'Ein Affront gegen den Chef der Bischofskonferenz' - Wirklich?

28. Mai 2015 in Kommentar


Ein Kommentar in der „Welt“ über den Richtungsstreit in der DBK führt zur Frage: In welchem (Spannungs-)Verhältnis steht nichtkirchliche Berichterstattung zur innerkirchlichen Wirklichkeit? kath.net-Kommentar von Petra Lorleberg


Bonn (kath.net/pl) Ich lade zu einem Gedankenexperiment ein: Nehmen wir einmal an, wir hätten derzeit einen DBK-Vorsitzenden, den die Öffentlichkeit als deutlich konservativ wahrnehmen würde. Und nehmen wir weiter an, wir hätten auch eine entsprechende konservative Mehrheit in der DBK. Würden wir dann in den bekannten großen Print- und TV-Medien folgende Darstellungen bekommen: „Drei Bistümer wurden mit ihren liberalen Positionen zwar demokratisch überstimmt. Dennoch wollen sie die Mehrheitspositionen nicht übernehmen. Doch ihre liberale Position ist ein Affront gegen den DBK-Vorsitzenden“? Wer die Berichterstattung der nichtkirchlichen Presse kritisch verfolgt, wird eine solche Darstellung für ziemlich unwahrscheinlich halten. Vielmehr stünde aller Erfahrung nach ungefähr folgende Medienaufbereitung zu erwarten: „Drei liberale Bistümer werden zum Vorreiter gegen die konservative stur-mauernde Mehrheit der DBK-Bischöfe. Die Kritik am DBK-Vorsitzenden wächst“. Und unter den Nasen der Wortführer von „Wir sind Kirche“ würden sich sofort die Mikrophone stapeln.

Nun haben wir allerdings bekanntermaßen einen DBK-Vorsitzenden und eine DBK-Mehrheit, die in der Öffentlichkeit nicht als konservativ wahrgenommen werden. Dass es nun einige Bistümer gibt, die beispielsweise im Punkt „Arbeitsrecht“ nicht die Mehrheitsposition der DBK übernehmen, liest sich in einem Kommentar von Christian Eckl in der „Welt“ so (Untertitel): „Mehrere Bischöfe boykottieren die Lockerung der neuen Richtlinien für Kirchenmitarbeiter: Nach einer Wiederheirat soll weiterhin gekündigt werden. Ein Affront gegen den Chef der Bischofskonferenz.“ Im Text wird erläutert: „Schon seit geraumer Zeit gelten die Bischöfe von Regensburg, Eichstätt und Passau als konservative Speerspitze im deutschen Episkopat: Rudolf Voderholzer aus Regensburg, Stefan Oster aus Passau und der Eichstätter Oberhirte Gregor Maria Hanke hatten sich noch vor der Neufassung der Richtlinien vehement gegen eine Lockerung starkgemacht. Sie sind zwar demokratisch überstimmt worden. Dennoch wollen die drei Bischöfe die neuen Richtlinien für ihre Arbeitnehmer zunächst nicht umsetzen.“ Eckl erläuterte in seinem Kommentar weiter: „Insider bewerten die kirchenrechtliche Prüfung in den drei Diözesen auch als Affront gegen einen anderen bayerischen Bischof: Kardinal Reinhard Marx, den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz.“

Marx aber, so Eckl, befinde sich derzeit innerkirchlich „in einem Spagat: Als kürzlich die Forderung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken lauter wurde, auch kirchliche Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare zuzulassen, befand er dies als ‚theologisch nicht akzeptabel‘. Gleichzeitig gilt Marx als ein Befürworter der Liberalisierung des Arbeitsrechts“, erläuterte Eckl. Die aktuelle Situation zeige, so die Diagnose von Eckl, „die Spaltung der Kirche zwischen den konservativen Bischöfen einerseits und der Mehrheit der Bischofskonferenz und den Laien andererseits“.

Dieser Kommentar weist einige Merkmale auf, die sich auch sonst häufiger in der Berichterstattung über innerkirchliche Vorgänge finden.

Erstens: Wie die Öffentlichkeit Kardinal Marx wahrnimmt und wie er sich selbst eigentlich positioniert, das ist nicht automatisch identisch, wie beispielsweise jüngst Marx´ überraschende und sehr scharfe Kritik an Forderungen des ZdK zeigte.

Zweitens: Kardinal Marx mag sich in einigen Punkten durchaus liberaler zeigen. Die Medien übersehen aber bisher, dass er – im Gegensatz vielleicht zu anderen gegenwärtigen und vergangenen Verantwortungsträgern des deutschen Episkopates – äußerst genau weiß, was er will. Was er sagt oder nicht sagt, das entspricht seiner eigenen Einschätzung, Erfahrung und verantwortlichen Leitungsausübung (auch dort, wo es bsp. auch nicht meinen eigenen Einschätzungen entspricht!). Marx redet nicht der medialen Öffentlichkeit nach dem Mund. Er hat mehr als genug Rückgrat, um sich nicht von den Medien treiben lassen – für solche Spielchen braucht es schwächere Leitungsfiguren, wie man sie in der Vergangenheit ja teilweise auch bereits gesehen hat.

Drittens: Kardinal Marx ist als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz tatsächlich zwar eine exponierte Gestalt des Episkopates. „Chef“ der Ortsbischöfe ist er allerdings nicht. Dass Kardinal Marx seine Verantwortungen kirchenpolitisch gekonnt nutzt, ändert nichts an diesen Grunddaten. Es mutet sehr merkwürdig an, dass in medialen Darstellungen (sonst sehr hierarchiekritisch!) immer wieder eine innerdeutsche kirchliche Hierarchie aufgebaut wird, die de facto nicht existiert und nicht vorgesehen ist. Wenn aber einmal ein Bischof DBK-Vorsitzender werden sollte, der konservativere Positionen vertritt, dann werden wir von den nichtkirchlichen Medien zweifellos sofort an das korrekte Grundverhältnis zwischen Ortsbischöfen und Bischofskonferenz erinnert werden.

Viertens: Auch die Grenzlinie zwischen den verschiedenen Positionen wurde – wie so häufig – falsch gezogen. Entgegen Eckls Diagnose, „die Spaltung der Kirche“ verlaufe „zwischen den konservativen Bischöfen einerseits und der Mehrheit der Bischofskonferenz und den Laien andererseits“ ist der unselige und schmerzliche Graben schlicht zwischen reformorientierten und lehramtsorientierten Katholiken zu sehen. Zu beiden Gruppen gehören sowohl Bischöfe und Priester wie auch Laien. Zumindest in der Öffentlichkeit ist die reformorientierte Gruppe derzeit (laut-)stärker präsent.

Dies alles führt zur allgemeineren Frage: In welchem (Spannungs-)Verhältnis steht nichtkirchliche Berichterstattung zur innerkirchlichen Wirklichkeit?

Die Kritik an der katholischen Kirche bzw. innerkirchlichen Vorgängen ist ja nicht nur gutes Recht, sondern m.E. sogar Pflicht gerade auch weltlicher Medien. Wir sind seitens der Kirche äußerst gut beraten, wenn wir uns mit dieser Kritik gründlich auseinanderzusetzen, vor allem mit jenen kleinen oder sogar großen Körnchen Wahrheit, die darin liegen können. Dass solche Kritik an uns Eigeninteressen vertritt – etwa möglicherweise eine Einpassung der christlichen Lehre in die gesellschaftliche Tagesaktualität, ist im gesellschaftlichen Gesamtkontext normal und verantwortbar, wir müssen uns seitens der Kirche auch damit konstruktiv auseinandersetzen.

Sorge macht kirchlichen Insidern allerdings, dass diese Kritik immer wieder auffallend unisono auftaucht. Müsste beispielsweise eine Kritik der „FAZ“ nicht bereits im Kern völlig anders aussehen als eine Kritik der „taz“ zum selben Thema? Doch finden sich in der Realität tatsächlich solche grundsätzlichen Unterschiede? Das allgemeine Strickmuster, bemängeln Insider immer wieder, sei viel zu häufig, dass „böse“ Konservative/Lehramtstreue gegen jede „gute“ Veränderung der Kirche durch fortschrittlichere Katholiken mauern würden. Eine Hinterfragung dieses modernen Grunddogmas fände kaum bis nie statt, Kritik an der Kirchenkritik sei unerwünscht und ein solcher Kritiker müsste mit unfairer Diffamierung, ja sogar gefährlicher Hetze, rechnen.

Sorge macht manchen Insidern zusätzlich, dass so manches mehr oder weniger aktive Kirchenmitglied diese nichtkirchlichen Nachrichten als einzige Informationsquelle nutze. Kirchliche Medien erreichten beileibe nicht jeden. Obendrein, so manche Kritiker, stießen kirchliche Medien nicht selten in dasselbe „weltliche“ und einseitige Horn, so dass eine wirklich objektive Information der Kirchenmitglieder häufig zu kurz käme.

Es kommt die Frage auf: Handelt es sich bei diesen Mediendarstellungen über innerkirchlichen Vorgänge möglicherweise um die Anwendung der „Steter-Tropfen-höhlt-den-Stein“-Methode? Finden Beschreibungen der jeweils aktuellen kirchlichen Gegebenheiten eventuell zu oft im Sinn einer Pippi-Langstrumpf-Theologie statt: „Zwei mal drei macht vier - widdewiddewitt und drei macht Neune! Ich mach' mir die Welt - widdewidde wie sie mir gefällt ...“. Eine solche undifferenzierte Mediendarstellung würde aber der weitaus vielfältigeren kirchlichen Wirklichkeit nicht gerecht. Obendrein finden sich auch jene Katholiken bzw. im evangelischen Raum jene Christen, die die klassische Lehre bevorzugen, in solchen Darstellungen allzuoft in der Rolle des Buhmanns wieder, was ihre Bereitschaft zu gemäßigter Diskussion sowie Abonnement solcher Medienerzeugnisse keineswegs fördert. Sie äußern inzwischen vermehrt und in steigender Deutlichkeit ihren Unmut über Abstempelungen, bei denen „unbelehrbar konservativ-fundamentalistisch“ noch als mild zu gelten hat.

Eine faire Berichterstattung über die derzeitigen innerkirchlichen Richtungskämpfe würde voraussetzen, dass auch die lehramtstreuen Katholiken in ihren Anliegen, Argumenten und ihrem Bemühen sich gelegentlich öffentlich ernst genommen sehen würden. Dies gilt für Bischöfe wie Oster, Hanke und Voderholzer in ihrer exponierten Verantwortung und weitere Geistliche ebenso wie für katholische Laien, die sich entsprechend ihrer Verantwortung in diesen innerkirchlichen Entscheidungsprozess mit lehramtstreuen Positionen einbringen und einbringen wollen.

Ich möchte den weltlichen Medien vorschlagen, die katholische Kirche in Deutschland in ihrer Fülle abzubilden und sowohl die kritischen wie die treuen Stimmen in Fairness zu Wort kommen zu lassen. Eigentlich wäre dies ein Grundgebot „journalistischer Sorgfaltspflicht“, um ein Wort des Passauer Bischofs Stefan Oster aufzugreifen, der an der Berichterstattung der „Mittelbayrischen Zeitung“ ebenfalls einiges zu kritisieren fand.

Oder ist eine faire Auseinandersetzung mit den Positionen rom- und lehramtstreuer Katholiken in unserer Gesellschaft inzwischen schon nicht mehr erwünscht?

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