Die große Zumutung

22. September 2015 in Kommentar


Ein kath.net-Kommentar von Peter Winnemöller zu Behauptungen von Christiane Florin im KNA-Ableger "Christ&Welt" über Abtreibung und Barmherzigkeit


Linz (kath.net)
Papst Franziskus hat sich für die kommende Zeit die intensivere Vermittlung der Barmherzigkeit auf die Fahne seines Pontifikats geschrieben. Er stellt sich damit in eine Linie mit dem heiligen Papst Johannes Paul II. Dieser hat der Kirche ein eigenes Fest der Barmherzigkeit geschenkt, ferner die Frau, die der Kirche die Göttliche Barmherzigkeit besonders vor Augen geführt hat, Sr. Maria Faustyna Kowalska, im Jahr 2000 heiliggesprochen. In dieser Linie muss man auch das kommende Heilige Jahr der Barmherzigkeit sehen.

Nichts braucht die Welt in unserer aufgerüttelten Zeit mehr als die Barmherzigkeit Gottes. Das scheint eine Binsenweisheit zu sein, doch nichts ist der Welt so fremd und stößt die Welt so vor Kopf wie eben diese Barmherzigkeit. Es ist ein hartes Brot, das die Päpste Johannes Paul II. und Franziskus der Welt zumuten, wenn sie die Barmherzigkeit so in den Blick der Öffentlichkeit stellen. Ist doch Barmherzigkeit nicht etwa eine Anpassung und Anbiederung an die Regeln der Welt, indem man alles einfach mal „gut“ sein lässt, was die Mode gerade empor spült. Ganz im Gegenteil stellt die Barmherzigkeit die sündige, die gebrochene und die heilungsbedürftige Wirklichkeit des Menschen voll und ganz und vor allem unverhüllt dar. So verwundert es nicht, wenn ein solches Jahr der Barmherzigkeit in seiner konkreten Ausgestaltung zahlreiche Irritationen hervorruft.

In zwei Schreiben hat sich der Papst in jüngster Zeit an die Welt gewandt. Ein Schreiben zum Jahr der Barmherzigkeit und ein Schreiben zur Reform der kirchlichen Ehenichtigkeitsverfahren. Man kann beide durchaus in einem Zusammenhang sehen.

Sein Schreiben zum Jahr der Barmherzigkeit, welches unter anderem den besonderen Ablass regelt, verwundert zunächst einmal in zweierlei Hinsicht: Weil es die gültige Beichte bei Priestern der Piusbruderschaft eröffnet und von die grundsätzliche Erlaubnis für alle Priester bringt, von der Exkommunikation nach Abtreibung zu entbinden und damit unmittelbar auch die Lossprechung von dieser Sünde geben zu können.

Letzteres ist ein Geschenk des Papstes an eine Welt, in der das Elend der Abtreibung in den vergangenen Jahrzehnten millionenfach Kinder vor der Geburt das Leben gekostet hat. Abtreibungen ruinieren zudem noch das Leben von Müttern und Vätern sowie nicht selten deren Ehen oder Beziehungen. Abtreibungen richten viel Unheil im sozialen Umfeld der Betroffenen an. Das weiß der Papst sehr wohl.

Setzt sich bei Betroffenen die Einsicht durch, was sie sich und ihrem Kind mit der Abtreibung angetan haben, kann die Beichte ein wesentlicher Schritt zu Heilung sein. Bleibt zu hoffen, dass viele Menschen im Heiligen Jahr diesen Weg finden und die Barmherzigkeit Gottes in vollen Zügen auskosten können.

Die Vereinfachung des Ehenichtigkeitsprozesses ist an vielen Stellen auf Kritik gestoßen. Dabei entzündet sich diese oft am Wegfall der zweiten Instanz. Dieser ist nicht unproblematisch, da es bei einem Ehenichtigkeitsverfahren nicht darum geht, eine bestehende Ehe aufzulösen, sondern es geht darum, moralische Gewissheit in der Frage zu erlangen, ob man verheiratet ist oder nicht. Die zusätzliche zweite Instanz sollte ein menschlich mögliches Maximum an moralischer Sicherheit gewährleisten. Das hatte Kardinal Burke im Rahmen seines Vortrages auf der Liturgischen Tagung in Herzogenrath in diesem Jahr sehr deutlich ausgeführt.

Andererseits ist es nur schwer nachvollziehbar, wenn für einen solchen Prozess drei bis vier Jahre vergehen. Eine schnellere Abwicklung verhindert vielleicht für Betroffenen das Eintreten einer irregulären Lebenssituation. Es bleibt abzuwarten, wie die Änderung des kanonischen Rechts sich künftig praktisch ausgestalten wird. Für den deutschen Sprachraum ist kaum anzunehmen, dass sich Bischöfe selber mit derartigen Schnellverfahren befassen, was ja gerade die Voraussetzung für diese ist.

Die Irritation der Welt in der Konfrontation mit der Barmherzigkeit war an der Berichterstattung nur zu deutlich abzulesen, insofern sie überhaupt stattgefunden hat. Ein Musterbeispiel für eben diese Irritation stellt der Artikel von Christiane Florin in der ZEIT vom 9.9.2015 (http://www.zeit.de/gesellschaft/familie/2015-09/papst-franziskus-ehe-annullierung-abtreibung/komplettansicht) dar.

Schon der Auftakt vermag zu verstören. Das Ehenichtigkeitsverfahren der monegassischen Prinzessin Caroline, heute Prinzessin von Hannover dauerte sage und schreibe 12 Jahre. Eine beliebige Frau aus dem Volk hätte in einem vergleichbaren Fall wohl ihr Urteil nach drei bis vier Jahren gehabt. Trotzdem wird aus dem inzwischen 23 Jahre zurück liegenden Fall immer noch ein Skandälchen konstruiert, weil ja das mächtige katholische Fürstenhaus mit williger Kooperation des Vatikans die Nichtigkeit der Ehe betrieben hat.

Die Prinzessin war schon wieder Witwe in der neu geschlossenen zweiten Ehe, als sie endlich das Urteil über ihre erste Ehe bekam. Kein sonderlich gutes Beispiel, aber die schillernde Welt Monacos und der geheimnisvolle Vatikan machen sich doch immer gut. Dass man sich dabei in der renommierten ZEIT auf Yellowpress- Niveau begibt, wen stört das schon?

In dem Artikel sind natürlich ein paar sachliche Fehler (Ein Ablass ist ein Nachlass zeitlicher Sündenstrafen. Aber Ablass ist nicht – auch nicht grob – ein zeitlich begrenzt gewährter Strafnachlass, wie im Artikel behauptet), aber auch darüber mag man gerne hinwegsehen. Ablass ist ohnehin außerhalb der Kirche kaum vermittelbar, die Abgrenzung zur Absolution fast nicht mehr erklärbar. Man wundert sich eher, wenn es in einem weltlichen Medium einmal richtig dargestellt wird.

Dennoch verunsichert es, wie versucht wird Gräben zwischen konservativ und progressiv aufzuzeigen, die so ausnahmsweise mal nicht existieren. Obwohl man sie ja ansonsten durchaus annehmen darf.

Weder habe ich von etablierten Linkskatholiken nennenswerte Kritik an der im kommenden Jahr erlaubten Beichte bei der Piusbruderschaft gelesen, noch haben hätten die achso bösen Konservativen die Erlaubnis für alle Priester von der Sünde der Abtreibung loszusprechen kritisiert. Dieser Schuss ging ins Leere.

Gleichfalls ist bei realistischer Betrachtung nicht damit zu rechnen, dass die Priester der Piusbruderschaft sich darüber beschweren werden, wenn sie im kommenden Jahr auch von der Abtreibung lossprechen dürfen. Innerhalb der Kirche war von rechts über die Mitte nach links geschaut nicht ein Bruchteil der Aufregung zu vernehmen, die in dem Artikel so angenommen wird.

Doch es ist schon so: Die Barmherzigkeit irritiert die Welt, denn sie nimmt die Welt ernster als es ihr lieb sein kann. Das Jahr der Barmherzigkeit wird auch uns Katholiken einiges abverlangen, davon können wir ausgehen. Der Barmherzigkeit Gottes steht der Mensch nämlich völlig bloß und hilflos gegenüber.

Hier versagt jeder Versuch einer Rechtfertigung. Hier steht der sündige Mensch vor Gott und kann die Barmherzigkeit nur sprachlos annehmen.

Und die Welt?

Sie wird sich wütend wehrlos winden.

Foto Peter Winnemöller



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