Deutsche Sonderwege zur Bischofssynode

7. September 2015 in Kommentar


Im Vorfeld der Bischofssynode zur Familie kommen aus der Kirche Deutschlands wiederholt Initiativen in Richtung einer Abkehr von der katholischen Morallehre. Zufall oder kirchenpolitische Kampagne? Ein kath.net-Kommentar von Johannes Graf


Mainz/Bonn (kath.net/jg)
Der Mainzer Moraltheologe Stephan Goertz hat in der Reihe „Katholizismus im Umbruch“ ein Buch mit dem Titel „Wer bin ich, ihn zu verurteilen“ herausgegeben. Wer schon vermutet, dass hier das Thema „Homosexualität und katholische Kirche“ behandelt wird, hat richtig geraten. So lautet der Untertitel des über 400 Seiten starken Sammelbandes.

Die im Eigentum der deutschen Bistümer stehende Nachrichtenagentur KNA gewährt ihm ein Interview, das auf dem von der Deutschen Bischofskonferenz initiierten katholisch-Portal veröffentlicht wird und in dem Satz gipfelt, der Professor für Moraltheologie sehe in der kirchlichen Segnung homosexueller Paare kein theologisches Problem. Das alles geschieht wenige Wochen vor Beginn der ordentlichen Bischofssynode zur Familie. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt? Wohl nicht, wenn man sich einige Ereignisse der letzten Zeit in Erinnerung ruft, die in deutschen Landen im Zusammenhang mit der bevorstehenden Synode geschehen sind.

Im Februar ließ Reinhard Kardinal Marx mit dem Satz aufhorchen: „Wir sind keine Filialen von Rom“. Die deutschen Bischöfe könnten nicht warten, bis die Synode ihnen sage „wie wir hier Ehe- und Familienpastoral zu gestalten haben.“ Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode assistierte mit einem theologischen Vorstoß: Die Synode erörtere die Möglichkeit, ob die „Realität von Menschen und der Welt“ nicht neben Schrift und Tradition Quellen der theologischen Erkenntnis seien könnten.

Im Mai fand in Rom hinter verschlossenen Türen ein Studientag zur Bischofssynode statt, der von der Französischen, Deutschen und Schweizer Bischofskonferenz gemeinsam veranstaltet wurde. Teilnehmer waren neben anderen die deutschen Bischöfe Marx und Bode.

In der Antwort auf die erste Interviewfrage gibt Goertz dann gleich die Richtung vor. Die Ablehnung der Homosexualität in vielen Religionen habe damit zu tun, dass in der Zeit ihrer Gründung das „damals fraglos Geltende“ mit der göttlichen Ordnung gleichgesetzt worden sei. Das habe auch für die Sexualmoral gegolten. Die Bibelstellen, in denen Homosexualität verurteilt werde, seien daher aus der „konkreten geschichtlichen Situation der Autoren“ zu verstehen, sagt Goertz.

Gott habe allen Menschen seine Liebe unbedingt zugesagt, im Volk Gottes sollten natürliche, soziale Differenzen überwunden werden, niemand solle den Stab über andere brechen. Aus dieser Grundhaltung sollten moralische Fragen beantwortet werden, schlägt der Moraltheologe vor. Er halte sie für „theologisch gewichtiger als Vorschriften über die ‚Natur’ einzelner sexueller Handlungen“.

Dieser Ansatz ist sicher biblisch begründet, aber unvollständig und zeigt ein wesentliches Problem der modernen Philosophie und deren Auswirkung auf die Theologie auf: Die Trennung von Sein und Sollen, des Natürlichen vom Guten. Aus dem Sein könnten keine moralischen Prinzipien abgeleitet werden, lautet die These. „Es gibt keinen Weg vom Ist zum Soll“, sagt der Philosoph David Hume. Dieser Ansatz ist auch in die gegenwärtige Moraltheologie eingeflossen, wie man beispielsweise in Stephan Goertz’ Artikel „Autonomie kontrovers“ im 2. Band der Reihe „Katholizismus im Umbruch“ erkennen kann.

Der klassische Ansatz der Theologie lautet anders. Gottes Schöpfung ist „aus einem Guss“. Die Moral entspricht der Natur der Dinge und der Natur des Menschen. Das Gute ist das Wirklichkeitsgemäße. Anders gesagt: Gott hat nicht die Welt geschaffen und dann willkürlich und davon unabhängig eine moralische Ordnung festgelegt. Die Gebote entsprechen der Natur des Menschen, sie sind Grenzen, die er nicht überschreiten darf, wenn sein Leben gelingen soll. Sie sind gerade nicht die Gleichsetzung des irgendwann einmal kulturell Verbindlichen mit dem göttlichen Gebot, wie Goertz es behauptet. Der klassische Ansatz kann hier nur angedeutet werden. Wer sich vertiefen will, dem sei Josef Piepers „Die Wirklichkeit und das Gute“ ans Herz gelegt.

Der enge Zusammenhang von Natur und Moral gilt selbstverständlich auch für die Sexualität. Fast alle Menschen sind durch einen Geschlechtsakt gezeugt worden – nur eine verschwindende Minderheit durch Techniken der künstlichen Befruchtung. Das ist an sich selbstverständlich. Es schadet aber nicht, das in unserer kulturellen Epoche, welche die Sexualität von der Fortpflanzung getrennt hat, hin und wieder in Erinnerung zu rufen. Eine vollständige Bewertung der Sexualität muss daher berücksichtigen, dass die Offenheit für die Weitergabe des Lebens der Natur des Geschlechtsaktes entspricht, auch wenn sie nicht der alleinige Zweck dieses Aktes ist.

Das hat auch „das Konzil“ (gemeint ist natürlich das II. Vatikanische) nicht geändert, wie Goertz im Interview und auch in einem Artikel des Buches andeutet. (S. 235) Neben der von ihm zitierten gegenseitigen liebenden Hingabe (Gaudium et spes 49) gehört selbstverständlich auch die Fortpflanzung zum Wesen der Ehe und der ehelichen Liebe (GS 50). Letzteres unterschlägt uns Goertz.

Wer bei der moralischen Bewertung einer Beziehung nur auf deren „menschliche Qualität“ sieht, wie Goertz es vorschlägt, greift daher zu kurz und tut damit auch dem Menschen, der sich von der Kirche Orientierung für sein Leben erwartet, nichts Gutes. Der homosexuelle Geschlechtsakt widerspricht der Natur der menschlichen Sexualität, unter anderem deshalb, weil er per se unfruchtbar ist. Die menschliche Sexualität hat ihren Platz in der Ehe. Deshalb sind alle Unverheirateten – auch die heterosexuellen – zur Enthaltsamkeit aufgerufen. Selbst in der Ehe gibt es aus verschiedenen Gründen immer wieder Phasen der Enthaltsamkeit.

Dies ist in der übersexualisierten westlichen Gesellschaft, in der auch die Sexualität vielfach zum Konsumgut degradiert wird, vielleicht schwerer zu leben als in anderen Epochen, aber es ist möglich. Ein sinnvoller pastoraler Ansatz für die Familien wäre es, die Menschen in dieser Aufgabe zu unterstützen. Um bei den Homosexuellen zu bleiben: Warum ruft die Deutsche Bischofskonferenz nicht eine Bewegung wie die amerikanische „Courage“ ins Leben, die Menschen mit gleichgeschlechtlichen Neigungen bei einem Leben in Enthaltsamkeit begleitet? Wieso gibt es keinen Artikel auf dem eingangs zitierten katholisch-Portal, der sich zivilrechtlich Wiederverheirateten widmet, die nach den Geboten der Kirche leben? Stattdessen ist man mit einer Abhandlung „Weg von der Buchstabentreue“ konfrontiert, in dem wieder einmal eine angebliche Barmherzigkeit gegen das Kirchenrecht ausgespielt wird – mit direktem Bezug zur Bischofssynode im Oktober.

Wohin wollen die deutschen Bischöfe die Kirche führen?


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