Gruselkino Flüchtlingsdrama

21. Juli 2015 in Kommentar


Wenn erst die Mordbrenner in unserem Land die Flüchtlingspolitik bestimmen, dann haben wir als Menschen und als Christen vollends verloren. Gastbeitrag von Peter Winnemöller


Berlin (kath.net/Blog katholon) Brandstiftung gegen ein Flüchtlingsheim. Mordbrenner, die Häuser anstecken und Menschen darin verbrennen lassen, das gehört mit zu den widerwärtigsten Dingen, die man sich vorstellen kann. Doch es muss gar nicht zu Brand und Mord kommen, die geistige Brandstiftung reicht schon völlig aus. Unvernunft, abstoßender Fremdenhass und ein irrationales Gutmenschentum bilden das Dreieick, in dem sich die dramatische Inszenierung des Flüchtlingsdramas unserer Tage abspielt.

In Afrika und im Nahen Osten werden die Verhältnisse für viele Menschen einfach unerträglich. Wenn Leib und Leben in Gefahr sind, wenn die wirtschaftliche Existenz dauerhaft so gefährdet ist, dass das Überleben bedroht ist, wenn Verfolgung droht, Krieg das Land verwüstet, dann packt der Mensch seine Habe und sucht einen anderen Ort, wo – so die Hoffnung – ein Leben möglich ist. Das war schon zu allen Zeiten so.

In Europa leben wir in einer der reichsten und politisch stabilsten Regionen der Welt. Zugleich nimmt die Zahl der Europäer stetig ab. Damit nimmt allerdings auch etwas anderes ab. Demographischer Wandel ist das beschönigende Wort, das die bevorstehende Katastrophe beschreibt. Nicht einfach ein Volk oder mehrere Völker sterben aus. Es ist ein schleichender und quälender Prozess, der mit sozialem, wirtschaftlichem und nicht zuletzt mit ethischem Abstieg zu tun hat. Entsolidarisierung und Verteilungskampf zwischen den Generationen sind im Grunde nur die Vorboten des gesellschaftlichen Niedergangs. In Europa muss niemand mehr eine Dystopie schreiben, die Dystopien der Wirklichkeit werfen längst ihre Schatten voraus.

In diese Situation drängen jetzt die Flüchtlinge aus Afrika und dem Nahen Osten. Es ist die große Stunde der Schlepperbanden, die zu horrenden Preisen Menschen aus den Krisenregionen übers Mittelmeer nach Europa bringen. In ein Europa, das sich zunehmend menschlich entleert. In ein Europa, das blindlings in diese Katastrophe hinein gelaufen ist. In ein Europa, das sich zunehmend durch Flüchtlinge überfordert zeigt. Das gilt im Kleinen, wo Demonstrationen vor oder Gewalt gegen Flüchtlingsunterkünfte beinahe täglich in den Nachrichten stehen, wo dumpfe Feindseligkeit sich Bahn bricht und von interessierten Kreisen geschürt wird. Das gilt aber auch im mittleren oder großen Bereich der Politik. Da streiten Länder und Kommunen um Kontingente (es wird einem übel, denn es geht um Menschen) und da streitet man um die Kosten.

Und sind die Menschen erst einmal da, dann bewahrt man sie möglichst nur auf und versorgt sie mit dem Nötigsten. Selbst das klappt nicht immer. Wo ist eigentlich der geniale deutsche Organisationsgeist geblieben? Chaos regiert zuweilen, Hilflosigkeit und Überforderung sind die Folge. Schöne Helfer sind das. Man wundert sich dann, wenn Flüchtlinge zuweilen aus Not kriminell werden und sofort ist sie wieder da, die widerwärtige Ablehnung der Menschen aus der Fremde. Schaut da mal jemand genauer hin und trennt die Spreu vom Weizen? Eher nicht.

Das Drama hat noch eine andere Dimension, die kaum einmal benannt wird. Das klügste, was dazu zu lesen war, kam von Kardinal Turkson, der in einen Interview mit der FAZ deutlich gesagt hat, dass Afrika durch die Flüchtlingswelle ausblute. Zudem wies der Kardinal darauf hin, dass die Menschen in Afrika kaum realistische Informationen über die Belastungen und Gefahren haben, die mit einer Flucht auf sie zu kommen. „Die wirkliche Geschichte ihrer Wanderschaft wird daheim nie erzählt; über die Erniedrigung und die Schmerzen wird geschwiegen.“ In Afrika müssten realistische Informationen über die Gefahren der Flucht und die Situation in Europa verbreitet werden, sagte der Kardinal der FAZ.

Das alles zusammen genommen, das Versagen Europas vor der Massenmigration, die Zustände in Afrika und dem Nahen Osten, das Versagen der Staatengemeinschaft gegenüber Terror, Krieg, Hunger, Armut und Katastrophen bildet ein extrem explosives Gemisch. Die Explosionen suchen die Herkunftsländer der Flüchtlinge zuerst heim und schwappen dann auf die Aufnehmerländer. Man könnte von einem globalen Versagen sprechen.

Völlig zu Recht verweist Kardinal Marx darauf, dass wir in Europa eine Kultur der Aufnahme und Solidarität benötigen, wie sie auch der Papst immer wieder anmahnt. Die Kirche steht schon immer an der Seite der Verfolgten, Entrechteten und Bedrohten. Das ist ihre Aufgabe, denn es ist ein Akt der Nächstenliebe und ergibt sich als klarer Auftrag aus den leiblichen Werken der Barmherzigkeit (Hungrige speisen, Obdachlose beherbergen, Nackte bekleiden, Kranke besuchen, Gefangene besuchen, Tote begraben, Almosen geben). Ebenso ist es die Aufgabe der Kirche, auf die Missstände in der gesamten Breite hinzuweisen. Kardinal Turkson steht nicht isoliert mit seiner Meinung. Man muss, wenn das mal so sagen darf, die Kardinäle Marx und Turkson gemeinsam hören, will man der Situation gerecht werden.

Was vor allem in Europa fehlt, ist eine geistige und auch politische Klarheit über die Ziele. Man kann über Migration sprechen. Es ist eine Option, dem demografischen Wandel durch Einwanderung begegnen zu wollen. Es ist allerdings keine Option, die Konsequenzen nicht im Blick zu haben und keine Ziele zu formulieren. Was wollen wir von den Einwanderern? Was wollen die Einwanderer von uns? Niemand spricht ein klares Wort dazu. So nimmt der Kerngedanke, man könnte von einer Kerngefahr sprechen, des Romans „Das Heerlager der Heiligen“ von Jean Raspail in nur allzu grotesker Form langsam Realität an. Europa, das große starke alte Europa zeigt sich völlig überfordert.

Wer die Krisen Afrikas und des Nahen Ostens nicht in unsere Länder tragen will, sollte sich bemühen, Optionen für diese Länder zu entwickeln. Optionen, die Migration zu einer Möglichkeit machen, die nicht aus Hunger, Krieg und Terror geboren wird, sondern eine echte Freizügigkeit inklusive der notwendigen integrativen Maßnahmen macht. Da muss in langfristigen Perspektiven gedacht werden. Das ist eine Aufgabe der Politik. Das kann man nicht von heute auf morgen erreichen. Da gilt es langfristige, aber nichts desto weniger sehr klare Ziele zu formulieren.

In der gegenwärtigen Not allerdings heißt es, die Türen zu öffnen und den Menschen Sicherheit und Schutz zu bieten. Wenn wir dazu nicht mehr in der Lage sind, wäre das eine Schande. Wenn erst die Mordbrenner in unserem Land die Flüchtlingspolitik bestimmen, dann haben wir als Menschen und als Christen vollends verloren. Mitleid und Ratio schließen sich in der Flüchtlingsfrage nicht aus. Im Gegenteil, sie bedingen einander, will man wirkliche Lösungen. Derzeit wird allerdings eher der Eindruck erweckt, sie stünden in Konkurrenz zueinander. Ein fataler Fehler.

Foto Peter Winnemöller


Foto Peter Winnemöller (c) kath.net/Michael Hesemann


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