Licht des Glaubens

24. Mai 2015 in Spirituelles


Predigt zum Pfingstsonntag von Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki im Kölner Dom.


Köln (kath.net/ pd)
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
wir feiern Pfingsten, das Kommen des Geistes Gottes in unsere Welt. In der Lesung aus der Apostelgeschichte (Apg 2, 1-11) haben wir gehört, was damals in Jerusalem geschah, wie sich unter dem Brausen des Sturmes Gottes Geist im Zeichen von Feuerzungen auf die ersten Jünger niederließ. Für Lukas, der uns diesen Bericht über das erste Pfingstfest in Jerusalem in der Apostelgeschichte schenkt, bringt der Heilige Geist Bewegung in die Welt. Er treibt die Apostel an, das Evangelium bis an die Grenzen der Erde zu verkündigen. Da laufen die Leute zusammen, die Apostel reißen die Riegel von Tür und Tor ab und beginnen zu predigen. Ja, das ist Pfingsten, so werden Sie sagen.

Johannes, der Evangelist, fügt dann aber heute noch etwas anderes sehr Wichtiges hinzu, etwas, das meist übersehen wird. Vielleicht haben Sie sich ja in diesem Zusammenhang beim Hören des Evangeliums auch gefragt, warum wir gerade heute - an Pfingsten - im Grunde noch einmal ein Oster- und kein Pfingstevangelium hören. Aber – wissen Sie – genau darin drückt Johannes heute seine Sicht von Pfingsten aus. Für ihn ist nämlich schon am Osterabend Pfingsten. Noch klarer als Lukas will er uns damit sagen: Der Heilige Geist kommt nicht irgendwo her. Er ist auch nicht irgendeine unbestimmte, nebulöse Größe oder Kraft. Der Heilige Geist kommt vielmehr von dem Auferstandenen selbst.

So steht der Herr heute Morgen vor uns wie damals vor seinen Jüngern. Wie ihnen - so zeigt er uns heute Morgen erneut seine durchbohrten Hände und seine geöffnete Seite. Er tut das nicht nur, damit wir ihn als den erkennen, den sie ans Kreuz geschlagen hatten, als den, den die Jünger verlassen hatten - und das, obwohl sie doch mit ihm zuvor landauf, landab gezogen waren und gehört und gesehen hatten, was er im Namen Gottes getan und gewirkt hatte. Nein, in dieser Stunde will der Herr uns - gemeinsam mit seinen Jüngern - sagen, dass das, was er ihnen und uns nun schenkt, aus seinem Leiden kommt. Er schenkt uns heute das, was an Kar-freitag und an Ostern geschah: die Versöhnung der Menschen mit Gott.

Pfingsten ist also nicht irgendeine Sendung des Geistes Gottes, sondern die Voll-endung und Erfüllung von Ostern! Was damals geschah, das will Jesus heute aus-teilen, damals an die Jünger, heute durch die Jünger an uns und alle Menschen.

Pfingsten sagt uns, dass der Heilige Geist nicht irgendeine Kraft Gottes ist, sondern jene Liebe Gottes, die uns im Kreuz Jesu anblickt, dass er jene Liebe Gottes ist, die Jesus aus dem Grab auferweckte als den „Erstgeborenen von den Toten“, als den Anfang einer neuen Menschheit. Wir werden zu Zeugen, wie der Auferstandene seine Jünger anhaucht - so wie Gott einst den Adam.

Damals gab Gott dem Adam das menschliche Leben. Und heute? Heute haucht der Auferstandene den Jüngern seinen Geist ein, den Gottesgeist. Diese Szene im Abendmahlsaal – sie sieht sich damit an wie ein zweiter Schöpfungsmorgen, wie der Beginn einer neuen Welt. Was meine ich damit? Wir haben eben versucht zu bedenken, dass der Heilige Geist die Liebe Gottes ist, die uns vom Kreuz Jesu an-blickt und die Jesus aus dem Tod erweckt hat. Der Heilige Geist ist damit also die Gabe der Versöhnung Gottes an die Welt.

Das meint nicht nur, dass Gott jetzt alle unsere Sünden vergessen hat, und auch nicht nur, dass er uns Menschen, die wir uns nicht selten gegen ihn entscheiden, trotzdem weiter liebt. Der Gekreuzigte ist nicht nur das Zeichen für die törichte Liebe Gottes zu uns Menschen, zu mir – ganz persönlich –, denn für mich ist ja der Herr - wie der Apostel nicht müde wird zu sagen - am Kreuz gestorben; nein, er ist selbst diese Liebe Gottes. Der am Kreuz ist der Sohn. In ihm hat Gott sich selbst weggegeben an uns, in unseren Tod hinein, in den Abgrund menschlichen Hasses hinein. Davon ließ er sich zu Tode treffen.

Und wir möchten glauben, dass Gott nicht weitergehen könnte!? Doch! Er geht noch weiter! Er geht über das Kreuz hinaus! Er hat sich nicht nur in die tödliche Schuld der Menschheit weggegeben. Das tat er ja im Sohn. Nein, er gibt sich jetzt sogar noch darüber hinaus weg in die Tiefe unseres Wesens. Im Heiligen Geist! Da setzt Gott fort, was er in Christus begonnen und vollendet hat: sich selbst wegzugeben an uns, sein eigenes Leben uns mitzuteilen, wie kein Mensch sich einem anderen mitteilen kann, selbst wenn er ihn noch so tief lieben mag.

Nicht wahr, wir sagen manchmal so einfach daher: Jesus ist für uns gestorben, um uns zu erlösen. Ahnen wir jetzt, was das heißt? Oder auch: Er hat uns unsere Sünden vergeben. Können wir jetzt vermuten, wie viel tiefer die Wahrheit ist? Dass Gott Sünden nachlässt, das bedeutet nicht, dass er sie uns nicht mehr anrechnet oder dass er sie aus seinem Gedächtnis gestrichen hat. Das bedeutet vielmehr auch: Gott schafft den, der das geschehen lässt, in seinem Denken und Sinnen um. Er schenkt seinem Verstand das Licht des Glaubens. Er weckt in ihm eine unzerstörbare Hoffnung und bewegt ihn, Gott und die Menschen selbstlos zu lieben.

Und im Grunde von alledem geschieht hier das schier Unglaubliche, dass Gott selbst in unseren Tiefen zu wohnen beginnt – durch Christus im Heiligen Geist. Die Mystikerinnen und Mystiker aller Zeiten – u.a. etwa auch die Heilige Teresa von Avila, deren 500. Geburtstag wir ja in diesem Jahr begehen - haben das erkannt: „Gott gibt sich (nur) dem ganz, der sich Ihm ganz überlässt“, sagt die deshalb.

Denn das ist ihre Erfahrung, ihre Geist gewirkte Erfahrung: Dort, wo Gott in unseren Tiefen durch Christus im Heiligen Geist zu wohnen beginnt, ist das eigentliche Heiligtum Gottes – auch in unserer Zeit.

Pfingsten stellt uns vor die Entscheidung, ob wir uns vom Geist der Selbstsucht, vom Geist der Verschleierung und Lüge, der Feindschaft, der Macht- und Profitgier leiten lassen, oder ob wir uns dem Geist Gottes überlassen, welcher der Geist der Güte, der Vergebung, des Verzeihens, der Besonnenheit, der Einheit und des Friedens ist. Indem wir heute Pfingsten feiern, bekennen wir: Gottes Geist weht – auch heute. Geben wir ihm die Chance, die er braucht zur Schaffung seines Heiligtums unter den Menschen. Anfangen will er damit gleich heute – noch jetzt, genau in diesem Augenblick - bei mir und bei Dir.
Amen


© 2015 www.kath.net