Bosbach: Lebensschützer sollen sich 'erhobenen Hauptes' engagieren!

24. Juni 2015 in Interview


Wolfgang Bosbach, Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses, im kath.net-Interview über brisante Themen wie Abtreibung und Lebensschutz, Homo-„Ehe“, Betreuungsgeld, Sterbehilfe und die „Toleranz“ von Links-Alternativen. Von Petra Lorleberg


Berlin (kath.net/pl) „Die Zahl von über 100.000 registrierten Abtreibungen pro Jahr ist – nach wie vor – erschreckend hoch, umso überraschender ist es, dass es eine gesellschaftliche Debatte hierüber nur noch am Rande gibt.“ Dies stellt Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, im kath.net-Interview fest.

kath.net: Herr Bosbach, die Art, wie Sie mit Ihrer Krankheit leben, beeindruckt viele Menschen. Sie sind darin durchaus Vorbild, auch in der Art, wie Sie für die Würde des menschlichen Lebens einstehen. In letzter Zeit haben Sie sich des Themas Sterbehilfe angenommen. Was sagen Sie: Sollen wir unseren Ärztinnen und Ärzten die Lizenz zum Töten geben?

Wolfgang Bosbach: Aus guten Gründen ist in Deutschland „aktive Sterbehilfe“ gem. § 216 StGB strikt verboten. Das Gebot „Du sollst nicht töten“ gilt uneingeschränkt, also selbstverständlich auch für Ärztinnen und Ärzte. Ihre vornehmste Aufgabe ist es, Kranken zu helfen, Schmerzen zu lindern, nicht Leben zu beenden – selbst wenn dies Patienten von ihrem Arzt verlangen. Eine große Mehrheit der Ärzteschaft hält dies auch für richtig, auch wenn es „nur“ darum geht, Patientinnen und Patienten dabei zu helfen, sich selbst zu töten – und die Anführungszeichen wurden hier ganz bewusst gesetzt.

kath.net: Der Sterbehilfe-Gesetzentwurf, der von Michael Brand und Kerstin Griese vorgestellt wurde, sieht vor, dass gewerbsmäßige Beihilfe zum Suizid in Deutschland verboten sein soll. Würde dies auch nicht gewerbsmäßige Organisationen wie etwa „Exit“ verunmöglichen?

Bosbach: Der Entwurf von Michael Brand und Kerstin Griese stellt – anders als der Entwurf aus der vergangenen Wahlperiode des Deutschen Bundestages – nicht die „gewerbsmäßige“ Beihilfe zum Suizid in Deutschland unter Strafe, sondern die „geschäftsmäßige“ Beihilfe – ein großer Unterschied.

Bei dieser Formulierung setzt eine Strafbarkeit nicht voraus, dass bei dem Täter oder bei der Organisation eine Erwerbs- oder Gewinnerzielungsabsicht vorliegt, es genügt, dass die Täter oder die Vereine die Wiederholung gleichartiger Taten zum Gegenstand ihrer Beschäftigung machen, also eine planmäßige Betätigung in Form eines regelmäßigen Angebotes erfolgen soll.

Organisationen wie „Exit“ würden unter diese Regelung fallen, sofern es hierfür eine Mehrheit im Deutschen Bundestag zur notwendigen Änderung des Strafgesetzbuches gibt.

kath.net: Man hört Stimmen, die – zustimmend oder ablehnend – auf den Zusammenhang zwischen der schwierigen demografischen Entwicklung und den stärker werdenden Forderungen nach Sterbehilfe hinweisen. Wie ordnen Sie das ein?

Bosbach: Einen Zusammenhang zwischen der demographischen Entwicklung unseres Landes und der anhaltenden Diskussion über aktive und/oder passive Sterbehilfe sollte man aus guten Gründen nicht herstellen, denn die Bedeutung des ebenso wichtigen wie sensiblen Themas „Sterbehilfe“ muss völlig unabhängig von der demographischen Entwicklung unseres Landes diskutiert werden.

kath.net: Befürchten Sie, dass sich bei Weiterführung der gegenwärtigen Entwicklungen für Schwerkranke oder Alte auch in Deutschland ein Druckszenario in Richtung Tod aufbauen könnte? Falls ja: Wie würden Sie dies beurteilen?

Bosbach: Ja, diese Befürchtung wird häufig geäußert und ich halte sie – leider – auch nicht für völlig grundlos.

Gerade deshalb sollten wir in der parlamentarischen und öffentlichen Debatte schon den Eindruck vermeiden, als ginge es darum, neben der palliativmedizinischen Behandlung oder stationärer oder ambulanter Hospizarbeit „Sterbehilfe“ als eine Art reguläre Behandlungsalternative anzubieten.

Der Satz „Wir sollten an der Hand eines Menschen sterben, nicht durch dessen Hand“ ist ebenso kurz und einprägsam wie überzeugend.

kath.net: Die Fakten sind klar: Immer weniger junge Menschen müssen für immer mehr alte Menschen sorgen.

Bosbach: Ich hoffe doch sehr, dass niemand ernsthaft die Ansicht vertritt, dass wir aufgrund der demographischen Entwicklung unseres Landes dringend aktive Sterbehilfe – also Tötung auf Verlangen – straffrei stellen sollten.

Schon der Begriff „Überalterung“ ist ziemlich schräg, denn es gibt in unserem Lande nicht zu viele alte Menschen, sondern zu wenig Kinder.

Richtigerweise müsste man daher von einer „Unterjüngung“ der Bevölkerung sprechen. Deutschland ist sicherlich kein kinderfeindliches Land, aber wir sind ein kinderarmes Land und wir sollten öfter über das Thema „Ja zu Kindern“ sprechen als über das Thema aktive Sterbehilfe.

kath.net: Vom Ende des Lebens zum Anfang: Inwieweit entspricht die gegenwärtige Abtreibungspraxis den eigentlichen Intentionen des Gesetzgebers?

Bosbach: Eigentlich müssten die Befürworter des geltenden Rechtes darüber enttäuscht sein, dass sich die damaligen Erwartungen des Gesetzgebers bis heute nicht erfüllt haben.

Wir haben seit etwa 20 Jahren eine Fristenlösung mit Beratungszwang und der Gesetzgeber ging damals davon aus, dass das ungeborene Leben durch die Beratung besser geschützt würde, als dies nach alter Rechtslage der Fall war.

Es ist zwar richtig, dass die Zahl der registrierten Abtreibungen seit Mitte der 90ger Jahre leicht zurückgegangen ist, dies gilt allerdings auch für die Zahl der Geburten beziehungsweise der Schwangerschaften.

Die Zahl von über 100.000 registrierten Abtreibungen pro Jahr ist – nach wie vor – erschreckend hoch, umso überraschender ist es, dass es eine gesellschaftliche Debatte hierüber nur noch am Rande gibt.

kath.net: Wird Ihrer Einschätzung nach in den derzeitigen Diskussionen und Mediendarstellungen ausreichend berücksichtig, dass es in der Abtreibungsfrage nicht ausschließlich um Freiheitsrechte der Frau und noch weniger um ihre Verfügbarkeit für die Wirtschaft gehen sollte, sondern auch um das Lebensrecht es ungeborenen Kindes? Könnte man den ökologischen Gedanken der „Nachhaltigkeit“ eigentlich auch auf diesen Themenbereich anwenden?

Bosbach: Welche Diskussionen und Mediendarstellungen meinen Sie? Als ich mich zum ersten Mal politisch engagiert habe, also Mitte der 70ger Jahre, da gab es noch leidenschaftliche gesellschaftliche und parlamentarische Debatten zum Thema § 218 StGB. Seit Verabschiedung der neuen Rechtslage hat dieses Thema – wenn überhaupt – allenfalls noch am Rande öffentliche Beachtung gefunden.

Dies ist auch deshalb bemerkenswert, weil das Verfassungsgericht zwar die neue Rechtslage als verfassungskonform bewertet hat, gleichzeitig hat das oberste Gericht dem Gesetzgeber jedoch eine Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht auferlegt. Allerdings kenne ich keine Fraktion des Deutschen Bundestages, die an der derzeitigen Rechtslage etwas ändern möchte.

kath.net: Liegen möglicherweise unsere Familienpolitik und die Förderung von Familien im Argen? Ist die „Kita“ wirklich die einzige sinnvolle Antwort, um junge Frauen zum Ja zum Kind zu ermutigen? Oder werden sie nicht gerade dadurch in eine kräftemäßig überaus zehrende Doppelbelastung hineingetrieben? Welchen Spielraum nach vorne sehen Sie hier seitens der Politik?

Bosbach: Zu keinem Zeitpunkt gab es mehr Hilfen und öffentliche Leistungen für Familien mit Kindern als heute. Gleichzeitig ist die Zahl der Geburten auf einem historischen Tiefstand.

Natürlich war und bleibt es richtig, staatliche Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, denn es gibt immer mehr Frauen und Mütter, die beides miteinander vereinbaren möchten.

Es sollte jedoch die freie Entscheidung jeder Familie bleiben, ob sie die Kinder einer Kindertagesstätte anvertrauen oder ob sie ihre Kinder in eigener Verantwortung erziehen möchten.

Deshalb bin ich ja auch so erstaunt über die heftige, teilweise polemische und völlig überzogene Kritik am Betreuungsgeld.

Zunächst habe ich dem Betreuungsgeld eher skeptisch gegenüber gestanden, denn das jemand für die Nicht-Inanspruchnahme einer öffentlichen Leistung Geld erhält, ist ordnungspolitisch keineswegs problemlos oder gar selbstverständlich.

Als ich aber bemerkt habe, mit welchen teilweise wirklich abwegigen Argumenten das Betreuungsgeld angegriffen und diffamiert wurde, habe ich aus Überzeugung mit „Ja“ gestimmt.

Im Grunde geht es bei der Gewährleistung von Betreuungsgeld nur darum, dass der Staat die Erziehungsleistung der Eltern auch materiell anerkennt und das mit einem relativen bescheidenen Betrag.

Wenn man bedenkt, dass jeder Platz in einer Kindertagesstätte im Schnitt 1000 € pro Monat kostet, ist die Höhe des Betreuungsgeldes doch sehr moderat.

kath.net: Wer sich gegen die Abtreibung einsetzt, weiß sich zwar mit dem Grundgesetz in einem Boot, aber durchaus nicht mit der Mehrheit der öffentlichen geäußerten Meinung. Lebensschützer müssen mit unangenehmsten und unfairsten Zuordnungen rechnen, sogar durch öffentlich-rechtliche Medien. Fördert dies eine wirklich freie und offene Diskussionsatmosphäre in der Bundesrepublik? Wie gut ist es eigentlich um die Toleranz der grün oder rot angehauchten „Toleranten“ bestellt?

Bosbach: Die politische Linke ist in einem hohen Maße tolerant – unter der Voraussetzung, dass man deren Anschauung und Politik vorbehaltlos teilt.

Selbstverständlich haben wir in Deutschland das grundgesetzlich garantierte Recht auf freie Meinungsäußerung – aber wehe dem, der von diesem Recht in einer Weise Gebrauch macht, die dem links-alternativen Spektrum nicht genehm ist. Da muss man sich warm anziehen.

kath.net: Was raten Sie denjenigen, die sich auf der Grundlage unseres Grundgesetzes für den Lebensschutz aussprechen wollen?

Bosbach: Erhobenen Hauptes und unerschrocken weiter kämpfen und sich nicht von unsachlicher Kritik oder gar Anfeindungen beeindrucken lassen.

Wer gegen Lebensschutz agitiert und polemisiert, dem fehlen offensichtlich fundierte Sachargumente und deshalb sollte man diesem Teil des Publikums nicht kampflos das Feld überlassen.

kath.net: Gestatten Sie zum Schluss noch eine Frage, die zwischen den Kirchen und der Politik gerade diskutiert wird: Sollen gleichgeschlechtliche Beziehungen der heterosexuellen Ehe gleichgestellt werden? Die Diskussion ist ja auch in der CDU entbrannt. Aktuell wird über die Äußerungen der saarländischen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer gestritten. Herr Bosbach, was denken Sie zu diesem Thema?

Bosbach: Das Grundgesetz stellt die Ehe von Mann und Frau nicht deshalb unter den besonderen Schutz des Staates, weil es sich hier um eine heterosexuelle und keine homosexuelle Lebensbeziehung handelt, sondern weil nur aus der Verbindung von Mann und Frau Kinder hervorgehen können und die so gebildete Familie die Keimzelle unserer Gesellschaft ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich in diesem Sinne bereits mehrfach und ganz unzweideutig geäußert, sodass es für mich immer wieder überraschend ist, dass in der öffentlichen und veröffentlichten Meinung ein gegenteiliger Eindruck erweckt wird. Beispielsweise im 10. Band, in dem es u.a. wörtlich heißt: „Ehe ist auch für das Grundgesetz die Vereinigung eines Mannes und einer Frau zur grundsätzlich unauflöslichen Lebensgemeinschaft, und Familie ist die umfassende Gemeinschaft von Eltern und Kindern, in der den Eltern vor allem Recht und Pflicht zur Pflege und Erziehung der Kinder erwachsen.“

Herzlichen Dank, Herr Bosbach!


Foto: (c) Wolfgang Bosbach/Privat


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