«Ein Schauspiel wie im Zoo»

16. April 2015 in Kommentar


Kritik an Medien vor zentraler Trauerfeier in Köln. Offenbar hatte ein Journalist die Notfallseelsorgerjacke an, um an Statements heranzukommen. In Blumensträußen steckten Handykameras. Von Johannes Nitschmann (KNA)


Haltern (kath.net/KNA) Mika Baumeister steht vor den Stufen zum Joseph-König-Gymnasium in Haltern am See. Der 19-jährige Schüler schaut auf ein Meer aus Kerzen, Blumen und Souvenirs. So trauern die Pennäler seit Wochen um 16 Mitschüler und zwei Lehrerinnen, die am 24. März in einer Germanwings-Maschine mit 134 weiteren Passagieren auf dem Rückflug von Barcelona über den Alpen abgestürzt sind.

Inzwischen ist wieder Ruhe eingekehrt in der westfälischen Kleinstadt. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Katastrophe waren die Trauernden lautstark belagert worden, wie sich Baumeister drei Wochen später erinnert. Fotografen, Kamerateams und Journalisten rückten in Kompaniestärke an. Fernsehanstalten nahmen die Schulbushaltestelle mit ihren klotzigen Ü-Wagen in Beschlag. In der Spitze waren über 300 Medienleute in der 37.000-Einwohnerstadt.

Gegen sie hätten die trauernden Schüler mit ihren Rücken irgendwann eine Menschenkette als Absperrung gebildet, erzählt Baumeister, «weil die uns auf die Eier gingen». Er sei sich vorgekommen «wie im Zoo». Weltweit seien «Großaufnahmen von Leidtragenden» aus Haltern gezeigt worden. «Das ist ekelhaft und Sensationshascherei.» Dabei attestiert der Schüler durchaus, dass die meisten Regionalmedien und öffentlich-rechtlichen TV-Sender einen seriösen Job gemacht hätten. Sein Brandbrief richtet sich gegen die «Grenzüberschreiter».

Baumeister nennt konkrete Beispiele. Journalisten hätten sich mit einem Rekorder in der Jacke bis an die Trauernden herangewanzt, «um Gespräche aufzuzeichnen». Schamlos seien unter Blumensträußen Handykameras versteckt worden, um Exklusivbilder zu schießen. Ein Journalist soll sich eine Notfallseelsorger-Warnweste angezogen haben, um trauernde Schüler abzuschöpfen. Einige Vorfälle hat Baumeister als Augenzeuge erlebt, vieles hat er aus Sekundärquellen. Mitschüler hätten berichtet, für Fotos der Opfer und Interviews veritable Geldangebote erhalten zu haben.

Während der renommierte «Guardian» die Medien-Anklage von Baumeister veröffentlichte, reagierte der «Spiegel» mit Drohgebärden. «Du hast keinen Beleg? Womit willst Du vor Gericht antreten? Glaubst Du im Ernst, wir lassen uns das gefallen», twitterte der stellvertretende Chefredakteur von Spiegel-TV, Thomas Heise. Daraufhin hielt der Medienkritiker Stefan Niggemeier den Hamburger Magazinleuten den Spiegel vor. Einem Teenager aus Haltern werde mit harschen Worten und juristischen Schritten gedroht. «Wir, der große 'Spiegel', gegen dich, das lausige Schülerwürstchen.» Später entschuldigte sich Heise, verteidigte aber seine Redaktion.

Mit an vorderster Front war der «Spiegel» jedenfalls bei den Rechercheuren, die der Ehefrau des vom Copiloten aus dem Cockpit ausgesperrten Flugkapitäns hinterher schnüffelten. Die Mutter von zwei kleinen Kindern arbeitet als Referentin bei der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag. Alleine 15 Anfragen erreichten die Pressestelle der SPD-Landtagsfraktion. Das von Journalisten belagerte Wohnhaus der Witwe musste ebenso von der Polizei geschützt werden wie die Düsseldorfer Kita ihrer beiden Kinder.

Auch die zentrale Trauerfeier für die Absturzopfer an diesem Freitag im Kölner Dom mit Bundespräsident Joachim Gauck und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zieht ein Heer von Journalisten an. Bei der Deutschen Bischofskonferenz, von der die Medienarbeit mit der Düsseldorfer Staatskanzlei und dem Kölner Erzbistum koordiniert wird, hatten bis Dienstag 280 Journalisten, 46 Fotografen und zehn Kamerateams aus zehn Ländern ihre Akkreditierung beantragt. Im Dom sollen etwa 50 Journalisten zugelassen werden. Außerhalb des Doms wird es Aufsager- und Fotografenplätze geben, «jedoch ohne einen Blick auf Angehörige», wie der Sprecher der Bischofskonferenz, Matthias Kopp, versichert.

Am Ende seines Brandbriefs ruft Baumeister die Medienvertreter auf, «Scham und Mitgefühl» bei ihrer Arbeit zu zeigen. Aber auch an die «lieben Konsumenten von Klatschblättern und einigen TV-Sendern» richtet er einen Appell: «Suchen sie sich neue Berichterstatter!»

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