Zahl der Opfer christlicher Gewalt ist weit geringer als angenommen

20. Mai 2015 in Chronik


Kirchenhistoriker: Das Ausmaß wurde häufig stark übertrieben


Münster (kath.net/idea) Die Zahl der Menschen, die durch Kreuzzüge, Inquisition und Hexenverbrennungen ums Leben gekommen sind, ist weit geringer als häufig angenommen. Das stellt der katholische Kirchenhistoriker Prof. Arnold Angenendt (Münster) in einem Interview mit der Evangelischen Nachrichtenagentur idea fest. Kirchenkritiker gehen davon aus, dass bis zu neun Millionen Menschen christlicher Gewalt zum Opfer gefallen sind. Diese Zahl lasse sich aus historischen Quellen jedoch nicht bestätigen, so Angenendt. In den Berichten über die Kriege des Mittelalters seien die Opferzahlen oft maßlos übertrieben worden, um den eigenen Sieg herauszustreichen. Zuverlässige Todeszahlen zu den Kreuzzügen gebe es daher nicht.

Bei der Inquisition rechne die Forschung mit etwa 10.000 Todesurteilen, davon etwa die Hälfte wegen Sittlichkeitsverbrechen. Bei den Hexenverbrennungen habe es etwa 50.000 Opfer gegeben, davon die Hälfte im Gebiet des heutigen Deutschlands. Die Hinrichtungen seien durch Gerichtsprotokolle belegt.

Angenendt: „Die Zahlen sind und bleiben erschreckend.“ Die Prozesse seien jedoch – anders als häufig behauptet – nicht von der Kirche, sondern von weltlichen Gerichten durchgeführt worden. Die Kirche habe diese Praxis abgelehnt.

Die Menschenrechte sind auf die Bibel zurückzuführen Angenendt bedauert, dass die katholische Kirche im 19. Jahrhundert gegen die Geltung der Menschenrechte gekämpft hat. Dennoch finde sich die ursprüngliche Begründung der Menschenrechte in der Bibel. Ihr zufolge sei jeder Mensch nach dem Bilde Gottes erschaffen.

Diese Gottesebenbildlichkeit des Menschen finde sich im deutschen Grundgesetz in der Aussage wieder: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Angenendt: „Die Menschenrechte kann man letztlich nur begründen, indem man die Heiligkeit und Unantastbarkeit, die Gott gebührt, auf den Menschen überträgt. Genau das tut Jesus, wenn er sagt: ‚Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.‘“

Christentum hat eine große gewaltfreie Tradition

Angenendt widersprach dem Vorwurf, dass der Glaube an einen Gott eine Ursache für Intoleranz, Ausgrenzung und Gewalt sei. Zwar könne Religion zur Gewalt führen – sie müsse es aber nicht. Ein Gottesbild, das mit Recht und Güte verbunden sei, strahle positiv auf die Anbeter dieses Gottes aus. Der Missionsbefehl Jesu – „Machet zu Jüngern alle Völker“ – sei kein Toleranzverbot, sondern erkenne die Entscheidung jedes Menschen für oder gegen Gott an. Eine Zwangstaufe widerspreche dem Wesen der Taufe. Das Christentum habe eine große gewaltfreie Tradition, auf die es sich zurückbesonnen habe. Anstatt sich von der christlichen Tradition abzuwenden, solle man das Falsche darin verurteilen und das Gute bestärken. Angenendt verfasste das Buch „Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert“ (Aschendorff Verlag). Es gilt als Standardwerk zur Gewaltgeschichte des Christentums.


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