Herz-Jesu-Fest: Scheuer mahnt zum Blick auf menschliche Not

16. Juni 2015 in Spirituelles


Innsbrucker Bischof: Aufnahme von Flüchtlingen ist "gelebte Herz-Jesu-Praxis" – Er prangerte die Leistungsmentalität und die heutige "Selbsterlösungsreligion" vieler Menschen an: "Woran das Herz hängt, da ist dein Gott oder dein Abgott"


Innsbruck (kath.net/KAP) Ein Einüben des "Hinschauens in einer Kultur des Wegschauens" hat der Innsbrucker Bischof Manfred Scheuer (Foto) gefordert. Nächstenliebe beginne mit der "Aufmerksamkeit für die Leidensgeschichte der Menschen", erklärte er in der Tiroler Kirchenzeitung "Sonntag" aus Anlass des Herz-Jesu-Festes, das die Katholische Kirche am zweiten Freitag bzw. Sonntag nach Fronleichnam feiert. Eine "große Herausforderung in der heutigen Konsum- und Erlebnisgesellschaft" sei es, "nicht abzustumpfen", erklärte der Tiroler Bischof.

Das Herz-Jesu-Fest ist in Tirol eng mit der Geschichte des Landes verbunden: 1796 beschloss der Tiroler Landtag angesichts drohender Kriegsgefahr durch die heranrückenden Truppen Napoleons, das Land dem "Heiligsten Herzen Jesu" zu weihen, und erhob 1809 nach dem überraschenden Sieg der Truppen von Andreas Hofer gegen die Franzosen und Bayern das Herz-Jesu-Fest zum hohen Feiertag. Bis heute erinnern u.a. die damals in Bozen entstandenen zahlreichen Herz-Jesu-Feuer auf den Bergen in Nord-, Ost- und Südtirol sowie im Trentino an dieses Gelöbnis.

Gegenpol zur Selbsterlösung

Das Herz Jesu stehe für den "persönlichen, ureigenen Glauben und auch für das Freiheitsbewusstsein der Tiroler", legte Scheuer bei einem Gottesdienst in Weerberg dar, wo als einziger Tiroler Ort jährlich an einem Freitag das Herz-Jesu-Fest nach dem alten Gelöbnis mit Schützenabordnungen und Persönlichkeiten des Landes gefeiert wird. "Woran das Herz hängt, da ist dein Gott oder dein Abgott", so der Bischof, der die Leistungsmentalität und die heutige "Selbsterlösungsreligion" vieler Menschen anprangerte.

"Neue Kälteströme" und das "Prinzip Erbarmungslosigkeit" herrschten dort vor, wo Mitleid und Barmherzigkeit eigentlich nicht sein sollen und Kult der Tüchtigkeit sich in Rücksichtslosigkeit verkehrt, so Bischof Scheuer. "Es gibt keine Sorgemehr für die, denen der Atem ausgeht: Die Alten, Kranken, Behinderten werden ihrem eigenen Schicksal überlassen und aus dem öffentlichen Blickfeld verbannt." Teil des Zeitgeistes seien auch ständige Ablenkung und ein Davonlaufen vor sich selbst und vor den anderen. "Unsere Zeit ist damit beschäftigt, Ablenkungen zu schaffen, sie weiß aber nicht mehr, wovon sie ablenkt", kritisierte der Innsbrucker Oberhirte.

Ein Ausweg dieser Situation des "Gotteskomplexes und Mittelpunktwahns" sei es, sich von Gott lieben zu lassen, so Scheuer weiter. Das Evangelium traue den Menschen zu, Freunde und Anwälte des Lebens zu sein und Lebensräume zu schaffen, "in denen in die Enge getriebene Menschen Ja zum Leben sagen können". Umgesetzt worden sei das in diesen Tagen in der Solidarität in Tirol angesichts der Unwetter und Muren im Paznaun und Sellrain, sowie in der Aufnahme von Flüchtlingen: Dass auch in Weerberg Räume der Zuflucht und des Aufatmens entstanden seien, sei eine "gelebte Praxis" des Herz-Jesu-Festes.

Hass "fortlieben"

Gelebte Nächstenliebe und Selbstübergabe an Gott sind für gläubige Christen die "Antwort auf eine unbegreifliche Liebe, die uns ergreift und nicht mehr loslässt", erklärte Scheuer am Samstag bei einem Herz-Jesu-Jugendfest im Stift Wilten. Unter dem Motto "Du bist zuerst geliebt" haben sich mit dieser Veranstaltung der Johannes-Gebetskreis und die Lorettogemeinschaft das Ziel gesetzt, die Tiroler Herz-Jesu-Tradition aufzunehmen und jugendlich neu zu gestalten. Der Bischof lud ein, im "Jahr der Orden" die Grundsätze Armut, Gehorsam und Keuschheit auch außerhalb der Klostermauern als Lebensprinzipien neu zu entdecken.

Die "Armut im Geiste" sei ein kraftvolles Gegengewicht zu Götzen und Ideologien wie etwa jene des Fortschritts und der reinen Machbarkeit, legte Scheuer dar. Jesu habe diese Armut vorgelebt, auch in seinem gewöhnlichen Leben in Nazareth, das für die "Treue im Kleinen und Verborgenen" stehe. Gehorsam sei die Offenheit und Aufmerksamkeit für andere, und zwar nicht als fremdbestimmtes und abstraktes Gesetz, sondern als "innerstes freies Ja" zur jeweiligen Sendung und zum eigenen Schicksal. Enthaltsamkeit - als freier und positiv gelebter Verzicht - stehe der "Absorption der Sexualität durch Konsumismus, der Degradierung der Erotik zur ökonomischen Komponente" sowie auch der Ausbeutung und Gewalt entgegen.

Schließlich rief der Tiroler Bischof in seiner Predigt auch dazu auf, Hass "fortzulieben", was der "höchste Akt von Feindesliebe und Gewaltlosigkeit" sei und auch stellvertretend für andere geschehen könne. Nur so könnten Leiden und Gewalt nicht zum "Wachstumshormon von Ressentiment, Rachegelüsten und Revanchismus" werden. Scheuer: "Es braucht das menschliche Mittun in der Überwindung des Bösen."

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Foto Bischof Scheuer © Diözese Innsbruck


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