München, Hauptstadt der 'Bewegung' und Hauptstadt des Widerstandes

26. August 2015 in Chronik


Das neue NS-Dokumentationszentrum in München will Entstehungsgeschichte und Wirkungsweise des Nationalsozialismus dokumentieren. Doch zeigt sich dabei eine antikatholische Tendenz. Gastbeitrag von Dr. Eduard Werner


München (kath.net/Blog Forum Deutscher Katholiken) Während des Zweiten Weltkriegs und auch in den Jahren danach wusste jeder, dass die katholische Kirche ein bedeutendes Opfer der nationalsozialistischen Christenverfolgung war. Heute ist es anders. Heute wird von verschiedenen Seiten der Kirche vorgeworfen, sie hätte kaum Widerstand geleistet. Wer diesen Vorwurf dennoch erhebt, muss sich fragen lassen, warum er die einschlägigen Veröffentlichungen und Dokumentationen nicht gelesen hat, bevor er sich zu Wort meldet. Auch wer behauptet, die katholische Kirche hätte mehr Widerstand leisten sollen, muss sich fragen lassen, ob er denn nicht weiß, dass die Nationalsozialisten in Deutschland und in den besetzten Ländern 4000 katholische Priester ermordet haben – hätten es denn noch mehr sein sollen?

Um dieser unwissenschaftlichen Propaganda entgegenzuwirken, bringen wir hier in Fortsetzungen eine Stellungnahme des Historikers Dr. Eduard Werner, der zunächst für das international renommierte Münchner “Institut für Zeitgeschichte” und dann bis zu seiner Pensionierung für das Goethe-Institut arbeitete und sich den größten Teil seines Lebens mit den Fakten zur Geschichte der Kirche in Nationalsozialismus befaßt hat. In unserer Monatszeitschrift “Der Fels” veröffentlicht er seit Jahren Kurzbiografien zum Martyrologium katholischer Persönlichkeiten in der NS-Zeit. Dort erscheint auch die folgende Untersuchung.

Auslöser für die hier in Fortsetzungen gebrachte Untersuchung war ein unglaublicher Vorfall in München. Zu unserem Erstaunen hat weder die Deutsche Bischofskonferenz noch das Erzbistum München und Freising Protest erhoben und Widerspruch eingelegt.

I.Teil:

Das neue NS-Dokumentationszentrum am Königsplatz in München will die Entstehungsgeschichte und Wirkungsweise des Nationalsozialismus dokumentieren. Dabei geht es jedoch sehr einseitig vor, so dass es seiner Aufgabe nicht gerecht wird. Schon in seiner Eröffnungsrede zeigte der Gründungsdirektor Dr. Nerdinger die antikatholische Tendenz seiner Unternehmung. Er sagte, es gäbe neben der geographischen Nähe auch eine geistige Nähe des damaligen Ungeistes. In der Nähe des Braunen Hauses, wo die NS-Ideologie ausgebrütet wurde, sei auch die Gestapo-Zentrale im Wittelsbacher Palais gewesen. Und 100 Meter weiter sei das Evangelische Landeskirchenamt, wo Landesbischof Meiser seine Pfarrer mit dem Hitlergruß begrüßte. „Und hier gegenüber dem Braunen Haus das Schwarze Haus, die Nuntiatur, wo schon 1933 das schändliche Konkordat angedacht wurde.“ – Damit unterstellte er der päpstlichen Nuntiatur zu Unrecht eine Komplizenschaft mit dem Hitler-Regime. In Wahrheit war das Konkordat aber keineswegs schändlich, sondern der verzweifelte Versuch des Vatikans, in der NS-Diktatur eine rechtliche Grundlage für die Seelsorge zu schaffen. Das Motiv der Kirche für den Abschluss des Konkordats war nämlich nicht Sympathie für das Regime, sondern Angst vor dem Regime. Geschah diese Äußerung Dr. Nerdingers aus Unkenntnis oder aus böser Absicht? Weiß denn der Gründungsdirektor nicht, dass das Bundesverfassungsgericht am 26. März 1957 die Fortgeltung dieses Konkordats und die grundsätzliche Bindung der Bundesrepublik Deutschland an dieses Konkordat anerkannt hat? Oder glaubt er, dass das Bundesverfassungsgericht einen schändlichen Vertrag gebilligt hat? Angedacht wurde es auch nicht erst 1933, wie der Gründungsdirektor sagte, sondern schon zehn Jahre früher. Als es abgeschlossen wurde, spielte die Münchner Nuntiatur keine große Rolle mehr.

Dieses Konkordat hat immerhin bewirkt, dass die katholischen Pfarrer, soweit sie in der Seelsorge eingesetzt waren, vom Kriegsdienst befreit wurden. Auch zum Eintritt in die NSDAP konnten sie nicht gedrängt werden, weil Priestern eine Partei-Mitgliedschaft verboten war. Vor allem die Tatsache, dass Hitler die Ausdehnung des Konkordats auf das Sudetenland und auf Österreich ablehnte, zeigt doch, dass er das Konkordat auch als Fessel betrachtete. Der letzte noch lebende Priester aus dem KZ Dachau, Prälat Hermann Scheipers, sagte auf meine Frage nach seinem Urteil über das Konkordat: „Ohne Konkordat hätte die Verfolgung der Priester sicher noch früher begonnen. In manchen Fällen wurde doch auf das Konkordat Rücksicht genommen.“ Das Konkordat war jedenfalls nicht schändlich. Die Nuntiatur in die geistige Nähe des Braunen Hauses und der Gestapo-Zentrale zu rücken, verrät Unkenntnis oder Böswilligkeit.

Was wurde in diesem Haus der Nuntiatur wirklich angedacht?

1. Dort hat der päpstliche Botschafter während des 1. Weltkriegs von diesem Haus aus für die Friedensinitiative von Papst Benedikt XV. geworben. Leider ist er damit bei der deutschen Reichsregierung auf taube Ohren gestoßen. Wieviel Leid hätte vermieden werden können, wenn Deutschland auf seine Friedensvorschläge eingegangen wäre und mit dem päpstlichen Nuntius zusammen die Friedensbereitschaft Großbritanniens und Frankreichs ausgelotet hätte.

2. Auch der päpstliche Versuch, den Genozid an den Armeniern zu verhindern oder wenigstens abzukürzen, wurde in dieser Nuntiatur in der Brienner Straße nachhaltig unterstützt. Auch in diesem Punkte stieß der Nuntius bei der deutschen Regierung auf taube Ohren.

3. Nachdem im Mai 1917 Eugenio Pacelli Nuntius geworden war, kam auch der jüdische Journalist Nachum Sokolow, Führungsmitglied des Zionistischen Weltkongresses, in dieses Haus, um beim Nuntius Pacelli Rat zu suchen für eine mögliche Gründung eines Judenstaates.

4. Da sich die Juden in Jerusalem während des Ersten Weltkrieges von den Türken bedroht fühlten, wurde Nuntius Pacelli auch beauftragt, die deutsche Reichsregierung zu bitten, sie möge auf ihren türkischen Bündnispartner mäßigend einwirken. In dieser Nuntiatur wurde also ständig gerungen um Menschen in Leid, während in den „Nachbarhäusern“, dem Braunen Haus und im Wittelsbacher Palais, diabolische Gedanken ausgeheckt wurden, um Menschen zu quälen. Die Nuntiatur, die der Gründungsdirektor Dr. Nerdinger verächtlich das „Schwarze Haus“ nennt, war eher ein Lichtpunkt, ein Haus der Hoffnung. Das neue NS-Dokumentationszentrum steht jetzt auf dem Boden des Braunen Hauses. Offenbar ist dort der Ungeist der Lüge noch nicht ganz erloschen. Jedenfalls wird das NS-Dokumentationszentrum dem selbst gesetzten Anspruch „zu dokumentieren“ ersichtlich nicht gerecht.

München – die Hauptstadt des Widerstandes

Eine bedeutende Rolle spielte die Nuntiatur in der Brienner Straße in der Berichterstattung an den Vatikan, d.h. in der Entlarvung und frühzeitigen kirchlichen Verurteilung des Nationalsozialismus. Der Hausherr der Nuntiatur, Nuntius Eugenio Pacelli, kennzeichnete bereits 1924 den Nationalsozialismus als „die vielleicht größte und gefährlichste Häresie unserer Zeit“. Sicher berichtete er dies auch nach Rom, so dass Papst Pius XI. bereits am 25. März 1928 den Antisemitismus und damit den NS insgesamt verurteilen konnte. Woher hätte der Papst diese Spezialkenntnisse in deutscher Politik haben können, wenn nicht von seinem Botschafter in der Nuntiatur in der Brienner Straße in München? Das Heilige Offizium (Glaubenskongregation) in Rom erklärte u.a. „Da der Papst allen Neid und alle Eifersucht zwischen den Völkern verurteilt, so verdammt er auch aufs schärfte den Hass gegen das einst von Gott auserwählte Volk, jenen Hass nämlich, den man heute allgemein mit dem Namen Àntisemitismus zu bezeichnen pflegt.“ Doch bei dieser Verurteilung blieb es nicht. Der Vatikan setzte auch das ideologische Hauptwerk der Nationalsozialisten, Alfred Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“ schon am 7. Februar 1934 auf den „Index der für Katholiken verbotenen Bücher“. Dieses ideologische Machwerk, das im Dienste des NS sowohl eine völlig unwissenschaftliche Germanen-Romantik wie auch eine antikatholische Stimmung zu verbreiten versuchte, war damit – ausgehend von der Nuntiatur in der Briennerstraße – als übles Machwerk weltweit entlarvt und verurteilt. Dieses Buch, das vom Braunen Haus sehr gefördert wurde, hatte damit seinen geistigen Gegenpol ebenfalls in der Briennerstraße. Es gab also in Wahrheit keine geistige Nachbarschaft, sondern den ersten Gegenpol zum Braunen Haus! Das ist die Wahrheit! Das Verbot für Katholiken, das ideologische Hauptwerk der Nazis zu lesen, führte natürlich dazu, dass sich deutsche Theologieprofessoren mit diesem Elaborat beschäftigten. Sie kamen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass die nationalsozialistische Weltanschauung vom katholischen Standpunkt aus entschieden abzulehnen sei. Ihre Stellungnahmen wurden 1935 in den Amtsblättern der Diözese Münster und in der Erzdiözese Köln veröffentlicht. Damit war die nationalsozialistische Rassenlehre, auf der der Antisemitismus fußte, kirchenamtlich verurteilt. Und das soll kein Widerstand gewesen sein? Schon 1932 hatte die Deutsche Bischofskonferenz erklärt, dass eine Mitgliedschaft von Katholiken in der NSDAP mit dem Glauben nicht vereinbar sei. Nach der taktischen Annäherung Hitlers im März 1933 hat die Bischofskonferenz zwar die Hoffnung ausgedrückt, dass sie künftig diese Verbote und Befürchtungen gegen die NS-Regierung nicht mehr hegen müsse. Das war jedoch keine grundsätzliche Rücknahme früherer Verbote und Befürchtungen. Aber mit den kirchenamtlichen Erklärungen von 1935 in den Amtsblättern von Münster und Köln waren sie wieder aufgelebt. Folglich wurden 1935 auch die ersten Priester verhaftet. Der Jesuitenpater Josef Spieker sprach bei Großveranstaltungen in Köln und in Berlin vor Tausenden von Zuhörern gegen die nationalsozialistische Weltanschauung und vor allem gegen die so genannte Rassenlehre. Auf eine Anklage hin wurde er vor Gericht freigesprochen. Trotzdem wurde er von der Gestapo verhaftet und schon 1935 in das KZ Börgermoor gebracht. Er war der erste Jesuit im KZ Börgermoor. Die Zahl der europaweit ermordeten Priester während der NS-Zeit beträgt etwa 4000. Hitler ließ diese Priester ermorden, weil sie ihm im Weg standen, weil sie gegen ihn gesprochen haben. Kennt der Gründungsdirektor diese Sachlage nicht oder handelt es sich um eine böswillige Ausblendung von historischen Tatsachen? (W. Corsten. Kölner Akten Nr. 24). Wer sonst hat damals in vergleichbarer Weise vor dem Nationalsozialismus gewarnt und ihn gleichzeitig verurteilt? Das hat vor allem die katholische Kirche getan. Die Nationalsozialisten selbst haben diesen Standpunkt der Kirche sehr wohl registriert. Der „Völkische Beobachter,“ das offizielle Parteiorgan der NSDAP, schrieb am 1. August 1938 triumphierend und zugleich die Kirche anklagend: „Der Vatikan hat die Rassenlehre von Anfang an abgelehnt. Teils deshalb, weil sie vom deutschen Nationalsozialismus zum ersten Mal öffentlich verkündet wurde und weil dieser die ersten Schlussfolgerungen aus der Erkenntnis gezogen hat; denn zum Nationalsozialismus stand der Vatikan in politischer Kampfstellung. Der Vatikan musste die Rassenlehre aber auch ablehnen, weil sie seinem Dogma von der Gleichheit aller Menschen widerspricht, das wiederum eine Folge des katholischen Universalanspruchs ist und das er mit den Juden und Kommunisten teilt.“ Auch auf der Gegenseite wurde also der Widerstand der katholischen Kirche zweifelsfrei bezeugt. Dieser Aspekt wäre es wert gewesen, in der Ausstellung dargestellt zu werden. In München ließ die Regierung am 9. November 1923 auf Hitler und seine Anhänger schießen, wobei 16 seiner Anhänger fielen. In München wurden auch noch mindestens zusätzlich drei Attentate auf Hitler geplant und zwar ein Attentat durch Georg Elser am 9.November 1939. Vorausgegangen waren zwei weitere Attentatsversuche 1938 durch Aleksander Foote und durch Maurice Bavaud. Die Tatsache, dass alle 42 Attentate auf Hitler fehlgeschlagen sind, erklärt der Diktator selbst mit einer höheren Macht. Als er auf der Rückfahrt am 9. November 1939 von München nach Berlin im Zug von dem Attentat mit vielen Toten und Schwerverletzten erfuhr, sagte er nach einem kurzen Erschrecken: „Jetzt bin ich ganz ruhig. Dass ich den Bürgerbräukeller früher als sonst verlassen habe, ist eine Bestätigung dafür, dass die Vorsehung mich mein Ziel erreichen lassen will.“ In der oft zitierten Vorsehung sah Hitler eine außerirdische Macht, die mancher seiner Gegner als Satan bezeichnete. Hauptmann Hosenfeld und Generalmajor Stieff sprachen beide in Bezug auf Hitler vom „Satan in Menschengestalt“.

Die katholische Kirche hat nicht nur die geistigen Grundlagen für den Widerstand gelegt. Sie hat auch praktisch geholfen, beispielsweise beim Verstecken und Versorgen von Juden, sie hat protestiert gegen die Vernichtung von psychisch und körperlich kranken Menschen in der so genannten Euthanasie. Und mancher Priester kam ins Gefängnis Landsberg oder in ein KZ, weil er als Beichtpriester den Standpunkt der Kirche vertreten hat. Ein Beispiel hierfür ist Kaplan Wehrle in München. Der Widerstand der Kirche war überall spürbar. Es war überwiegend ein geistiger Widerstand, der ein sinnloses Blutbad zu vermeiden suchte. Es ist unredlich, uninformierten Jugendlichen, die in einer freien Demokratie aufgewachsen sind, vorzugaukeln, man hätte im Hitler-Regime ebenso gefahrlos protestieren können, wie heute in der Bundesrepublik. Jedenfalls ist die Behauptung, die Kirchen hätten den Widerstand nicht unterstützt, falsch.

In der Fortsetzung wird folgen: Weitere Belegung des Widerstandes in München.

Film über Hl. Maximilian Kolbe



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