbst nicht mehr an die Lehren ihrer Kirche glauben und somit kein Problem darstellen. Was aber ist mit den Katholiken, die doch noch zum Glauben ihrer Kirche stehen? Müssen die auswandern? Nach Niedersachsen - oder lieber gleich in den Vatikan?

Nicht gerade neu, aber doch immer wieder gleichermaßen ärgerlich wie lächerlich ist es, dass Frau Backheuer schließlich sogar den Papst für ihre Position zu vereinnahmen sucht: Dieser sei „weiter als manche seiner Hirten“; das meint sie seinen „Worte[n] an die Weltgemeinschaft“ bei seinem Auftritt vor der UN-Vollversammlung in New York entnommen zu haben - einer Rede wohlgemerkt, in der der Papst ebenso (wenn auch vielleicht in weniger expliziten Worten) ein Bekenntnis zur klassischen Familie abgegeben hat wie der böse, böse Kieler Jugendpfarrer; aber wie schon gesagt: Sachkenntnis verzerrt nur das Urteil.

Ich würde mir wünschen, dass gläubige Katholiken der Redaktion der Kieler Nachrichten in aller erforderlichen Deutlichkeit mitteilen, was sie von solchem „Journalismus“ halten – konkret gesagt: davon, wie hier die kritikwürdige politische Positionierung eines einzelnen Priesters zum Vorwand für einen Frontalangriff auf die Lehre der Katholischen Kirche genommen wird. Noch schöner wäre es, wenn auch das Erzbistum Hamburg ein Wort dazu sagte. Aber darauf hoffe ich mal lieber nicht allzu fest...


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