Fall Huonder: Und wann reden wir über Homosexualität?

9. September 2015 in Kommentar


Ist eine sachliche Diskussion über Homosexualität in unserer Gesellschaft überhaupt noch erwünscht und möglich? Gastkommentar von Dominik Lusser, Stiftung Zukunft CH


Chur (kath.net) Ist eine sachliche Diskussion über Homosexualität in unserer Gesellschaft überhaupt noch erwünscht und möglich? Diese drängende Frage wird durch die mediale und innerkirchliche Hetze gegen den vermeintlich homophoben Churer Bischof Vitus Huonder völlig in den Schatten gestellt. Überall ist die Rede von verbaler Entgleisung, von Hetze, Brandstiftung und Diskriminierung Homosexueller durch den Churer Bischof. Doch zum eigentlichen Streitgegenstand, der Homosexualität, wird jede Diskussion verweigert.

Seit der Churer Bischof Vitus Huonder etwas unbedacht Bibelstellen zur Homosexualität zitiert hat, wird er – ungeachtet des Kontextes seiner Fuldaer Rede – überall in der Schweiz und über die Landesgrenzen hinaus als Homo-Hasser beschimpft. Selbst wiederholte Erklärungen und Entschuldigungen seitens des Bistums konnten den Sturm der Entrüstung nicht besänftigen. Kein Wunder! Dient doch die Fuldaer Kommunikations-Panne lediglich als weiterer Aufhänger für eine schon Jahre dauernde Schmutzkampagne gegen einen Bischof, der mit seinem Standpunkt zur Homosexualität aneckt, so feinfühlig er ihn auch vortragen mag. Stein des Anstoßes für viele Medien und zeitgeistig weichgespülte Kirchenvertreter ist, dass Huonder sich nur für die Form, nicht aber für den Inhalt seiner Rede entschuldigt hat. Dieser Inhalt, von dem Huonder als katholischer Bischof weder abweichen will noch kann, besagt, dass Homosexualität eine nicht selbst gewählte, aber doch ungeordnete Neigung ist, und dass homosexuelle Akte moralisch niemals positiv bewertet werden können. Dennoch, so die Lehre der Kirche, soll homosexuell fühlenden Menschen mit Mitleid, Takt und Achtung begegnet werden.

Inhaltliche Diskussion unerwünscht?

Diese differenzierte Position zur Homosexualität ist der Welt ein Gräuel, für den viele den Bischof von Chur sogar hassen. Es wird also nur zu dem Zweck auf der formal unglücklichen Kommunikation des Bischofs herumgeritten, um deren Inhalt zu desavouieren, und zwar ohne auch nur ein einziges inhaltliches Argumente anführen zu müssen. Diskussionen über die Form waren nötig. Die Bereitschaft dazu zeugt vom guten Willen des Bischofs und seines Mediensprechers Giuseppe Gracia. Nun aber genug mit der Unterwerfung unter „das säkularen Bussritual der modernen Mediengesellschaft“ (Basler Zeitung). Jetzt wäre eine breite Diskussion über den eigentlichen Streitgegenstand, die Homosexualität, angesagt. Zum einen darum, weil die Kommunikation eines Bistums nicht den gesellschaftlichen Frieden um jeden Preis zu suchen hat, sondern primär der Wahrheit verpflichtet ist, die es freilich stets in Liebe zu verkünden gilt; und zum anderen, weil über die richtige Form der Kommunikation nie losgelöst vom Inhalt diskutiert werden kann.

Liegt die Aussage: „Homosexuelles Empfinden ist Symptom einer Entwicklungsstörung“ inhaltlich auf dem gleichen Niveau wie die Beschimpfung: „Juden sind Untermenschen“, gibt es keine akzeptable Form, die katholische Lehre zur Homosexualität zu kommunizieren. Das ist die Meinung der Homo-Lobby, die sich in Gesellschaft, Politik und sogar in den Reihen der Kirche zunehmender Beliebtheit erfreut. Dagegen aber spricht sehr vieles. Während „Jude“ u.a. die Zugehörigkeit zu einer Ethnie bezeichnet und ein identitätsstiftendes Merkmal der Persönlichkeit zum Ausdruck bringt, liegt der Fall bei der Homosexualität ganz anders. Auch wenn die Gay-Bewegung die Homosexualität gerne als Identität darstellt, weisen viele Forschungsergebnisse und therapeutische Erfahrungen klar darauf hin, dass homosexuelle Empfindungen ihre Wurzel oft in traumatischen Kindheitserlebnissen haben. Dass aber Handlungen, die einer Neigung mit kompensatorischem Charakter entspringen und diese verfestigen, moralisch nicht gutgeheißen werden können, liegt auf der Hand. Es kann nicht genug betont werden, dass es nicht Huonder und die katholische Kirche sind, welche der sachlichen Diskussion über die Homosexualität aus dem Weg gehen und neue Forschungsergebnisse zu diesem Thema fürchten und tabuisieren. Bedeutende Theologen wie Thomas von Aquin haben nämlich Moral nie als einen willkürlich von oben verfügten Verhaltenscodex verstanden, sondern immer als eine Lehre vom Richtig- oder In-Ordnung-Sein des Menschen, das auch die gesunde Entfaltung seiner menschlichen Natur einschließt.

Ausweichmanöver

Es ist schon erstaunlich, dass Markus Arnold, Dozent für theologische Ethik an der Universität Luzern davon noch nie etwas gehört zu haben scheint. In einem Interview mit der Zeitung „Der Landbote“ behauptet er, die römisch-katholische Sexualmoral sei nicht biblisch, sondern im 19. Jahrhundert „aufgrund einiges ideologisierten Naturbegriffs“ entstanden. Das ist nichts weiter als marxistische Kampfrhetorik, welche Moral dadurch relativiert, dass sie prinzipiell zum Abbild herrschender Gesellschaftsverhältnisse erklärt wird. Damit weicht Arnold aber einer sachlichen Auseinandersetzung zum Homosexualität nicht nur aus. Er erklärt sie sogar für unmöglich. Stattdessen bringt er dubiose Umfragen ins Spiel, laut denen 20 Prozent der Bischöfe homosexuell sein sollen. Und selbst wenn dem so wäre: Mit welcher Legitimation wird der Macht des (scheinbar) Faktischen in der Moraltheologie neuerdings ein derartiges Gewicht beigemessen?

Ein weiteres Ausweichmanöver besteht in der Psychologisierung des gegnerischen Standpunktes. Pathologisiert man die Haltung des Gegner, muss man seine Argumente nicht ernst nehmen. Die Debatte über Homosexualität sei von gestern, behauptet das St. Galler Tagblatt im Zusammenhang mit dem Fall Huonder. „Doch sie erregt heutige Menschen auch in den Leserbriefen dieser Zeitung so stark, dass sich die Frage nach dem Warum stellt.“ Die Antwort der Zeitung aber lautet kurz und knapp: „Angst“; zum einen Angst vor der eigenen, innerlich abgelehnten Homosexualität, zum anderen vor der noch tieferen Angst emotional berührt zu werden, weil Homosexualität das weithin propagierte Macho-Ideal vom emotional unberührbaren Mann in Frage stelle. Die Zeitung beruft sich hierfür auf den Basler Psychologen Udo Rauchfleisch, für den Homosexualität im „homosexuell geborenen Menschen“ nur dann zum Leiden wird, wenn er in eine Gesellschaft hineinwächst, die heterosexuell ausgerichtet ist und der Homosexualität mit Ängsten, Repressionen oder moralischen Vorhaltungen begegnet. Dass es unter Fachleuten auch ganz andere Stimmen gibt, davon erfährt der Leser des St. Galler Tagblatts leider nichts.

Was sagt die Wissenschaft?

Dabei gibt es bis heute unzählige stichhaltige Belege aus Forschung und Therapie, die vor der Normalisierung der Homosexualität warnen. Der dieses Jahr verstorbene griechisch-deutsche Psychiater und Psychoanalytiker Stavros Mentzos, der in Frankfurt a. Main lehrte, sieht die homosexuelle Objektwahl eines Mannes zum einen im Zusammenhang mit Ablösungs- und Abgrenzungsschwierigkeiten des Jungen von der Mutter, zum anderen mit einer mangelnden Möglichkeit zur Identifikation mit einem schwachen oder abwesenden Vater. Mentzos kommt zu dem Schluss: „Alles in allem erscheint mir die Vermutung gerechtfertigt, dass bei einer großen Anzahl von homosexuellen Männern die Homosexualität eine durch spezielle Selbstentwicklungsproblematik erzwungene Lösung mit Abwehr- und Reparationscharakter darstellt.“

Besonders eindrücklich sind auch die Erfahrungen der amerikanischen Psychotherapeutin Elaine V. Siegel („Female Homosexuality“, 1988), über die Dr. Christl R. Vonholdt vom DeutschenInstitut für Jugend und Gesellschaft berichtet: In den 80er-Jahren bot Siegel am lesbischen Zentrum einer amerikanischen Universität Therapien an. Schnell meldete sich eine Reihe lesbisch lebender Frauen bei ihr. Es ging diesen um Ängste und Beziehungsprobleme, und nicht darum, den lesbischen Lebensstil an sich in Frage zu stellen. Siegel stieß in der offenen Begegnung mit diesen Frauen auf Unerwartetes: auf große Gemeinsamkeiten in ihren Lebensgeschichten, auf eine innere Notwendigkeit, die lesbische Lebensweise gegenüber der heterosexuellen zu idealisieren, und auf eine Schwere des inneren Leidens, das oberflächlich betrachtet durch die Umwelt verursacht schien, tatsächlich jedoch auf tiefe, ungelöste innerpsychische Konflikte hinwies. Mehr als die Hälfte der von Siegel therapierten Frauen wurde heterosexuell, worauf ihr die Leitung des Lesbenzentrums „Verrat an den Schwestern“ vorwarf und keine Klientinnen mehr an sie verwies. Siegel aber war es nicht primär darum gegangen, den Frauen „von ihrem Lebensstil abzuraten": „Meine Arbeit bestand eher darin, zuzuhören und emotional anwesend zu sein.“ Im Lauf der Zeit begriff sie jedoch deren Schwierigkeiten als Entwicklungsstörung, die eine heterosexuelle Objektwahl ausschloss. Obwohl sie sich als liberalen Menschen bezeichnet, erkannte sie die „Verführung, weibliche Homosexualität als normalen Lebensstil anzusehen“ als eine Festlegung, welche jede Möglichkeit zur Veränderung a priori ausgeschlossen hätte.

Vor einer „Ideologisierung der Psychotherapieszene“ warnte auch der deutsche Psychiater Christian Spaemann 2008 in einem Interview mit Idea. Aus Erfahrung weiß er, dass ein Drittel der Homosexuellen, die freiwillig eine Therapie machen, eine dauerhafte und befriedigende Umorientierung der sexuellen Ausrichtung erreicht. Dass sich ein Teil derer, die das nicht erreichen, nach der Therapie schlechte fühlt als vorher, ist für Spaemann ein Phänomen, das uns auch bei anderen Therapien bekannt ist und dort in den letzten Jahren zu einer Differenzierung hinsichtlich Auswahl der Klienten, der Therapieziele und Vorgehensweisen geführt hat. Gefragt wäre nach Spaemann darum auch bei der Therapie ichdystoner Homosexualität nicht eine generelle Ablehnung dieser Therapien, sondern „eine von Forschung begleitete Differenzierung“. Alles andere sei eine Missachtung der Autonomie des Patienten.

Der blinde Fleck der Homo-Lobby

Während jedoch der Wissensstand stagniert, steigt der Druck seitens einer political correctness auf Betroffene und Therapeuten, wobei beides natürlich eng zusammenhängt. Die Geschädigten sind die leidenden Homosexuellen, von denen es auch in der Schweiz viele gibt. Laut einer Umfrage von 2012 unter 356 Frauen, die sexuelle Beziehungen zu Frauen pflegen, empfinden 26 Prozent ein großes seelisches Unbehagen, 32 ein mittleres. Dieses Resultat hebt sich, wie der Schweizer Lesbenverband LOS schreibt, klar von den Frauen in der allgemeinen Schweizer Bevölkerung ab, wo die Werte bei 6 resp.15 Prozent liegen. Ferner geben 60 Prozent der Frauen an, schon mindestens einmal in ihrem Leben an Selbstmord gedacht zu haben. 33 Prozent haben Pläne für einen Selbstmord gemacht, 13 Prozent sogar einen oder mehrere Suizidversuche unternommen. Selbstverständlich sieht die LOS die Ursachen für diese desolate Situation ausschließlich im diskriminierenden gesellschaftlichen Umfeld. Ganz nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf, werden alle anderen Erklärungsmöglichkeiten von Vornherein ausgeblendet.

Wenn die Diskussion um die Normalität der Homosexualität nicht endlich wieder offener geführt wird, werden wohl auch bei uns – unter Zuhilfenahme neuer Antidiskriminierungs-Strafnormen – bald britische Zustände einkehren. Dort versucht die Gleichstellungsministerin gerade ein landesweites Verbot für Therapien für homosexuell fühlende Menschen durchzusetzen, die aus freien Stücken und unter großem Leidensdruck eine Veränderung ihrer gleichgeschlechtlichen Neigung anstreben. Und das, obwohl in Großbritannien nach einer Statistik aus dem Jahr 2009 von 1‘300 Psychologen 200 mindestens einen ihrer Patienten in eine solche Therapie geschickt haben.

Diskussion ja, aber...

Die Chancen auf einen offenen, sachlichen Dialog stehen allerdings augenblicklich nicht besonders gut. Die Neue Züricher Zeitung spricht zwar der Kirche auch nach dem Fall Huonder das Recht und die Fähigkeit zu, „zur lebendigen Diskussionskultur beizutragen, die jede Demokratie braucht.“ Dazu gehöre aber die Bereitschaft, „sich konstruktiv mit den reellen Problemen unserer Zeit auseinanderzusetzen.“ Wo aber diese Probleme liegen, ist peinlich genau vorgegeben: Die Kirche dürfe sich beispielsweis mit provokativen Vorschlägen zur Flüchtlings-Thematik einbringen, so das großzügige Angebot der NZZ. „Wer stattdessen Bibelzitate zu eisenzeitlichen Sitten beizieht, um Menschen herabzusetzen und auszuschließen, darf nicht damit rechnen, in breiten Kreisen ernst genommen zu werden.“ Huonders wiederholte Verunglimpfung von Schwulen und Lesben sei für einen zukunftsgerichteten Diskurs von keinerlei Nutzen. Abgesehen davon, dass hier Huonders Position erneut auf ihre Form reduziert wird, übernimmt die NZZ ganz den antiliberalen Dogmatismus der Homo-Lobby: Wer die Homosexualität irgendwie in Frage zu stellen wagt, muss geächtet werden.

Das Leidigste aus christlicher Sicht aber ist, dass sich viele Kirchenvertreter und sogar Bischöfe mit der ihnen von der öffentlichen Meinung zugewiesenen Position zufriedenzugeben, ja sich darin sogar zu gefallen scheinen. So soll der St. Galler Bischof Markus Büchel auf die Medienanfrage, wie die Ablehnung homosexueller Handlungen mit der vorbehaltlosen Annahme aller Menschen durch die Kirche vereinbar sein soll, in seiner gewohnt schwammigen Art geantwortet haben: „Wenn wir den Menschen als Ganzes annehmen, gehört auch seine Sexualität dazu.“ Es sei letztlich der Entscheid jedes Einzelnen, wie er die Sexualität auslebe. Mit dieser Haltung, die Moral generell zur Frage des individuellen Gewissens zu erklären scheint, ist die Kirche aber leider weit davon entfernt, ein Ort zu sein, an dem leidenden Homosexuellen echte Hilfe widerfahren kann. Darum meine Frage: Wann reden wir anstatt über Huonder endlich sachlich über Homosexualität?

Link: Bischof Huonder - Der Vortrag von Fulda als PDF

Kongress Freude am Glauben - Bischof Huonder - Die Ehe Geschenk, Sakrament und Auftrag



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