Gertrud von le Fort - zu Unrecht vergessen

7. Juli 2015 in Chronik


Manche Schriftsteller müssen immer wieder neu entdeckt werden, und dann liegt die Betonung ganz eindeutig auf dem Wort müssen. Eine solche ist Gertrud von le Fort. Gastbeitrag von Heike Sander


München (kath.net/Heikes Blog) Bei manchen heutigen Schriftstellern wünscht man sich ja, es möge nicht allzu lange dauern, bis ihre "Werke" in Vergessenheit geraten. Andere Schriftsteller wiederum müssen immer wieder neu entdeckt werden, und dann liegt die Betonung ganz eindeutig auf dem Wort müssen. Eine solche ist Gertrud von le Fort (Foto).

Irgendwie stolpere ich alle paar Jahre über eines ihrer Bücher. Auf einem Flohmarkt. In einer Bücherkiste. Im Antiquariat. In meinem Buchregal finden sich daher ihre Werke nur aus 2. oder 3. Hand; zerlesen, geknickt, verfärbt. Bücher, die Charakter haben. So wie die Verfasserin.

Bis zu ihrem Tod 1971 war Gertrud von le Fort eine bekannte Autorin, mit Preisen überhäuft, ihre Bücher berühmt, eines sogar die Vorlage zu einer bis heute aufgeführten Oper. Doch inzwischen scheint sie nur noch einigen "Insidern" bekannt zu sein.

Einen kurzen Abriss ihrer Vita findet man hier auf der Seite der Gertrud-von-le-Fort-Gesellschaft , ebenso viele weitere Informationen. Wer interessiert ist, mag sich dort umschauen, denn eine Biografie wollte ich hier nicht verfassen; das können andere besser. Stattdessen möchte ich ein wenig über das letzte Buch schreiben, das mir vor wenigen Wochen in einem kleinen Antiquariat vor die Nase hüpfte. Es heißt: Der Papst aus dem Ghetto.

Man muss dieses Buch dreimal lesen. Natürlich nicht wirklich dreimal hintereinander, sondern auf drei Verstandesebenen.

Vielleicht liegt hier einer der Gründe, weshalb ihre Bücher heute nur noch wenig bekannt sind: Sie lassen sich nicht wie ein Dan Brown ohne großes Mitdenken oder eigenes Hintergrundwissen einfach mal so "herunterreißen". Gertrud von le Fort stellt an ihre Leser den Anspruch, verstehen zu wollen, sie zu interpretieren.

Ihre Geschichte über den Papst aus dem Ghetto spielt im Hochmittelalter, aber das sagt sie uns nicht einfach so. Der Leser muss diese Schlussfolgerung selber ziehen, anhand im Buch erwähnter Persönlichkeiten und geschichtlicher Ereignisse. Wer diese nicht sofort in der Geschichte verankern kann, der muss sich halt informieren. Das ist heutzutage viel verlangt.

Die Tatsache, dass ein Kind blind ist, stellt sie nicht einfach mit diesen Worten für uns fest, sondern sie lässt uns mit kleinen Andeutungen und feinen Wendungen selbst diesen Schluss ziehen.

Und auch der "weiße Wald" aus Stein, mit seinen teils umgestürzten "Bäumen", als Metapher für die marmornen Überbleibsel des antiken Roms, braucht schon die "Anstrengung" des Mitdenkens.

Sie erzählt uns die Geschichte der römisch-jüdischen Familie Pierleoni, aus der Anaklet II. hervorging, als Gegenpapst zu Papst Innozenz II.

Sie schreibt diese Geschichte auf wie einen Bericht, den sie aus den verschiedensten Quellen zusammengetragen hat, so dass alle Absätze überschrieben sind mit "Quellenangaben" wie
- "Aus den Büchern unserer goldenen Stadt Roma"
- "Die Juden von Roma erzählen"
- "Aus den Aufzeichnungen des Kardinal-Bischofs...."
oder eben einfach mit:
- Es wird berichtet

Ja, die Geschichte der Familie Pierleoni, sowie die vielen kleinen und großen Ereignisse, die letztlich zur Wahl des Gegenpapstes führten - sie sind die erste Lesart.

Anschließend lese ich die Erzählung durch die Augen Gertrud von le Forts und der Zeit, in der sie "Der Papst aus dem Ghetto" verfasst hat. Wer das in sein Lesen einbezieht, wird die - sicherlich gewollten - Andeutungen an den 1930 schon in vollem Gange befindlichen Rassenwahn der Nazizeit erkennen: Der gesteuerte Judenhass ebenso wie die Glorifizierung der "Herrenrasse", blond und blauäugig, sowie einer auf alte nordische Helden- und Göttersagen rückbezogene Geschichtsschreibung. Wenn von le Fort von den jungen Sprösslingen der Familie Frangipani erzählt, blonden "Jünglingen", die sich als die einzig wahren Römer erkennen, und davon, wie diese sich mit Gleichgesinnten nachts in den Ruinen des antiken Roms treffen, um sich im Licht ihrer Fackeln zu grüßen, die Hand weit vorgestreckt ("so haben einander unsere heidnischen Väter gegrüßt", schreibt sie), dann ist es nicht schwer, sich vorzustellen, welche anderen Szenen die Autorin hier im Sinn gehabt haben muss.

Sie muss es nicht aussprechen - es genügen ihre feine Wortwahl und geschickte Andeutungen, um bei den Schilderungen der Charaktere und Entwicklungen die Abneigung von le Forts zu erkennen, vor dem Überlegenheitsgefühl und dem Machtanspruch einer sogenannten "Herrenrasse" - seien sie nun gegründet auf Herkunft, Rasse oder Religion. Und diese Abneigung - es ist mir sehr wichtig, das ganz klar zu sagen - begründet sich einzig in ihrem zutiefst christlichen Blick auf JEDEN Menschen.

Die dritte Lesart aber hat für mich die größte Tiefe und Faszination. Hier finden wir das allgemeingültig Menschliche, einen faszinierenden Einblick in den menschlichen Charakter, seine Beweggründe, seine Tiefen und Untiefen; oder sagen wir einfach: Wir finden uns selbst.

Da ist die Frau, die ihre Augen so lange vor der Wahrheit verschließt, bis sie von ihr (z)erschlagen wird.

Da ist der "Freund", der sein Fähnchen stets nach Geld und Einfluss ausrichten wird.

Da ist das Volk, von dem sie schreibt "alle schrien nach einem Papst, der ihnen selbst genehm war", und ich denke an unseren heutigen Papst und seine Vorgänger, und ich lächle.

Da ist der Mann, der das Gute will, aber der sich die Wahrheiten auf dem Weg dorthin so genehm zurechtlügt, dass er nur das Schlechte zustande bringt.

Da ist der Aufsteiger, der um Ansehen und Macht die eigenen Leute verleugnet hat und sich erst am eigenen Ende wiederfindet.

Die überheblichen Schwärmer des "früher war alles besser", die vergangene Zeiten als golden heraufbeschwören.

Die wenigen wahren Christen ("wahr", weil sie ihr Christentum in wirklicher Demut und Liebe leben), deren Stimme im martialischen Weltgeschrei wieder und wieder ungehört bleibt.

Sie ist eine feine Menschenkennerin gewesen, diese Gertrud von le Fort. Und nie hat sie geurteilt - nur beobachtet und verstanden.

Mehr mag ich nicht erzählen. Lest selbst.

Eine vollständige Übersicht ihrer Werke findet sich auch unter der oben verlinkten Seite, und zur heutigen Zeit ist nicht mehr schwer, das eine oder andere Buch in Online-Antiquariaten aufzutreiben (nachdem man beim Buchhändler vor Ort nachgefragt hat, versteht sich).

Zum Schluss nur die Bücher aufzählen, die ich bisher selber von ihr gelesen habe und die ich ausnahmslos empfehlen kann:

- Die Letzte am Schafott
- Das Schweißtuch der Veronika
- Der Papst aus dem Ghetto
- Weihnachten
- Unsere Liebe Frau vom Karneval

kath.net-Lesetipp
Gertrud von le Fort - Lesebuch
Ausgewählte Erzählungen. Einleitung und Kommentar
Von Gertrud von Le Fort
Taschenbuch
283 Seiten
2012 Echter
ISBN 978-3-429-03498-6
Preis 20.40 EUR

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