Der Heilige Krieg im Internet

2. Mai 2015 in Chronik


Expertentagung beleuchtet Gefahren und Prävention - Die Moderne ist den Dschihadisten ein Dorn im Auge. Doch das hält sie nicht davon ab, für ihren Kampf auf die neuesten Techniken zu setzen - Von Michaela Koller (KNA)


Wildbad Kreuth (kath.net/KNA) In der Mitte der hufeisenförmigen Runde von mehr als 70 Tagungsteilnehmern schwebt ein Objekt. Es sieht aus wie ein Sportwagenlenkrad und befindet sich zwei Meter über dem Teppichboden des Seminarraums. Simon Jacob, Vorsitzender des Zentralrats Orientalischer Christen in Deutschland (ZOCD), führt die Drohne vor und filmt alles aus der Vogelperspektive. Das Besondere: Er steuert das Gerät allein über die Sensorik seines Mobiltelefons.

Jakob könnte auch aus einem Versteck die Teilnehmer der Tagung der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) in Wildbad Kreuth, darunter etliche Sicherheitsexperten, filmen. «Mit solchen Drohnen arbeitet der Islamische Staat (IS)», erklärt der syrisch-orthodoxe Christ. Früher sei diese Spionagetechnik sperrig und teuer gewesen. «Eines Transporters und 20.000 US-Dollar» hätte es bedurft. Das vorgeführte Gerät koste etwas mehr als 500 US-Dollar. Der irakische Christ Sharbil Hanna Matty aus Erbil, Direktor von Suroyo TV, bestätigt, solche Drohnen schon im Irak gesehen zu haben.

Dschihadisten mögen als rückwärtsgewandt oder einer modernen ideologischen Verirrung erlegen betrachtet werden. Tatsache jedoch ist: Sie nutzen modernste Technologie. Der Effekt, den sie schon jetzt erreichen, könnte künftig sogar noch ungleich größer werden. Das ist das Ergebnis der zweitägigen Konferenz, zu der die HSS mit dem ZOCD geladen hatte. Angereist waren nicht nur Gäste aus Deutschland und Frankreich, sondern vor allem aus dem Iran, Irak, Israel und Syrien.

Michael George, der das Cyber-Allianz-Zentrum des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz leitet, zeichnete zunächst ein düsteres Bild: Sätze wie «wir haben die Kontrolle über unsere Sicherheitssysteme verloren» und «das Risiko wird künftig unkalkulierbar» ließen einige Teilnehmer mit aufgerissenen Augen und offenem Mund aufhorchen. Denn sind die Hacker erfolgreich, kann der Schaden an der Stromversorgung und bei Verkehrsleitsystemen erheblich sein.

George nannte aber zugleich Estland als positives Beispiel. Das baltische Land habe nach der Cyberattacke 2007 auf staatliche Einrichtungen, Banken und Rundfunkanstalten dazugelernt und an Sicherheit aufgeholt. Laut Sabina Wolf, Journalistin beim Bayerischen Rundfunk, nutzen Dschihadisten das Internet, um Propaganda zu verbreiten und Systeme lahmzulegen. Weiter gehe es ihnen darum, Geldmittel zu beschaffen, ob durch Spenden oder Diebstahl, und im Westen zu spionieren.

Wolf rief die drei größten Internet-Attacken dieses Jahres in Erinnerung: zuletzt der Angriff auf den französischen Sender TV5 Monde am 8. April, davor auf das Central Command der Vereinigten Staaten, dessen Twitter- und Youtube-Auftritte am 12. Januar gehackt worden waren, und rund um die Anschläge von Paris im Januar. An die 19.000 Internetseiten seien seither attackiert worden. Neben dem islamischen Glaubensbekenntnis hinterlasse ein selbsternanntes Cyber-Kalifat bei derartigen Attacken auf den angegriffenen westlichen Seiten oftmals das Motto: «Es gibt kein Gesetz außer der Scharia.»

Wohl nicht zuletzt wegen dieser Botschaft wurde auch dafür plädiert, sich nicht allein mit den technischen Möglichkeiten zu beschäftigen. Auch die geistige Tradition und der ideologische Hintergrund der Angreifer sollte in den Blick genommen werden. Anke Mönter, die die Präventionsarbeit des Düsseldorfer Innenministeriums leitet, versicherte, dass ihr Programm auch islamkundige Muslime miteinbinde.

Thomas Schirrmacher, Präsident der International Society for Human Rights, erinnerte an die Entstehung des islamischen Fundamentalismus in den 1920er Jahren. Dieser sei mit dem Faschismus, der NS-Ideologie sowie dem Hindunationalismus aufgekommen. «Ideen haben fürchterliche Konsequenzen», mahnte er, und immer träfen diese religiöse Minderheiten: «Man kann den IS nicht verstehen, wenn man nicht sieht, wie er über religiöse Minderheiten denkt.» Er warnte, sich darauf auszuruhen, die bestialisch tötenden Horden allein als vorgestrig abzutun. Ideologen befeuerten die Kämpfer. Und diese setzen eben modernste Technik ein.

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