München, Hauptstadt der 'Bewegung' und Hauptstadt des Widerstandes

29. August 2015 in Chronik


Das neue NS-Dokumentationszentrum in München will Entstehungsgeschichte und Wirkungsweise des Nationalsozialismus dokumentieren. Doch zeigt sich dabei eine antikatholische Tendenz. Teil III - Gastbeitrag von Dr. Eduard Werner


München (kath.net/Blog Forum Deutscher Katholiken) Durch die ganze Ausstellung zieht sich die Behauptung, die Nachkriegsgesellschaft hätte die NS-Zeit verdrängt. Das trifft nicht zu.

Aus der Mitte der Kirche kamen mit Neuhäuslers Erfahrungsbericht „Kreuz und Hakenkreuz“ sowie mit dem Buch „Saat des Bösen; Kirchenkampf im Dritten Reich“ sehr bald nach dem Krieg Analysen und Anklagen gegen das NS-Regime. Auch der Katholik Eugen Kogon hat mit seinem Buch „Der SS-Staat“ schon bald nach dem Krieg zur Aufklärung über die nationalsozialistische Weltanschauung und über die damals begangenen Verbrechen beigetragen. Der Münchner Weihbischof Neuhäusler hat nicht nur seine eigenen KZ-Erfahrungen in zwei Büchern geschildert, er hat auch auf Bitten von Papst Pius XII. den österreichischen Geistlichen Pater Johann Lenz gebeten, seine KZ-Erfahrungen aufzuschreiben und zu veröffentlichen. P. Lenz hat es getan und sein Buch hat in kurzer Zeit hohe Auflagen erreicht. In den Kirchenzeitungen und vor allem in den Predigten spielten damals diese Analysen und Erfahrungsberichte ständig eine große Rolle. Es stimmt einfach nicht, dass die Kirche oder die Münchner und darüber hinaus die Deutschen insgesamt die NS-Zeit verdrängt hätten. Wer die einschlägigen kirchlichen Druckerzeugnisse nicht gelesen hat und die Predigten der aus den KZs zurückgekehrten Priester nicht gehört hat, kann heute leicht das Gegenteil behaupten. Der jüdische Professor Michael Wolffsohn hat kürzlich in der Fernsehsendung bei Günter Jauch ebenfalls darauf hingewiesen, dass dieser Vorwurf der Verdrängung nicht zutrifft. Er sagte, allein die Diskussionen um die Verfassungsentwürfe der Länder und des Bonner Grundgesetzes beweisen das Gegenteil. Die Präambeln, auf die man sich dann geeinigt hat, beginnen: „Angesichts des Trümmerfeldes …“. Oder „In Verantwortung vor Gott und den Menschen“. Diese Verfassungstexte wurden in den politischen Gremien und in der Öffentlichkeit lebhaft diskutiert. Das waren nach Michael Wolfsohn ausgesprochene Gegenentwürfe zum NS. Wer heute behauptet, das NS-System sei verdrängt worden, hat nicht recht. Dass sich viele Menschen damals zunächst für Wohnungen, Kleidung und Essen interessierten, ist doch verständlich. Primum vivere, deinde philosophare – zuerst leben und dann philosophieren – ist eine alte Menschheits-Erfahrung. Auch hier muss man sich noch mal fragen: Ist der Ungeist des Braunen Hauses mit seinen heutigen Unwahrheiten immer noch nicht ganz tot? Es ist geradezu beängstigend zu sehen, wie hier mit Weglassungen einseitig Politik gemacht wird.

Aber nicht nur skandalöse „Weglassungen“ kennzeichnen diese Ausstellung. Auch ein ideologisch falscher Ansatz!

Hinsichtlich des angeblich fehlenden Widerstandes stellt die Ausstellung beide Kirchen auf die gleiche Stufe. Die Bedingungen, die Vorgehensweisen und die Resultate waren so verschieden, dass sie nicht gleichgesetzt werden können. Mit dieser Gleichsetzung unterschlägt Dr. Nerdinger auch die zahlreichen Konvertiten, die – beeindruckt vom katholischen Widerstand – katholisch wurden. In München waren dies u.a. der Präsident der Evangelischen Landes-Synode Freiherr von Pechmann und Rechtsanwalt Adolf von Harnier.

Allein im KZ Dachau waren 2756 katholische Priester eingesperrt und etwa 120 evangelische Pastoren. Hierbei ist zu bedenken, dass Deutschland damals zu zwei Dritteln evangelisch war und nur zu einem Drittel katholisch. Katholische Priester waren darüber hinaus in den Gefängnissen und in den KZs Buchenwald, Sachsenhausen, Börgermoor und Gusen. Von den über 25.000 katholischen Priestern in Deutschland damals wurde über die Hälfte ständig überwacht und bespitzelt. Warum wohl, wenn sie nicht als Gegner eingeschätzt wurden? Wenn der Gründungsdirektor derart Ungleiches gleichsetzt, so müsste er das fachlich begründen, vor allem wenn es sich um eine Dokumentation mit wissenschaftlichem Anspruch handelt. Das tut er aber nicht. Warum wohl?

Den beiden Kirchen spricht er pauschal ab, den Widerstand unterstützt zu haben. Was er unter dem Begriff Widerstand versteht, und welche Formen des Widerstandes denkbar sind, erklärt er aber nicht. Zu unterscheiden ist zwischen einem aktiven Widerstand, einem passiven Widerstand, einem heimlichen Widerstand, einem diplomatischen Widerstand (Dr. Josef Müller!), einem geistigen Widerstand und einem bewaffneten Widerstand. Einen militärischen Widerstand konnte ein rational denkender Mensch von der Kirche nicht erwarten. Einen geistigen Widerstand jedoch schon. Und diesen hat die Kirche sehr wohl geleistet. Das ist nicht zu bestreiten, wenn man die Archive kennt. In der katholischen Kirche ist das Schicksal der Märtyrer in der NS-Zeit keineswegs vergessen. Allerdings werden ihre Dokumentationen in der Öffentlichkeit nur unzureichend beachtet, was auch in diesem Zusammenhang zu beklagen ist. Früher lernte jeder Student der Geschichte schon im Proseminar, dass Geschichte sine ira et studio, also unparteiisch zu betreiben sei. Aber der Ausstellungsdirektor ist von Haus aus kein Historiker, sondern Architekt und hat an der TU- München Geschichte der Architektur gelehrt. Der Posten des Gründungsdirektors hätte mit einer Persönlichkeit besetzt werden müssen, die das Handwerk der politischen und kirchlichen Geschichtswissenschaft gelernt hat.


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